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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Kategorieen. Die erste derselben bezog sich wesentlich auf eine Purifizirung des
Ministeriums von den ihm selber am meisten widerstrebenden Mitgliedern.
Sie war mithin vorwiegend personaler Natur und wendete sich direkt gegen
den Serasker Ghasy Osman Pascha, den Justizminister Said Pascha (auch
"der kleine Said" im Unterschiede von dem ehemaligen Palast-Marschall gleichen
Namens genannt) und gegen mehrere andere Großen. Die zweite Kategorie
seiner Forderungen bezog sich auf prinzipielle Fragen, und hier spielte Khereddin
Pascha vorzeitig Trümpfe aus, die er sich ursprünglich für eine spätere Periode
hatte reserviren wollen. Damit trat er mit seinem, wie es scheint, bis dahin
selbst vor dem Monarchen verborgen gehaltenen Programm für die innere
Politik des Reichs offen hin. Sein Hauptverlangen lief auf die Einführung
einer verantwortlichen Negierung hinaus und auf die Schaffung eines homo¬
genen, durch den Premier selber zu formireuden Ministeriums. Namentlich
nahm er für den Chef desselben, d. h. für sich selber, das unbedingte und keiner
Einsprache des Souveräns unterliegende Recht in Anspruch, alle im Kabinet
stimmberechtigten Ressortminister auszuwählen, wonach dem Monarchen selber
nur die nachträgliche Bestätigung derselben vorbehalten bleiben sollte. Diesem
Modus entsprechend hätte jeder Departements-Vorstand (Minister) seine höchsten
Räthe zu ernennen gehabt, ebenfalls vorbehaltlich der Sanktion derselben durch
den Sultan. Niemand kann sich verbergen, daß diese Vorschläge Khereddin
Pascha's, wenn sie durch Abdul Hamid angenommen worden wären, dessen
Prärogative außerordentlich beschränkt und ihm wesentlich nnr die Befugnisse
eines konstitutionelle!: Fürsten gelassen haben würden, umsomehr, da der Padi-
schah, den angeführten Propositionen entsprechend, sich jeder direkten Einmischung
in die Regierungsgeschäfte enthalten und den mit Stimmenmehrheit getroffenen
Beschlüssen des Kabinets gegenüber sich ans die Alternative beschränkt sehen
sollte, dieselben zu sanktioniren oder das Ministerium zu entlassen, um einen
Vertrauensmann in der vorher erwähnten Form mit der Zusammensetzung
eines neuen zu beauftragen. Thatsächlich wäre der türkische Autokrat damit
aus dem beherrschenden Vordergründe der politischen Szene in deren abge¬
legenen und der eigentlichen Reichsleitnng entrückten Hintergrund zurückgetreten.

Daß man in urtheilsfähigem Kreisen einen derartigen Wandel für ohne
weiteres durchführbar erachtete, daß namentlich Sir Austin Layard, noch bis
ganz kurz vor der Entlassung des Großwesirs, dessen Sieg für wahrscheinlich
hielt, und namentlich letzterer selbst schließlich durchzudringen hoffte, muß über¬
raschen. Andrerseits ist der Gedanke, eine Reform des türkischen Staatswesens
von oben her durch Zurückdrängung der unbeschränkten Sultansmacht in die
von den Landesinteressen erheischten Grenzen herbeizuführen, durchaus nicht
neu. Bereits zwei andere frühere Großwesire, die nicht sehr weit auseinander


Kategorieen. Die erste derselben bezog sich wesentlich auf eine Purifizirung des
Ministeriums von den ihm selber am meisten widerstrebenden Mitgliedern.
Sie war mithin vorwiegend personaler Natur und wendete sich direkt gegen
den Serasker Ghasy Osman Pascha, den Justizminister Said Pascha (auch
„der kleine Said" im Unterschiede von dem ehemaligen Palast-Marschall gleichen
Namens genannt) und gegen mehrere andere Großen. Die zweite Kategorie
seiner Forderungen bezog sich auf prinzipielle Fragen, und hier spielte Khereddin
Pascha vorzeitig Trümpfe aus, die er sich ursprünglich für eine spätere Periode
hatte reserviren wollen. Damit trat er mit seinem, wie es scheint, bis dahin
selbst vor dem Monarchen verborgen gehaltenen Programm für die innere
Politik des Reichs offen hin. Sein Hauptverlangen lief auf die Einführung
einer verantwortlichen Negierung hinaus und auf die Schaffung eines homo¬
genen, durch den Premier selber zu formireuden Ministeriums. Namentlich
nahm er für den Chef desselben, d. h. für sich selber, das unbedingte und keiner
Einsprache des Souveräns unterliegende Recht in Anspruch, alle im Kabinet
stimmberechtigten Ressortminister auszuwählen, wonach dem Monarchen selber
nur die nachträgliche Bestätigung derselben vorbehalten bleiben sollte. Diesem
Modus entsprechend hätte jeder Departements-Vorstand (Minister) seine höchsten
Räthe zu ernennen gehabt, ebenfalls vorbehaltlich der Sanktion derselben durch
den Sultan. Niemand kann sich verbergen, daß diese Vorschläge Khereddin
Pascha's, wenn sie durch Abdul Hamid angenommen worden wären, dessen
Prärogative außerordentlich beschränkt und ihm wesentlich nnr die Befugnisse
eines konstitutionelle!: Fürsten gelassen haben würden, umsomehr, da der Padi-
schah, den angeführten Propositionen entsprechend, sich jeder direkten Einmischung
in die Regierungsgeschäfte enthalten und den mit Stimmenmehrheit getroffenen
Beschlüssen des Kabinets gegenüber sich ans die Alternative beschränkt sehen
sollte, dieselben zu sanktioniren oder das Ministerium zu entlassen, um einen
Vertrauensmann in der vorher erwähnten Form mit der Zusammensetzung
eines neuen zu beauftragen. Thatsächlich wäre der türkische Autokrat damit
aus dem beherrschenden Vordergründe der politischen Szene in deren abge¬
legenen und der eigentlichen Reichsleitnng entrückten Hintergrund zurückgetreten.

Daß man in urtheilsfähigem Kreisen einen derartigen Wandel für ohne
weiteres durchführbar erachtete, daß namentlich Sir Austin Layard, noch bis
ganz kurz vor der Entlassung des Großwesirs, dessen Sieg für wahrscheinlich
hielt, und namentlich letzterer selbst schließlich durchzudringen hoffte, muß über¬
raschen. Andrerseits ist der Gedanke, eine Reform des türkischen Staatswesens
von oben her durch Zurückdrängung der unbeschränkten Sultansmacht in die
von den Landesinteressen erheischten Grenzen herbeizuführen, durchaus nicht
neu. Bereits zwei andere frühere Großwesire, die nicht sehr weit auseinander


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[0307] Kategorieen. Die erste derselben bezog sich wesentlich auf eine Purifizirung des Ministeriums von den ihm selber am meisten widerstrebenden Mitgliedern. Sie war mithin vorwiegend personaler Natur und wendete sich direkt gegen den Serasker Ghasy Osman Pascha, den Justizminister Said Pascha (auch „der kleine Said" im Unterschiede von dem ehemaligen Palast-Marschall gleichen Namens genannt) und gegen mehrere andere Großen. Die zweite Kategorie seiner Forderungen bezog sich auf prinzipielle Fragen, und hier spielte Khereddin Pascha vorzeitig Trümpfe aus, die er sich ursprünglich für eine spätere Periode hatte reserviren wollen. Damit trat er mit seinem, wie es scheint, bis dahin selbst vor dem Monarchen verborgen gehaltenen Programm für die innere Politik des Reichs offen hin. Sein Hauptverlangen lief auf die Einführung einer verantwortlichen Negierung hinaus und auf die Schaffung eines homo¬ genen, durch den Premier selber zu formireuden Ministeriums. Namentlich nahm er für den Chef desselben, d. h. für sich selber, das unbedingte und keiner Einsprache des Souveräns unterliegende Recht in Anspruch, alle im Kabinet stimmberechtigten Ressortminister auszuwählen, wonach dem Monarchen selber nur die nachträgliche Bestätigung derselben vorbehalten bleiben sollte. Diesem Modus entsprechend hätte jeder Departements-Vorstand (Minister) seine höchsten Räthe zu ernennen gehabt, ebenfalls vorbehaltlich der Sanktion derselben durch den Sultan. Niemand kann sich verbergen, daß diese Vorschläge Khereddin Pascha's, wenn sie durch Abdul Hamid angenommen worden wären, dessen Prärogative außerordentlich beschränkt und ihm wesentlich nnr die Befugnisse eines konstitutionelle!: Fürsten gelassen haben würden, umsomehr, da der Padi- schah, den angeführten Propositionen entsprechend, sich jeder direkten Einmischung in die Regierungsgeschäfte enthalten und den mit Stimmenmehrheit getroffenen Beschlüssen des Kabinets gegenüber sich ans die Alternative beschränkt sehen sollte, dieselben zu sanktioniren oder das Ministerium zu entlassen, um einen Vertrauensmann in der vorher erwähnten Form mit der Zusammensetzung eines neuen zu beauftragen. Thatsächlich wäre der türkische Autokrat damit aus dem beherrschenden Vordergründe der politischen Szene in deren abge¬ legenen und der eigentlichen Reichsleitnng entrückten Hintergrund zurückgetreten. Daß man in urtheilsfähigem Kreisen einen derartigen Wandel für ohne weiteres durchführbar erachtete, daß namentlich Sir Austin Layard, noch bis ganz kurz vor der Entlassung des Großwesirs, dessen Sieg für wahrscheinlich hielt, und namentlich letzterer selbst schließlich durchzudringen hoffte, muß über¬ raschen. Andrerseits ist der Gedanke, eine Reform des türkischen Staatswesens von oben her durch Zurückdrängung der unbeschränkten Sultansmacht in die von den Landesinteressen erheischten Grenzen herbeizuführen, durchaus nicht neu. Bereits zwei andere frühere Großwesire, die nicht sehr weit auseinander

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/307>, abgerufen am 27.11.2024.