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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Kompensation für das zu bieten, was in Aegypten, durch Rücknahme des
Fermans vom Jahre 1873, ihm verloren gehen werde. Die bezügliche Kom¬
bination bekundete ein nicht gewöhnliches politisches Geschick und bezeugte
zugleich ein feines Verständniß für den Zusammenhang und die Wechselbe¬
ziehungen der betreffenden Dinge und namentlich für die ans der Lage des
englischen Ministeriums und seiner Stellung gegenüber der Opposition sich für
dasselbe ergebenden Bedürfnisse. Mit dem Hinweis auf die in der türkischen
Reform-Angelegenheit endlich errungenen Erfolge sollten die Tory-Minister in
den Stand gesetzt werden, ihre Gegner mnndtodt zu macheu. Dennoch lag
dem Plane eine Ueberschätzung des eignen Könnens zu Grunde, und es war
vorauszusehen, daß diese sich bitter rächen mußte. Wenn Khereddin Pascha die
Verantwortlichkeit dasür uicht allein zu tragen hat, indem ein Theil derselben
wohl seinem Freunde und Gönner, Sir Austin Layard, unbedenklich zugeschrieben
werden darf, so mindert dieser Umstand nicht die Größe des durch den Gro߬
wesir begangenen Fehlers. Das von ihm verfolgte Doppelziel trug eine Zwei-
heit in seine Bestrebungen hinein, die den Erfolg beeinträchtigen mußte. Einer¬
seits waren diese Bestrebungen in Betreff Aegypten's England und Frankreich
beinahe feindlich entgegengewendet, und andrerseits kam es Khereddin darauf
an, in der ersteren Macht und deren Einfluß eine persönliche Stütze für sich
selber zu gewinnen. Daß er schließlich in beiden Richtungen nicht reussirte,
mußte seinen Fall unvermeidlich machen. Die Noten, welche er am Vormittag
durch Karatheodory Pascha in der ciegyptischen Angelegenheit schreiben ließ
und die manche bittere Pille für England enthielten, war er am Nachmittag
bemüht durch weitreichende Versprechungen, welche er an den britischen Bot¬
schafter in der Reformfrage ertheilte, zu überzuckern. Daß er mit einem solchen
System nicht zum Ziele gelangen werde, mußte jedem Unbefangenen von vorn¬
herein klar sein; an: wenigsten aber konnten seine erbitterten Feinde sich über
den endlichen Ausgang einer Täuschung hingeben.

Bald trat denn auch der Augenblick ein, wo England sich nicht länger
mit Redensarten Hinhalten ließ, weder in der aegyptischen Angelegenheit, noch
in der türkisch-asiatischen Reformfrage. Da entschloß sich Khereddin Pascha in
der letzteren zu einem energischen und entschiedenen Vorgehen. Nachdem mehrere
Audienzen, die er beim Sultan gehabt, und in denen er ihn auf die beabsich¬
tigten Schritte vorzubereiten gesucht hatte, vorangegangen waren, reichte er
am 17. Juli dem Monarchen ein Eutlassungsgesuch ein, in welchem abermals
nicht ohne Geschick der Hauptaceent auf den umzugestaltenden Regierungs-
modns gelegt war. Er machte sein Verbleiben an der Spitze des Kabinets
davon abhängig, daß ihm gewisse weitreichende Forderungen zugestanden
würden, die er unter zwölf Punkte formulirte. Dieselben theilten sich in zwei


Kompensation für das zu bieten, was in Aegypten, durch Rücknahme des
Fermans vom Jahre 1873, ihm verloren gehen werde. Die bezügliche Kom¬
bination bekundete ein nicht gewöhnliches politisches Geschick und bezeugte
zugleich ein feines Verständniß für den Zusammenhang und die Wechselbe¬
ziehungen der betreffenden Dinge und namentlich für die ans der Lage des
englischen Ministeriums und seiner Stellung gegenüber der Opposition sich für
dasselbe ergebenden Bedürfnisse. Mit dem Hinweis auf die in der türkischen
Reform-Angelegenheit endlich errungenen Erfolge sollten die Tory-Minister in
den Stand gesetzt werden, ihre Gegner mnndtodt zu macheu. Dennoch lag
dem Plane eine Ueberschätzung des eignen Könnens zu Grunde, und es war
vorauszusehen, daß diese sich bitter rächen mußte. Wenn Khereddin Pascha die
Verantwortlichkeit dasür uicht allein zu tragen hat, indem ein Theil derselben
wohl seinem Freunde und Gönner, Sir Austin Layard, unbedenklich zugeschrieben
werden darf, so mindert dieser Umstand nicht die Größe des durch den Gro߬
wesir begangenen Fehlers. Das von ihm verfolgte Doppelziel trug eine Zwei-
heit in seine Bestrebungen hinein, die den Erfolg beeinträchtigen mußte. Einer¬
seits waren diese Bestrebungen in Betreff Aegypten's England und Frankreich
beinahe feindlich entgegengewendet, und andrerseits kam es Khereddin darauf
an, in der ersteren Macht und deren Einfluß eine persönliche Stütze für sich
selber zu gewinnen. Daß er schließlich in beiden Richtungen nicht reussirte,
mußte seinen Fall unvermeidlich machen. Die Noten, welche er am Vormittag
durch Karatheodory Pascha in der ciegyptischen Angelegenheit schreiben ließ
und die manche bittere Pille für England enthielten, war er am Nachmittag
bemüht durch weitreichende Versprechungen, welche er an den britischen Bot¬
schafter in der Reformfrage ertheilte, zu überzuckern. Daß er mit einem solchen
System nicht zum Ziele gelangen werde, mußte jedem Unbefangenen von vorn¬
herein klar sein; an: wenigsten aber konnten seine erbitterten Feinde sich über
den endlichen Ausgang einer Täuschung hingeben.

Bald trat denn auch der Augenblick ein, wo England sich nicht länger
mit Redensarten Hinhalten ließ, weder in der aegyptischen Angelegenheit, noch
in der türkisch-asiatischen Reformfrage. Da entschloß sich Khereddin Pascha in
der letzteren zu einem energischen und entschiedenen Vorgehen. Nachdem mehrere
Audienzen, die er beim Sultan gehabt, und in denen er ihn auf die beabsich¬
tigten Schritte vorzubereiten gesucht hatte, vorangegangen waren, reichte er
am 17. Juli dem Monarchen ein Eutlassungsgesuch ein, in welchem abermals
nicht ohne Geschick der Hauptaceent auf den umzugestaltenden Regierungs-
modns gelegt war. Er machte sein Verbleiben an der Spitze des Kabinets
davon abhängig, daß ihm gewisse weitreichende Forderungen zugestanden
würden, die er unter zwölf Punkte formulirte. Dieselben theilten sich in zwei


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[0306] Kompensation für das zu bieten, was in Aegypten, durch Rücknahme des Fermans vom Jahre 1873, ihm verloren gehen werde. Die bezügliche Kom¬ bination bekundete ein nicht gewöhnliches politisches Geschick und bezeugte zugleich ein feines Verständniß für den Zusammenhang und die Wechselbe¬ ziehungen der betreffenden Dinge und namentlich für die ans der Lage des englischen Ministeriums und seiner Stellung gegenüber der Opposition sich für dasselbe ergebenden Bedürfnisse. Mit dem Hinweis auf die in der türkischen Reform-Angelegenheit endlich errungenen Erfolge sollten die Tory-Minister in den Stand gesetzt werden, ihre Gegner mnndtodt zu macheu. Dennoch lag dem Plane eine Ueberschätzung des eignen Könnens zu Grunde, und es war vorauszusehen, daß diese sich bitter rächen mußte. Wenn Khereddin Pascha die Verantwortlichkeit dasür uicht allein zu tragen hat, indem ein Theil derselben wohl seinem Freunde und Gönner, Sir Austin Layard, unbedenklich zugeschrieben werden darf, so mindert dieser Umstand nicht die Größe des durch den Gro߬ wesir begangenen Fehlers. Das von ihm verfolgte Doppelziel trug eine Zwei- heit in seine Bestrebungen hinein, die den Erfolg beeinträchtigen mußte. Einer¬ seits waren diese Bestrebungen in Betreff Aegypten's England und Frankreich beinahe feindlich entgegengewendet, und andrerseits kam es Khereddin darauf an, in der ersteren Macht und deren Einfluß eine persönliche Stütze für sich selber zu gewinnen. Daß er schließlich in beiden Richtungen nicht reussirte, mußte seinen Fall unvermeidlich machen. Die Noten, welche er am Vormittag durch Karatheodory Pascha in der ciegyptischen Angelegenheit schreiben ließ und die manche bittere Pille für England enthielten, war er am Nachmittag bemüht durch weitreichende Versprechungen, welche er an den britischen Bot¬ schafter in der Reformfrage ertheilte, zu überzuckern. Daß er mit einem solchen System nicht zum Ziele gelangen werde, mußte jedem Unbefangenen von vorn¬ herein klar sein; an: wenigsten aber konnten seine erbitterten Feinde sich über den endlichen Ausgang einer Täuschung hingeben. Bald trat denn auch der Augenblick ein, wo England sich nicht länger mit Redensarten Hinhalten ließ, weder in der aegyptischen Angelegenheit, noch in der türkisch-asiatischen Reformfrage. Da entschloß sich Khereddin Pascha in der letzteren zu einem energischen und entschiedenen Vorgehen. Nachdem mehrere Audienzen, die er beim Sultan gehabt, und in denen er ihn auf die beabsich¬ tigten Schritte vorzubereiten gesucht hatte, vorangegangen waren, reichte er am 17. Juli dem Monarchen ein Eutlassungsgesuch ein, in welchem abermals nicht ohne Geschick der Hauptaceent auf den umzugestaltenden Regierungs- modns gelegt war. Er machte sein Verbleiben an der Spitze des Kabinets davon abhängig, daß ihm gewisse weitreichende Forderungen zugestanden würden, die er unter zwölf Punkte formulirte. Dieselben theilten sich in zwei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/306>, abgerufen am 01.09.2024.