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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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in jenen Tagen zum ersten Mal zur Einreichnng eines motivirten Entlassungs¬
gesuchs an den Sultan veranlaßt sah. Dasselbe wurde nicht angenommen.
Im Gegentheil gab der Monarch dem leitenden Staatsmanne die bündigsten
Zusicherungen seines unverminderten Vertrauens, begleitet von Geschenken, die
absichtlich so gewählt worden waren, daß sie in die Augen fallen mußten.
Die Gründe, die damals den Sultan mit solcher Entschiedenheit an seinem
reformlustigen Großwesir festhalten ließen, lagen wesentlich in dem Eifer, mit
dem damals Frankreich und England, namentlich das letztere, wie es neuer¬
dings sich herausgestellt hat, dessen Verbleiben im Amte befürworteten. Ob es
damals zu einer förmlichen, gemeinsamen Intervention der beiden Mächte zu
Gunsten Khereddin Pascha's gekommen ist, darüber liegt nichts Bestimmtes vor.
Die politische Lage an sich, innerhalb deren die noch unerledigte ostrmnelische
Angelegenheit die erste Stelle einnahm, gab den von London und Paris aus
hierher gelangenden Wünschen ein besonderes Gewicht.

Das Problem des Großwesirs bestand nun im Wesentlichen darin, auch
für die Zukunft sich die Unterstützung durch den französischen und englischen
Einfluß zu wahren und dabei zugleich seine dominirende Stellung im Jildis-
Kiosk nicht zu verlieren. Im März und April hatte er bei den hierauf ab¬
zielenden Versuchen mehr Glück als später. Mit großem Geschick wußte er
damals die eigene Barke in der Mitte der Strömung zu erhalten und die von
links und rechts her drohenden Klippen und Untiefen zu vermeiden.

Da erhob sich Ende April die viel verzweigte, nicht nnr England und
Frankreich, sondern namentlich die Türkei selber aufs entschiedenste berüh¬
rende aegyptische Frage. Der Plan des Großwesirs scheint alsbald fest¬
gestanden zu haben, und er war nicht minder umsichtig den Interessen des von
ihm geleiteten Reichs wie seinen persönlichen angepaßt. Unter möglichster
Schonung der englischen wie der französischen Empfindlichkeit glaubte er dennoch
diesen beiden Mächten in der aegyptischen Frage schließlich ein Schnippchen
schlagen und den osmanischen Interessen am Nil zur Geltung verhelfen zu
können. Mit der Anerkennung des Sultans für diesen wichtigen Dienst aber
hoffte er zugleich diejenige des türkischen Volks, und in beiden ein mächtiges
Gegengewicht gegen seine Feinde in und außerhalb des Kabinets zu gewinnen.
Die näheren Umrisse des auf die äußere Politik bezugnehmenden Theiles seiner
Pläne sind kürzlich in einem Artikel der "Grenzboten" ("Zur türkisch-aegypti¬
schen Politik") zu zeichnen versucht worden. Indeß blieb Khereddin's persön¬
licher Kalkül dabei nnbesprocheu. Alles, was man in dieser Hinsicht in den
jüngsten Wochen beobachten konnte, vereinigt sich zu dem Gesammteindrncke,
daß er die Idee verfolgte, durch eine energische Unterstützung der englischen
Reformprojekte für die asiatische Türkei dein britischen Ministerium eine


in jenen Tagen zum ersten Mal zur Einreichnng eines motivirten Entlassungs¬
gesuchs an den Sultan veranlaßt sah. Dasselbe wurde nicht angenommen.
Im Gegentheil gab der Monarch dem leitenden Staatsmanne die bündigsten
Zusicherungen seines unverminderten Vertrauens, begleitet von Geschenken, die
absichtlich so gewählt worden waren, daß sie in die Augen fallen mußten.
Die Gründe, die damals den Sultan mit solcher Entschiedenheit an seinem
reformlustigen Großwesir festhalten ließen, lagen wesentlich in dem Eifer, mit
dem damals Frankreich und England, namentlich das letztere, wie es neuer¬
dings sich herausgestellt hat, dessen Verbleiben im Amte befürworteten. Ob es
damals zu einer förmlichen, gemeinsamen Intervention der beiden Mächte zu
Gunsten Khereddin Pascha's gekommen ist, darüber liegt nichts Bestimmtes vor.
Die politische Lage an sich, innerhalb deren die noch unerledigte ostrmnelische
Angelegenheit die erste Stelle einnahm, gab den von London und Paris aus
hierher gelangenden Wünschen ein besonderes Gewicht.

Das Problem des Großwesirs bestand nun im Wesentlichen darin, auch
für die Zukunft sich die Unterstützung durch den französischen und englischen
Einfluß zu wahren und dabei zugleich seine dominirende Stellung im Jildis-
Kiosk nicht zu verlieren. Im März und April hatte er bei den hierauf ab¬
zielenden Versuchen mehr Glück als später. Mit großem Geschick wußte er
damals die eigene Barke in der Mitte der Strömung zu erhalten und die von
links und rechts her drohenden Klippen und Untiefen zu vermeiden.

Da erhob sich Ende April die viel verzweigte, nicht nnr England und
Frankreich, sondern namentlich die Türkei selber aufs entschiedenste berüh¬
rende aegyptische Frage. Der Plan des Großwesirs scheint alsbald fest¬
gestanden zu haben, und er war nicht minder umsichtig den Interessen des von
ihm geleiteten Reichs wie seinen persönlichen angepaßt. Unter möglichster
Schonung der englischen wie der französischen Empfindlichkeit glaubte er dennoch
diesen beiden Mächten in der aegyptischen Frage schließlich ein Schnippchen
schlagen und den osmanischen Interessen am Nil zur Geltung verhelfen zu
können. Mit der Anerkennung des Sultans für diesen wichtigen Dienst aber
hoffte er zugleich diejenige des türkischen Volks, und in beiden ein mächtiges
Gegengewicht gegen seine Feinde in und außerhalb des Kabinets zu gewinnen.
Die näheren Umrisse des auf die äußere Politik bezugnehmenden Theiles seiner
Pläne sind kürzlich in einem Artikel der „Grenzboten" („Zur türkisch-aegypti¬
schen Politik") zu zeichnen versucht worden. Indeß blieb Khereddin's persön¬
licher Kalkül dabei nnbesprocheu. Alles, was man in dieser Hinsicht in den
jüngsten Wochen beobachten konnte, vereinigt sich zu dem Gesammteindrncke,
daß er die Idee verfolgte, durch eine energische Unterstützung der englischen
Reformprojekte für die asiatische Türkei dein britischen Ministerium eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/305>, abgerufen am 27.11.2024.