Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

den Juden das Bestreben vorhanden war, den großen König zu dem ihrigen
zu machen oder wenigstens zu ihm in nahe Beziehung zu treten. Im ganzen
sind es sieben Sagen, welche sich im Talmud (und Midrasch) über Alexander
finden.

Die erste derselben, im talmudischen Traktat Joma aufbewahrt, berichtet,
wie die Samaritaner die Gegenwart des großen Eroberers in Palästina be¬
nutzten, um die Juden anzuschwärzen und daraus Vortheile für ihren Glauben
zu ziehen. Die Juden bekamen davon Kunde, und so zog eine Deputation
von Priestern und Leviten, an ihrer Spitze der Hohepriester Simeon der Ge¬
rechte, mit Fackeln dem Könige entgegen, um sich zu rechtfertigen. Als Alexander
den in seine heiligen Gewänder gehüllten Hohenpriester sah, sprang er vom
Wagen und sprach zu seiner Umgebung: Das Bild dieses Priesters sah ich
im Traume, so oft ich in eine Schlacht zog und siegte. Dann nahm er die
Juden freundlich auf, überhäufte sie mit Gunstbezeugungen, und anstatt ihres
Tempels wurde der Tempel der Samaritaner zerstört.

Mit einigen Modifikationen begegnen wir dieser Sage auch bei Josephus
(XI, 8, 3--6). Nach dessen Darstellung hielt Alexander seinen Einzug in
Jerusalem, besuchte den Tempel, opferte daselbst und vertheilte an die Priester
Geschenke. Diese zeigten ihm das Buch Daniel und lasen ihm die Stelle vor
(8,21), wo von einem zottigen Ziegenbock die Rede ist, welcher den Widder
am Flusse Mai umstößt. Diese Worte des Propheten deuteten sie auf ihn
und sagten, er sei der Ziegenbock und werde den Widder am Mai, unter dem
sie das persische Reich verstanden, niederwerfen. Alexander, der sich durch diese
Deutung sehr geschmeichelt fühlte, machte den Juden mancherlei Zusicherungen.
Nach späteren jüdischen Dichtern forderte er die Aufstellung seiner Statue im
Tempel. Dies verweigerten die Priester, versprachen ihm aber, ihm ein dau¬
ernderes und würdigeres Denkmal zu setzen, indem alle in diesem Jahre ge¬
borenen Priestersöhne seinen Namen führen sollten.

Wenn auch der talmudische Bericht nach manchen Seiten die historische
Treue vermissen läßt und nicht frei von Anachronismen ist -- der Hohepriester
Simeon der Gerechte z. B. lebte gar nicht zu Alexander's Zeit"), und auch die
Zerstörung des samaritcmischen Tempels auf Garizim erfolgte 200 Jahre später
durch Johann Hyrkan I. --, so läßt sich doch ein Zusammentreffen Alexander's
mit den Vertretern des jüdischen Gemeinwesens nicht in Zweifel ziehen. Auch
sein freundliches Auftreten gegen die Juden ist nicht ohne weiteres in Frage
zu stellen. Da Alexander den unterworfenen Völkern ihre religiösen Anschau-



Obwohl nach dem Bericht des Josephus chronologisch richtiger Jaddua, der Gro߬
vater des Simeon, den imposanten Eindruck auf den makedonischer Sieger macht, so hat
doch auch-seine Darstellung nur den Werth einer weitverbreiteten Sage.

den Juden das Bestreben vorhanden war, den großen König zu dem ihrigen
zu machen oder wenigstens zu ihm in nahe Beziehung zu treten. Im ganzen
sind es sieben Sagen, welche sich im Talmud (und Midrasch) über Alexander
finden.

Die erste derselben, im talmudischen Traktat Joma aufbewahrt, berichtet,
wie die Samaritaner die Gegenwart des großen Eroberers in Palästina be¬
nutzten, um die Juden anzuschwärzen und daraus Vortheile für ihren Glauben
zu ziehen. Die Juden bekamen davon Kunde, und so zog eine Deputation
von Priestern und Leviten, an ihrer Spitze der Hohepriester Simeon der Ge¬
rechte, mit Fackeln dem Könige entgegen, um sich zu rechtfertigen. Als Alexander
den in seine heiligen Gewänder gehüllten Hohenpriester sah, sprang er vom
Wagen und sprach zu seiner Umgebung: Das Bild dieses Priesters sah ich
im Traume, so oft ich in eine Schlacht zog und siegte. Dann nahm er die
Juden freundlich auf, überhäufte sie mit Gunstbezeugungen, und anstatt ihres
Tempels wurde der Tempel der Samaritaner zerstört.

Mit einigen Modifikationen begegnen wir dieser Sage auch bei Josephus
(XI, 8, 3—6). Nach dessen Darstellung hielt Alexander seinen Einzug in
Jerusalem, besuchte den Tempel, opferte daselbst und vertheilte an die Priester
Geschenke. Diese zeigten ihm das Buch Daniel und lasen ihm die Stelle vor
(8,21), wo von einem zottigen Ziegenbock die Rede ist, welcher den Widder
am Flusse Mai umstößt. Diese Worte des Propheten deuteten sie auf ihn
und sagten, er sei der Ziegenbock und werde den Widder am Mai, unter dem
sie das persische Reich verstanden, niederwerfen. Alexander, der sich durch diese
Deutung sehr geschmeichelt fühlte, machte den Juden mancherlei Zusicherungen.
Nach späteren jüdischen Dichtern forderte er die Aufstellung seiner Statue im
Tempel. Dies verweigerten die Priester, versprachen ihm aber, ihm ein dau¬
ernderes und würdigeres Denkmal zu setzen, indem alle in diesem Jahre ge¬
borenen Priestersöhne seinen Namen führen sollten.

Wenn auch der talmudische Bericht nach manchen Seiten die historische
Treue vermissen läßt und nicht frei von Anachronismen ist — der Hohepriester
Simeon der Gerechte z. B. lebte gar nicht zu Alexander's Zeit"), und auch die
Zerstörung des samaritcmischen Tempels auf Garizim erfolgte 200 Jahre später
durch Johann Hyrkan I. —, so läßt sich doch ein Zusammentreffen Alexander's
mit den Vertretern des jüdischen Gemeinwesens nicht in Zweifel ziehen. Auch
sein freundliches Auftreten gegen die Juden ist nicht ohne weiteres in Frage
zu stellen. Da Alexander den unterworfenen Völkern ihre religiösen Anschau-



Obwohl nach dem Bericht des Josephus chronologisch richtiger Jaddua, der Gro߬
vater des Simeon, den imposanten Eindruck auf den makedonischer Sieger macht, so hat
doch auch-seine Darstellung nur den Werth einer weitverbreiteten Sage.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142773"/>
          <p xml:id="ID_822" prev="#ID_821"> den Juden das Bestreben vorhanden war, den großen König zu dem ihrigen<lb/>
zu machen oder wenigstens zu ihm in nahe Beziehung zu treten. Im ganzen<lb/>
sind es sieben Sagen, welche sich im Talmud (und Midrasch) über Alexander<lb/>
finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_823"> Die erste derselben, im talmudischen Traktat Joma aufbewahrt, berichtet,<lb/>
wie die Samaritaner die Gegenwart des großen Eroberers in Palästina be¬<lb/>
nutzten, um die Juden anzuschwärzen und daraus Vortheile für ihren Glauben<lb/>
zu ziehen. Die Juden bekamen davon Kunde, und so zog eine Deputation<lb/>
von Priestern und Leviten, an ihrer Spitze der Hohepriester Simeon der Ge¬<lb/>
rechte, mit Fackeln dem Könige entgegen, um sich zu rechtfertigen. Als Alexander<lb/>
den in seine heiligen Gewänder gehüllten Hohenpriester sah, sprang er vom<lb/>
Wagen und sprach zu seiner Umgebung: Das Bild dieses Priesters sah ich<lb/>
im Traume, so oft ich in eine Schlacht zog und siegte. Dann nahm er die<lb/>
Juden freundlich auf, überhäufte sie mit Gunstbezeugungen, und anstatt ihres<lb/>
Tempels wurde der Tempel der Samaritaner zerstört.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_824"> Mit einigen Modifikationen begegnen wir dieser Sage auch bei Josephus<lb/>
(XI, 8, 3&#x2014;6). Nach dessen Darstellung hielt Alexander seinen Einzug in<lb/>
Jerusalem, besuchte den Tempel, opferte daselbst und vertheilte an die Priester<lb/>
Geschenke. Diese zeigten ihm das Buch Daniel und lasen ihm die Stelle vor<lb/>
(8,21), wo von einem zottigen Ziegenbock die Rede ist, welcher den Widder<lb/>
am Flusse Mai umstößt. Diese Worte des Propheten deuteten sie auf ihn<lb/>
und sagten, er sei der Ziegenbock und werde den Widder am Mai, unter dem<lb/>
sie das persische Reich verstanden, niederwerfen. Alexander, der sich durch diese<lb/>
Deutung sehr geschmeichelt fühlte, machte den Juden mancherlei Zusicherungen.<lb/>
Nach späteren jüdischen Dichtern forderte er die Aufstellung seiner Statue im<lb/>
Tempel. Dies verweigerten die Priester, versprachen ihm aber, ihm ein dau¬<lb/>
ernderes und würdigeres Denkmal zu setzen, indem alle in diesem Jahre ge¬<lb/>
borenen Priestersöhne seinen Namen führen sollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_825" next="#ID_826"> Wenn auch der talmudische Bericht nach manchen Seiten die historische<lb/>
Treue vermissen läßt und nicht frei von Anachronismen ist &#x2014; der Hohepriester<lb/>
Simeon der Gerechte z. B. lebte gar nicht zu Alexander's Zeit"), und auch die<lb/>
Zerstörung des samaritcmischen Tempels auf Garizim erfolgte 200 Jahre später<lb/>
durch Johann Hyrkan I. &#x2014;, so läßt sich doch ein Zusammentreffen Alexander's<lb/>
mit den Vertretern des jüdischen Gemeinwesens nicht in Zweifel ziehen. Auch<lb/>
sein freundliches Auftreten gegen die Juden ist nicht ohne weiteres in Frage<lb/>
zu stellen. Da Alexander den unterworfenen Völkern ihre religiösen Anschau-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_21" place="foot"> Obwohl nach dem Bericht des Josephus chronologisch richtiger Jaddua, der Gro߬<lb/>
vater des Simeon, den imposanten Eindruck auf den makedonischer Sieger macht, so hat<lb/>
doch auch-seine Darstellung nur den Werth einer weitverbreiteten Sage.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] den Juden das Bestreben vorhanden war, den großen König zu dem ihrigen zu machen oder wenigstens zu ihm in nahe Beziehung zu treten. Im ganzen sind es sieben Sagen, welche sich im Talmud (und Midrasch) über Alexander finden. Die erste derselben, im talmudischen Traktat Joma aufbewahrt, berichtet, wie die Samaritaner die Gegenwart des großen Eroberers in Palästina be¬ nutzten, um die Juden anzuschwärzen und daraus Vortheile für ihren Glauben zu ziehen. Die Juden bekamen davon Kunde, und so zog eine Deputation von Priestern und Leviten, an ihrer Spitze der Hohepriester Simeon der Ge¬ rechte, mit Fackeln dem Könige entgegen, um sich zu rechtfertigen. Als Alexander den in seine heiligen Gewänder gehüllten Hohenpriester sah, sprang er vom Wagen und sprach zu seiner Umgebung: Das Bild dieses Priesters sah ich im Traume, so oft ich in eine Schlacht zog und siegte. Dann nahm er die Juden freundlich auf, überhäufte sie mit Gunstbezeugungen, und anstatt ihres Tempels wurde der Tempel der Samaritaner zerstört. Mit einigen Modifikationen begegnen wir dieser Sage auch bei Josephus (XI, 8, 3—6). Nach dessen Darstellung hielt Alexander seinen Einzug in Jerusalem, besuchte den Tempel, opferte daselbst und vertheilte an die Priester Geschenke. Diese zeigten ihm das Buch Daniel und lasen ihm die Stelle vor (8,21), wo von einem zottigen Ziegenbock die Rede ist, welcher den Widder am Flusse Mai umstößt. Diese Worte des Propheten deuteten sie auf ihn und sagten, er sei der Ziegenbock und werde den Widder am Mai, unter dem sie das persische Reich verstanden, niederwerfen. Alexander, der sich durch diese Deutung sehr geschmeichelt fühlte, machte den Juden mancherlei Zusicherungen. Nach späteren jüdischen Dichtern forderte er die Aufstellung seiner Statue im Tempel. Dies verweigerten die Priester, versprachen ihm aber, ihm ein dau¬ ernderes und würdigeres Denkmal zu setzen, indem alle in diesem Jahre ge¬ borenen Priestersöhne seinen Namen führen sollten. Wenn auch der talmudische Bericht nach manchen Seiten die historische Treue vermissen läßt und nicht frei von Anachronismen ist — der Hohepriester Simeon der Gerechte z. B. lebte gar nicht zu Alexander's Zeit"), und auch die Zerstörung des samaritcmischen Tempels auf Garizim erfolgte 200 Jahre später durch Johann Hyrkan I. —, so läßt sich doch ein Zusammentreffen Alexander's mit den Vertretern des jüdischen Gemeinwesens nicht in Zweifel ziehen. Auch sein freundliches Auftreten gegen die Juden ist nicht ohne weiteres in Frage zu stellen. Da Alexander den unterworfenen Völkern ihre religiösen Anschau- Obwohl nach dem Bericht des Josephus chronologisch richtiger Jaddua, der Gro߬ vater des Simeon, den imposanten Eindruck auf den makedonischer Sieger macht, so hat doch auch-seine Darstellung nur den Werth einer weitverbreiteten Sage.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/276>, abgerufen am 01.09.2024.