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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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die ein ähnliches Thema wie die oben genannten behandelt, ist ein Schub¬
karren voll Baumaterial. Leider bleiben nur die Körner bei solcher Arbeit Karner
und werden im Leben keine Baumeister. Jene Themata geben nicht nur keinen
Maßstab für die philologische Durchbildung des Examinanden ab, sondern sie
sind in vielen Fällen geradezu ein Mißbrauch, der mit seiner Zeit und Kraft
getrieben wird. Hat es denn mit dem Neubau gar so große Eile? Wenn die
Philologen an den Universitäten gern wissen wollen, wie es in Wahrheit um die
Gesetze und die geschichtliche Entwickelung der griechischen und lateinischen
Syntax steht, so mögen sie doch dergleichen Arbeiten in Gottes Namen machen;
sie werden sicher auch unter den Studenten eine Anzahl freiwilliger Helfer
finden, und auch in der Lehrerwelt wird es nicht an Leuten fehlen, die sich
aus eignem Antrieb an der Arbeit betheiligen und die Resultate ihrer Studien
gelegentlich in Schulprvgrammen und Zeitschriften mittheilen werden. Ob diese
ganze Arbeit aber zwanzig oder fünfzig Jahre dauert, ist doch wirklich gleich-
giltig. Einem Studenten, der vielleicht während seiner ganzen Studienzeit
-- verständigerweise! -- die Grammatik immer nur als Mittel zum Zweck be¬
trachtet hat, dem die Philologie nicht in der Grammatik aufgegangen ist, der
sich vor allen Dingen bemüht hat, in den Geist und Inhalt der alten Schrift¬
steller und Dichter einzudringen, in der griechischen und römischen Geschichte
und Archäologie heimisch zu werden, am Schlüsse seiner Studien ein Thema
wie das über die Präposition 7r-?t bei Xenophon an den Hals zu hängen, ist
nicht nur unnütz, denn der Examinand lernt fast nichts dabei, und aus der
einfachen Interpretation einer gegebenen Textstelle, wie sie in früherer Zeit fast
regelmäßig beim Examen gefordert wurde, könnte zehnmal besser ersehen werden,
was er gelernt hat, nein, es ist geradezu eine Grausamkeit. In studentischen
Kreisen werden denn auch diese Themata meist mit Achselzucken und mit einer
Art von Galgenhumor hingenommen. Von einem jungen Archäologen, der
auch mit dergleichen beglückt worden war, erzählt man, daß er, um doch
wenigstens einen Spaß bei der langweiligen Geschichte zu haben, sich zwei
Exemplare des betreffenden Schriftstellers in der Tauchnitz-Ausgabe gekauft,
die sämmtlichen einschlägigen Stellen angestrichen und herausgeschnitten und an
Schnüren, die er wie Wäschleinen in seinem Zimmer gezogen, aufgehängt habe,
um sie dann einzeln nach Bedarf herunterzulangen und abzuhaspeln. Das
Mechanische und Fabrikmäßige jener Arbeiten kann keine drolligere Kritik er¬
fahren als durch diese studentische Trockenstube.

Trotz der Leipziger und Berliner Entdeckung, trotz einzelner Annullirungen
und Remotionen wird natürlich das betrügerische Treiben mit den Examen¬
arbeiten ebenso wie der Doktordiplomschwindel ruhig weiter gehen. Das Bei¬
blatt des "Kladderadatsch", dessen eine Seite ja stets einen wahren Inseraten-


die ein ähnliches Thema wie die oben genannten behandelt, ist ein Schub¬
karren voll Baumaterial. Leider bleiben nur die Körner bei solcher Arbeit Karner
und werden im Leben keine Baumeister. Jene Themata geben nicht nur keinen
Maßstab für die philologische Durchbildung des Examinanden ab, sondern sie
sind in vielen Fällen geradezu ein Mißbrauch, der mit seiner Zeit und Kraft
getrieben wird. Hat es denn mit dem Neubau gar so große Eile? Wenn die
Philologen an den Universitäten gern wissen wollen, wie es in Wahrheit um die
Gesetze und die geschichtliche Entwickelung der griechischen und lateinischen
Syntax steht, so mögen sie doch dergleichen Arbeiten in Gottes Namen machen;
sie werden sicher auch unter den Studenten eine Anzahl freiwilliger Helfer
finden, und auch in der Lehrerwelt wird es nicht an Leuten fehlen, die sich
aus eignem Antrieb an der Arbeit betheiligen und die Resultate ihrer Studien
gelegentlich in Schulprvgrammen und Zeitschriften mittheilen werden. Ob diese
ganze Arbeit aber zwanzig oder fünfzig Jahre dauert, ist doch wirklich gleich-
giltig. Einem Studenten, der vielleicht während seiner ganzen Studienzeit
— verständigerweise! — die Grammatik immer nur als Mittel zum Zweck be¬
trachtet hat, dem die Philologie nicht in der Grammatik aufgegangen ist, der
sich vor allen Dingen bemüht hat, in den Geist und Inhalt der alten Schrift¬
steller und Dichter einzudringen, in der griechischen und römischen Geschichte
und Archäologie heimisch zu werden, am Schlüsse seiner Studien ein Thema
wie das über die Präposition 7r-?t bei Xenophon an den Hals zu hängen, ist
nicht nur unnütz, denn der Examinand lernt fast nichts dabei, und aus der
einfachen Interpretation einer gegebenen Textstelle, wie sie in früherer Zeit fast
regelmäßig beim Examen gefordert wurde, könnte zehnmal besser ersehen werden,
was er gelernt hat, nein, es ist geradezu eine Grausamkeit. In studentischen
Kreisen werden denn auch diese Themata meist mit Achselzucken und mit einer
Art von Galgenhumor hingenommen. Von einem jungen Archäologen, der
auch mit dergleichen beglückt worden war, erzählt man, daß er, um doch
wenigstens einen Spaß bei der langweiligen Geschichte zu haben, sich zwei
Exemplare des betreffenden Schriftstellers in der Tauchnitz-Ausgabe gekauft,
die sämmtlichen einschlägigen Stellen angestrichen und herausgeschnitten und an
Schnüren, die er wie Wäschleinen in seinem Zimmer gezogen, aufgehängt habe,
um sie dann einzeln nach Bedarf herunterzulangen und abzuhaspeln. Das
Mechanische und Fabrikmäßige jener Arbeiten kann keine drolligere Kritik er¬
fahren als durch diese studentische Trockenstube.

Trotz der Leipziger und Berliner Entdeckung, trotz einzelner Annullirungen
und Remotionen wird natürlich das betrügerische Treiben mit den Examen¬
arbeiten ebenso wie der Doktordiplomschwindel ruhig weiter gehen. Das Bei¬
blatt des „Kladderadatsch", dessen eine Seite ja stets einen wahren Inseraten-


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[0204] die ein ähnliches Thema wie die oben genannten behandelt, ist ein Schub¬ karren voll Baumaterial. Leider bleiben nur die Körner bei solcher Arbeit Karner und werden im Leben keine Baumeister. Jene Themata geben nicht nur keinen Maßstab für die philologische Durchbildung des Examinanden ab, sondern sie sind in vielen Fällen geradezu ein Mißbrauch, der mit seiner Zeit und Kraft getrieben wird. Hat es denn mit dem Neubau gar so große Eile? Wenn die Philologen an den Universitäten gern wissen wollen, wie es in Wahrheit um die Gesetze und die geschichtliche Entwickelung der griechischen und lateinischen Syntax steht, so mögen sie doch dergleichen Arbeiten in Gottes Namen machen; sie werden sicher auch unter den Studenten eine Anzahl freiwilliger Helfer finden, und auch in der Lehrerwelt wird es nicht an Leuten fehlen, die sich aus eignem Antrieb an der Arbeit betheiligen und die Resultate ihrer Studien gelegentlich in Schulprvgrammen und Zeitschriften mittheilen werden. Ob diese ganze Arbeit aber zwanzig oder fünfzig Jahre dauert, ist doch wirklich gleich- giltig. Einem Studenten, der vielleicht während seiner ganzen Studienzeit — verständigerweise! — die Grammatik immer nur als Mittel zum Zweck be¬ trachtet hat, dem die Philologie nicht in der Grammatik aufgegangen ist, der sich vor allen Dingen bemüht hat, in den Geist und Inhalt der alten Schrift¬ steller und Dichter einzudringen, in der griechischen und römischen Geschichte und Archäologie heimisch zu werden, am Schlüsse seiner Studien ein Thema wie das über die Präposition 7r-?t bei Xenophon an den Hals zu hängen, ist nicht nur unnütz, denn der Examinand lernt fast nichts dabei, und aus der einfachen Interpretation einer gegebenen Textstelle, wie sie in früherer Zeit fast regelmäßig beim Examen gefordert wurde, könnte zehnmal besser ersehen werden, was er gelernt hat, nein, es ist geradezu eine Grausamkeit. In studentischen Kreisen werden denn auch diese Themata meist mit Achselzucken und mit einer Art von Galgenhumor hingenommen. Von einem jungen Archäologen, der auch mit dergleichen beglückt worden war, erzählt man, daß er, um doch wenigstens einen Spaß bei der langweiligen Geschichte zu haben, sich zwei Exemplare des betreffenden Schriftstellers in der Tauchnitz-Ausgabe gekauft, die sämmtlichen einschlägigen Stellen angestrichen und herausgeschnitten und an Schnüren, die er wie Wäschleinen in seinem Zimmer gezogen, aufgehängt habe, um sie dann einzeln nach Bedarf herunterzulangen und abzuhaspeln. Das Mechanische und Fabrikmäßige jener Arbeiten kann keine drolligere Kritik er¬ fahren als durch diese studentische Trockenstube. Trotz der Leipziger und Berliner Entdeckung, trotz einzelner Annullirungen und Remotionen wird natürlich das betrügerische Treiben mit den Examen¬ arbeiten ebenso wie der Doktordiplomschwindel ruhig weiter gehen. Das Bei¬ blatt des „Kladderadatsch", dessen eine Seite ja stets einen wahren Inseraten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/204>, abgerufen am 06.10.2024.