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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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verblüffenden Geringfügigkeit sind, andrerseits aber diese Aufgaben auf einem
weniger gefährlichen Boden sich bewegen als die früher dominirenden etymo¬
logischen Untersuchungen, also auch jüngere, noch nicht ganz gefestigte Kräfte
zur Mitarbeit herangezogen werden können. Wir leugnen aber ganz entschieden,
daß Grammatik identisch sei mit Philologie, und daß derartige Aufgaben als
Prüfungsarbeiten für den Abschluß des philologischen Studiums am Platze
seien. Sie eignen sich nicht dazu, schon deshalb, weil sie eben in erster Linie
Zeit und Geduld und erst in zweiter Kenntnisse und Geist erfordern. Es sind
mit einem Worte die richtigen wissenschaftlichen Handlangerarbeiten. Glaubt
wohl ein einziger Universitätslehrer, daß die Summe des philologischen Wissens
und der philologischen Methode, die sich der Student während eines drei- bis
vierjährigen Studiums angeeignet haben und die er später-- wohlgemerkt! --
in seiner Lehrerpraxis zur Anwendung bringen soll, sich ans einer solchen Arbeit
erkennen lasse? Man weiß ja, wie dergleichen Aufgaben angefaßt werden -- so
mechanisch wie möglich. Welchem Studenten, dem das Thema gestellt wird, die
Präposition?^" bei Xenophon zu behandeln, wird es einfallen, deshalb den
Lenophon durchzulesen? nach dem Sinne und Zusammenhange durchzulesen?
Er setzt sich eben ein paar Wochen lang hin und fischt zunächst die sämmtlichen
Stellen, an denen die genannte Präposition vorkommt, aus dem Texte heraus --
eine Arbeit, die er recht gut auch einen bildunsfähigen Packträger besorgen lassen
könnte, wenn er ihn dazu abrichtete, sich das Buchstabenbild ?r^5 einzuprägen
und, so oft ihm dasselbe im Text begegnet, mit dem Rothstift zu unterstreichen.
Dann erst beginnt die eigentliche philologische Arbeit, zu deren Ausführung
man aber ebenfalls nicht acht Semester lang Philologie studirt zu haben braucht,
sondern die auch ein tüchtiger Primaner allenfalls verrichten kann: die sämmt¬
lichen Stellen kategorieenweise zu ordnen. Hierbei wird sich kein Mensch die
Mühe machen, etwa größere Textabschnitte zu überblicken; es ist dies auch in
den meisten Füllen überflüssig. Mit einer guten dentschen Uebersetzung an der
Seite, deren Benutzung in solchen Fällen wohl nur ein Engel vom Himmel
verschmähen würde, wird man sich möglichst schnell und bequem von Stelle zu
Stelle über den Zusammenhang orientiren und dann die einzelnen Fälle suo
loco registriren.

Daß solche Arbeiten eine "Prüfung" der Examinanden in dem vom Staate
gewollten Sinne involviren, glauben die Examinatoren gewiß selber nicht. Es
ist ihnen aber auch gar nicht so sehr darum zu thun, als vielmehr um möglichste
Förderung ihrer eignen wissenschaftlichen Liebhabereien. Die Examinatoren sind
die Könige, die den wünschenswerthen Neubau der griechischen und lateinischen
Syntax gern so bald als möglich aufführen möchten, und die Examinanden die
Karner, die ihnen das Material dazu herbeikarren sollen. Jede Ex amenarbeit,


verblüffenden Geringfügigkeit sind, andrerseits aber diese Aufgaben auf einem
weniger gefährlichen Boden sich bewegen als die früher dominirenden etymo¬
logischen Untersuchungen, also auch jüngere, noch nicht ganz gefestigte Kräfte
zur Mitarbeit herangezogen werden können. Wir leugnen aber ganz entschieden,
daß Grammatik identisch sei mit Philologie, und daß derartige Aufgaben als
Prüfungsarbeiten für den Abschluß des philologischen Studiums am Platze
seien. Sie eignen sich nicht dazu, schon deshalb, weil sie eben in erster Linie
Zeit und Geduld und erst in zweiter Kenntnisse und Geist erfordern. Es sind
mit einem Worte die richtigen wissenschaftlichen Handlangerarbeiten. Glaubt
wohl ein einziger Universitätslehrer, daß die Summe des philologischen Wissens
und der philologischen Methode, die sich der Student während eines drei- bis
vierjährigen Studiums angeeignet haben und die er später— wohlgemerkt! —
in seiner Lehrerpraxis zur Anwendung bringen soll, sich ans einer solchen Arbeit
erkennen lasse? Man weiß ja, wie dergleichen Aufgaben angefaßt werden — so
mechanisch wie möglich. Welchem Studenten, dem das Thema gestellt wird, die
Präposition?^« bei Xenophon zu behandeln, wird es einfallen, deshalb den
Lenophon durchzulesen? nach dem Sinne und Zusammenhange durchzulesen?
Er setzt sich eben ein paar Wochen lang hin und fischt zunächst die sämmtlichen
Stellen, an denen die genannte Präposition vorkommt, aus dem Texte heraus —
eine Arbeit, die er recht gut auch einen bildunsfähigen Packträger besorgen lassen
könnte, wenn er ihn dazu abrichtete, sich das Buchstabenbild ?r^5 einzuprägen
und, so oft ihm dasselbe im Text begegnet, mit dem Rothstift zu unterstreichen.
Dann erst beginnt die eigentliche philologische Arbeit, zu deren Ausführung
man aber ebenfalls nicht acht Semester lang Philologie studirt zu haben braucht,
sondern die auch ein tüchtiger Primaner allenfalls verrichten kann: die sämmt¬
lichen Stellen kategorieenweise zu ordnen. Hierbei wird sich kein Mensch die
Mühe machen, etwa größere Textabschnitte zu überblicken; es ist dies auch in
den meisten Füllen überflüssig. Mit einer guten dentschen Uebersetzung an der
Seite, deren Benutzung in solchen Fällen wohl nur ein Engel vom Himmel
verschmähen würde, wird man sich möglichst schnell und bequem von Stelle zu
Stelle über den Zusammenhang orientiren und dann die einzelnen Fälle suo
loco registriren.

Daß solche Arbeiten eine „Prüfung" der Examinanden in dem vom Staate
gewollten Sinne involviren, glauben die Examinatoren gewiß selber nicht. Es
ist ihnen aber auch gar nicht so sehr darum zu thun, als vielmehr um möglichste
Förderung ihrer eignen wissenschaftlichen Liebhabereien. Die Examinatoren sind
die Könige, die den wünschenswerthen Neubau der griechischen und lateinischen
Syntax gern so bald als möglich aufführen möchten, und die Examinanden die
Karner, die ihnen das Material dazu herbeikarren sollen. Jede Ex amenarbeit,


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[0203] verblüffenden Geringfügigkeit sind, andrerseits aber diese Aufgaben auf einem weniger gefährlichen Boden sich bewegen als die früher dominirenden etymo¬ logischen Untersuchungen, also auch jüngere, noch nicht ganz gefestigte Kräfte zur Mitarbeit herangezogen werden können. Wir leugnen aber ganz entschieden, daß Grammatik identisch sei mit Philologie, und daß derartige Aufgaben als Prüfungsarbeiten für den Abschluß des philologischen Studiums am Platze seien. Sie eignen sich nicht dazu, schon deshalb, weil sie eben in erster Linie Zeit und Geduld und erst in zweiter Kenntnisse und Geist erfordern. Es sind mit einem Worte die richtigen wissenschaftlichen Handlangerarbeiten. Glaubt wohl ein einziger Universitätslehrer, daß die Summe des philologischen Wissens und der philologischen Methode, die sich der Student während eines drei- bis vierjährigen Studiums angeeignet haben und die er später— wohlgemerkt! — in seiner Lehrerpraxis zur Anwendung bringen soll, sich ans einer solchen Arbeit erkennen lasse? Man weiß ja, wie dergleichen Aufgaben angefaßt werden — so mechanisch wie möglich. Welchem Studenten, dem das Thema gestellt wird, die Präposition?^« bei Xenophon zu behandeln, wird es einfallen, deshalb den Lenophon durchzulesen? nach dem Sinne und Zusammenhange durchzulesen? Er setzt sich eben ein paar Wochen lang hin und fischt zunächst die sämmtlichen Stellen, an denen die genannte Präposition vorkommt, aus dem Texte heraus — eine Arbeit, die er recht gut auch einen bildunsfähigen Packträger besorgen lassen könnte, wenn er ihn dazu abrichtete, sich das Buchstabenbild ?r^5 einzuprägen und, so oft ihm dasselbe im Text begegnet, mit dem Rothstift zu unterstreichen. Dann erst beginnt die eigentliche philologische Arbeit, zu deren Ausführung man aber ebenfalls nicht acht Semester lang Philologie studirt zu haben braucht, sondern die auch ein tüchtiger Primaner allenfalls verrichten kann: die sämmt¬ lichen Stellen kategorieenweise zu ordnen. Hierbei wird sich kein Mensch die Mühe machen, etwa größere Textabschnitte zu überblicken; es ist dies auch in den meisten Füllen überflüssig. Mit einer guten dentschen Uebersetzung an der Seite, deren Benutzung in solchen Fällen wohl nur ein Engel vom Himmel verschmähen würde, wird man sich möglichst schnell und bequem von Stelle zu Stelle über den Zusammenhang orientiren und dann die einzelnen Fälle suo loco registriren. Daß solche Arbeiten eine „Prüfung" der Examinanden in dem vom Staate gewollten Sinne involviren, glauben die Examinatoren gewiß selber nicht. Es ist ihnen aber auch gar nicht so sehr darum zu thun, als vielmehr um möglichste Förderung ihrer eignen wissenschaftlichen Liebhabereien. Die Examinatoren sind die Könige, die den wünschenswerthen Neubau der griechischen und lateinischen Syntax gern so bald als möglich aufführen möchten, und die Examinanden die Karner, die ihnen das Material dazu herbeikarren sollen. Jede Ex amenarbeit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/203>, abgerufen am 01.09.2024.