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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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langem bearbeitet werden können? Müssen gewisse Themata nicht eine fabrik¬
mäßige Behandlung vertragen, wenn es vorkommen kann, daß eine Fakul¬
tät sich mit der gelieferten Fabrikwaare begnügt? Die Frage wird sich
schwerlich verneinen lassen. Vor allem der Philologie und Sprachwissenschaft
kann -- das ist unsre ehrliche und aufrichtige Ueberzeugung -- der Vorwurf
nicht erspart bleiben, daß sie durch die Wahl der von ihnen neuerdings mit
Vorliebe gestellten Themata dem abscheulichen Betrug, der in jenem Institute
verübt worden ist, wider Willen in die Hände arbeiten. Welcher Art sind die
Themata, die von philologischer Seite jetzt mit Vorliebe für Prüfungsarbeiten
gestellt werden? Es sind jene statistisch-grammatischen Aufgaben, in denen
über das Vorkommen und die Anwendung irgend einer syntaktischen Konstruk¬
tion bei einem einzelnen Schriftsteller oder einer Gruppe von Schriftstellern
-- z. B. über irgend eine bestimmte Präposition und ihre Kasus, über eine
Konjunktion und ihre Modi -- Aufschluß gefordert wird, Themata also, wie:
"Ueber bei Homer", "Ueber die Finalsätze bei Herodot", "Ueber Tre^i
bei Xenophon", "Ueber nisi und si nor>, bei Cäsar", "Ueber das Gerundium
bei Tacitus" u. s. w. Jedem unserer Leser, der mit Universitätskreiseu Fühlung
hat, werden aus den letzten Jahren ähnliche Ueberschriften massenhaft im Ohre
schwirren.

Es kann uns nicht entfernt in den Sinn kommen, leugnen zu wollen, daß
die Bearbeitung solcher Themata sehr wünschenswert!) sein mag. Nachdem in jahr¬
zehntelanger Arbeit die historische und vergleichende Sprachforschung für die
Formenlehre des Griechischen und Lateinischen eine neue Basis geschaffen hat,
und die Hauptarbeit auf diesem Gebiete für abgeschlossen gelten darf, liegt es
nahe, die gleiche Methode auch auf die syntaktische Seite der Grammatik anzu¬
wenden und zunächst einmal durch ganz äußerliche, statistische Erhebungen über
den Sprachgebrauch und seinen Wandel eine sichere Grundlage für weitergehende
Untersuchungen zu schaffen. Eine Entdeckung wie die, welche Tycho Mommsen
vor wenigen Jahren auf Grund eines umfänglichen Beobachtnngsmaterials ver¬
öffentlicht hat: daß die griechische Grammatik bisher völlig im Irrthume
gewesen, wenn sie in der Anwendung der Präpositionen und ^-r", die
beide dem Deutschen "mit" entsprechen, keinen wesentlichen Unterschied erkannt
hat, ist allerdings darnach angethan, die Philologie gegen ihr gesäumtes syn¬
taktisches Wissen mißtrauisch zu machen, und erklärt sehr wohl den Feuereifer,
mit dem man sich jetzt auf dergleichen Fragen geworfen hat. Auch das ist
begreiflich, daß man in den leitenden Philologischen Kreisen möglichst viele,
namentlich jüngere Kräfte für diese Fragen zu interessiren sucht, umsomehr, da
die hier zu behandelnden Aufgaben einerseits unendlich zeitraubend und lang¬
weilig, die Resultate im Verhältniß zu der aufgewandten Mühe oft von einer


langem bearbeitet werden können? Müssen gewisse Themata nicht eine fabrik¬
mäßige Behandlung vertragen, wenn es vorkommen kann, daß eine Fakul¬
tät sich mit der gelieferten Fabrikwaare begnügt? Die Frage wird sich
schwerlich verneinen lassen. Vor allem der Philologie und Sprachwissenschaft
kann — das ist unsre ehrliche und aufrichtige Ueberzeugung — der Vorwurf
nicht erspart bleiben, daß sie durch die Wahl der von ihnen neuerdings mit
Vorliebe gestellten Themata dem abscheulichen Betrug, der in jenem Institute
verübt worden ist, wider Willen in die Hände arbeiten. Welcher Art sind die
Themata, die von philologischer Seite jetzt mit Vorliebe für Prüfungsarbeiten
gestellt werden? Es sind jene statistisch-grammatischen Aufgaben, in denen
über das Vorkommen und die Anwendung irgend einer syntaktischen Konstruk¬
tion bei einem einzelnen Schriftsteller oder einer Gruppe von Schriftstellern
— z. B. über irgend eine bestimmte Präposition und ihre Kasus, über eine
Konjunktion und ihre Modi — Aufschluß gefordert wird, Themata also, wie:
„Ueber bei Homer", „Ueber die Finalsätze bei Herodot", „Ueber Tre^i
bei Xenophon", „Ueber nisi und si nor>, bei Cäsar", „Ueber das Gerundium
bei Tacitus" u. s. w. Jedem unserer Leser, der mit Universitätskreiseu Fühlung
hat, werden aus den letzten Jahren ähnliche Ueberschriften massenhaft im Ohre
schwirren.

Es kann uns nicht entfernt in den Sinn kommen, leugnen zu wollen, daß
die Bearbeitung solcher Themata sehr wünschenswert!) sein mag. Nachdem in jahr¬
zehntelanger Arbeit die historische und vergleichende Sprachforschung für die
Formenlehre des Griechischen und Lateinischen eine neue Basis geschaffen hat,
und die Hauptarbeit auf diesem Gebiete für abgeschlossen gelten darf, liegt es
nahe, die gleiche Methode auch auf die syntaktische Seite der Grammatik anzu¬
wenden und zunächst einmal durch ganz äußerliche, statistische Erhebungen über
den Sprachgebrauch und seinen Wandel eine sichere Grundlage für weitergehende
Untersuchungen zu schaffen. Eine Entdeckung wie die, welche Tycho Mommsen
vor wenigen Jahren auf Grund eines umfänglichen Beobachtnngsmaterials ver¬
öffentlicht hat: daß die griechische Grammatik bisher völlig im Irrthume
gewesen, wenn sie in der Anwendung der Präpositionen und ^-r«, die
beide dem Deutschen „mit" entsprechen, keinen wesentlichen Unterschied erkannt
hat, ist allerdings darnach angethan, die Philologie gegen ihr gesäumtes syn¬
taktisches Wissen mißtrauisch zu machen, und erklärt sehr wohl den Feuereifer,
mit dem man sich jetzt auf dergleichen Fragen geworfen hat. Auch das ist
begreiflich, daß man in den leitenden Philologischen Kreisen möglichst viele,
namentlich jüngere Kräfte für diese Fragen zu interessiren sucht, umsomehr, da
die hier zu behandelnden Aufgaben einerseits unendlich zeitraubend und lang¬
weilig, die Resultate im Verhältniß zu der aufgewandten Mühe oft von einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/202>, abgerufen am 01.09.2024.