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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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redungen getroffen, die bald zur Gründung eines literarischen Kränzchens
führten, das in die Reihe der Burschenschafter trat und der besonderen Leitung
und Pflege unsers Rosenkranz sich erfreute. In jugendlichem Drange die
höchsten Ziele nur eben für hoch genug achtend, meinten wir uns keiner An¬
maßung schuldig zu machen, wenn wir den Namen der "Nibelungen" adop-
tirten. Vielleicht hätten wir besser gethan, uns ohne ihn zu behelfen; mindestens
hätten wir dann die höhnische Bemerkung unserer Gegner nicht provozirt,
welche meinten: sie sähen wohl ein Zwerggeschlecht (uns Dichterlinge), auch
den Helden Siegfried (Rosenkranz), was sie aber nicht zu sehen vermöchten,
das sei der zu erlösende Hort."

Nun, jene Spötter mögen nicht Unrecht gehabt haben. Epochemachende,
welterschütternde Geister sind aus dem Königsberger Dichterbunde von Anno
38 nicht hervorgegangen, und mit den studentischen Dichterbünden der Leipziger,
Hallenser und Göttinger im vorigen Jahrhundert hatte er wohl nichts als die
Begeisterung gemein. Doch wir trösteten uns mit Uhland und meinten, daß
"nicht auf wenig stolze Namen" des Volkes Bildung aufgebaut sei, und wollten
frisch, froh, frei, wie uns der Schnabel gewachsen war, alles, was in der Brust
nach Entfesselung rang, in die Welt hinaus singen. Viel Mittelmäßigkeit war
gewiß schon bei der Gründung des Vereins mit aufgenommen worden, und
auch später noch legte die Sucht, Mitglieder zu werben, nur zu oft die Kritik
lahm. Doch zeigte sich gerade in diesem Kreise des Meisters Einfluß weckend
anregend, begeisternd, läuternd, veredelnd. Unter uns staunte Einer den
Andern an ob seines geistigen Wachsthums. Nach Jahr und Tag vermochten
wir unsere "Poetischen Perspektiven" (Berlin, Unger, 1839) herauszugeben, zu
denen Rosenkranz den Titel und die Vorrede lieferte. Das Büchelchen -- mit
Unrecht bisweilen unter Rosenkranz' Werken aufgeführt -- mit all' seinen
Schwächen zeugte wenigstens von der Werdelust akademischer Jugend, von dem
Ringen nach Idealem und ist in diesem Sinne auch beurtheilt worden.

Wir hatten bei unserer Konstituirung auf meinen Vorschlag die Vereinsfarben:
Roth, Weiß, Gold gewählt, deren Begründung ich vor der allgemeinen Ver¬
sammlung der Burschenschafter in Versen vortrug, die dann auch in den "Poeti¬
schen Perspektiven" Aufnahme fanden und später von O. Gervais komponirt
wurden. Nach dem Statut hatten Aspiranten eine Probe ihrer poetischen Be¬
gabung einzureichen, welche in der nächsten Vereinssitzung vorgelesen und kriti-
strt wurde. Unmittelbar darauf fand die Ballotage statt, bei welcher eine
schwarze Kugel den Ausschluß des Suchenden zur Folge hatte. Doch kam
diese eine schwarze Kugel nur selten war. In nicht motivirter Toleranz trugen
wir dem "guten Willen" nur allzu stark Rechnung. Allwöchentlich ein Mal
kamen die "Nibelungen" in ihrem Vereinslokal -- bei dein Kommilitonen


redungen getroffen, die bald zur Gründung eines literarischen Kränzchens
führten, das in die Reihe der Burschenschafter trat und der besonderen Leitung
und Pflege unsers Rosenkranz sich erfreute. In jugendlichem Drange die
höchsten Ziele nur eben für hoch genug achtend, meinten wir uns keiner An¬
maßung schuldig zu machen, wenn wir den Namen der „Nibelungen" adop-
tirten. Vielleicht hätten wir besser gethan, uns ohne ihn zu behelfen; mindestens
hätten wir dann die höhnische Bemerkung unserer Gegner nicht provozirt,
welche meinten: sie sähen wohl ein Zwerggeschlecht (uns Dichterlinge), auch
den Helden Siegfried (Rosenkranz), was sie aber nicht zu sehen vermöchten,
das sei der zu erlösende Hort."

Nun, jene Spötter mögen nicht Unrecht gehabt haben. Epochemachende,
welterschütternde Geister sind aus dem Königsberger Dichterbunde von Anno
38 nicht hervorgegangen, und mit den studentischen Dichterbünden der Leipziger,
Hallenser und Göttinger im vorigen Jahrhundert hatte er wohl nichts als die
Begeisterung gemein. Doch wir trösteten uns mit Uhland und meinten, daß
„nicht auf wenig stolze Namen" des Volkes Bildung aufgebaut sei, und wollten
frisch, froh, frei, wie uns der Schnabel gewachsen war, alles, was in der Brust
nach Entfesselung rang, in die Welt hinaus singen. Viel Mittelmäßigkeit war
gewiß schon bei der Gründung des Vereins mit aufgenommen worden, und
auch später noch legte die Sucht, Mitglieder zu werben, nur zu oft die Kritik
lahm. Doch zeigte sich gerade in diesem Kreise des Meisters Einfluß weckend
anregend, begeisternd, läuternd, veredelnd. Unter uns staunte Einer den
Andern an ob seines geistigen Wachsthums. Nach Jahr und Tag vermochten
wir unsere „Poetischen Perspektiven" (Berlin, Unger, 1839) herauszugeben, zu
denen Rosenkranz den Titel und die Vorrede lieferte. Das Büchelchen — mit
Unrecht bisweilen unter Rosenkranz' Werken aufgeführt — mit all' seinen
Schwächen zeugte wenigstens von der Werdelust akademischer Jugend, von dem
Ringen nach Idealem und ist in diesem Sinne auch beurtheilt worden.

Wir hatten bei unserer Konstituirung auf meinen Vorschlag die Vereinsfarben:
Roth, Weiß, Gold gewählt, deren Begründung ich vor der allgemeinen Ver¬
sammlung der Burschenschafter in Versen vortrug, die dann auch in den „Poeti¬
schen Perspektiven" Aufnahme fanden und später von O. Gervais komponirt
wurden. Nach dem Statut hatten Aspiranten eine Probe ihrer poetischen Be¬
gabung einzureichen, welche in der nächsten Vereinssitzung vorgelesen und kriti-
strt wurde. Unmittelbar darauf fand die Ballotage statt, bei welcher eine
schwarze Kugel den Ausschluß des Suchenden zur Folge hatte. Doch kam
diese eine schwarze Kugel nur selten war. In nicht motivirter Toleranz trugen
wir dem „guten Willen" nur allzu stark Rechnung. Allwöchentlich ein Mal
kamen die „Nibelungen" in ihrem Vereinslokal — bei dein Kommilitonen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/197>, abgerufen am 27.07.2024.