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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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stiegen. Man hört, daß er früher zu den Spöttern gehört hat und einer ihrer
Führer gewesen, daß er aber bekehrt worden ist und heute zum ersten Male
predigen soll. Schüchtern und verlegen beginnt er, und nicht lange hat er
gesprochen, als er stockt. Der Stoff scheint ihm ausgegangen zu sein, die an
mehr gewöhnten Zuhörer hängen einen Moment mit den Augen erwartungsvoll
an seinen Lippen, und diese Erwartung vermehrt offenbar seine Verwirrung.
Aber nicht lange, so faßt er sich und sagt: "Jetzt habt ihr alle gesehen, daß
meine Gabe zum Predigen nicht einen Cent werth ist. Als David zum Kampfe
mit dem Riesen auszog, war er gescheidt genug, Saul's Rüstung nicht anzu¬
legen. Ich war so einfältig, die des Bruders (er nennt den Namen des ersten
Predigers) tragen zu wollen. Jetzt bin ich damit fertig. Text und Predigt
sind hin. Aber ich schäme mich des Herrn Jesus nicht, und bevor ich mich
setze, will ich Euch erzählen, was er alles für mich gethan hat."

Er erzählt nun seine Lebensgeschichte, seine Missethaten und seiue Bekeh¬
rung, und sein Bericht wird zur Warnung, Drohung und Ermunterung für
Andere. Seine Rede, erst mit zitternder Stimme vorgetragen, wird immer
fester, mannhafter und strenger. Sie strömt, sie glüht, sie stürmt. Kampfesfreudig
strahlen seiue Augen. Wie Blitze fallen seiue Worte rechts und links in die
Massen der Gegner. Sein inneres Leben theilt sich wie elektrisch den Andern
mit. Er hat gesündigt wie sie, die Stimme ihres Gewissens spricht aus seinem
Munde. Sie schwanken wie bewegte Wipfel vor seinem stürmischen Wesen,
erst verblüfft, dann erregt, zuletzt wie von göttlichem Feuer entzündet. Sie
drängen sich, wie von einem Magnet angezogen, näher, ihre Augen leuchte"
gleich den seinen, sie zittern, sie wanken. Einzelne fallen auf die Knie, Andere
stürzen in Konvulsionen rücklings zusammen, zucken, winden sich, bäumen sich
auf, wieder Andere werden von Krämpfen gepackt, die sie zu unwillkürlichem
Nicken oder zu unaufhörlichem Beugen zwingen. Mit einem lauten Aufschrei
verfällt einer ihrer Führer in diesen Zustand. Andere folgen, und die sich
am längsten gegen die Ansteckung gestemmt, zucken, winden und beugen sich jetzt
am ärgsten. "Die Kraft des Allmächtigen ist über sie gekommen, Halleluja!"
ruft der Prediger. "Möge sie Balsam sein für ihre Seelen." Die Geistlichen
gehen umher, zu trösten und aufzurichten, und ein jubelndes Triumphlied be¬
schließt das Revival. Der Herr hat wieder einen großen Sieg gewonnen.

Es ist schwer zu begreifen, wie die Predigten der alten Methodisten eine
solche Aufregung hervorrufen konnten, wie z. B. bei solchen Campmeetings
zwei-, drei-, ja fünfhundert Menschen, denen eine Stunde vorher alles Religiöse
völlig gleichgiltig gewesen war, während einer Predigt von Angst und Schrecken
ergriffen werden, wie sie dann laut zu Gott um Gnade schreien, in Krämpfe
verfallen, wie unsinnig umherhüpfen, wie Bälle über Bänke und Baumstümpfe


stiegen. Man hört, daß er früher zu den Spöttern gehört hat und einer ihrer
Führer gewesen, daß er aber bekehrt worden ist und heute zum ersten Male
predigen soll. Schüchtern und verlegen beginnt er, und nicht lange hat er
gesprochen, als er stockt. Der Stoff scheint ihm ausgegangen zu sein, die an
mehr gewöhnten Zuhörer hängen einen Moment mit den Augen erwartungsvoll
an seinen Lippen, und diese Erwartung vermehrt offenbar seine Verwirrung.
Aber nicht lange, so faßt er sich und sagt: „Jetzt habt ihr alle gesehen, daß
meine Gabe zum Predigen nicht einen Cent werth ist. Als David zum Kampfe
mit dem Riesen auszog, war er gescheidt genug, Saul's Rüstung nicht anzu¬
legen. Ich war so einfältig, die des Bruders (er nennt den Namen des ersten
Predigers) tragen zu wollen. Jetzt bin ich damit fertig. Text und Predigt
sind hin. Aber ich schäme mich des Herrn Jesus nicht, und bevor ich mich
setze, will ich Euch erzählen, was er alles für mich gethan hat."

Er erzählt nun seine Lebensgeschichte, seine Missethaten und seiue Bekeh¬
rung, und sein Bericht wird zur Warnung, Drohung und Ermunterung für
Andere. Seine Rede, erst mit zitternder Stimme vorgetragen, wird immer
fester, mannhafter und strenger. Sie strömt, sie glüht, sie stürmt. Kampfesfreudig
strahlen seiue Augen. Wie Blitze fallen seiue Worte rechts und links in die
Massen der Gegner. Sein inneres Leben theilt sich wie elektrisch den Andern
mit. Er hat gesündigt wie sie, die Stimme ihres Gewissens spricht aus seinem
Munde. Sie schwanken wie bewegte Wipfel vor seinem stürmischen Wesen,
erst verblüfft, dann erregt, zuletzt wie von göttlichem Feuer entzündet. Sie
drängen sich, wie von einem Magnet angezogen, näher, ihre Augen leuchte»
gleich den seinen, sie zittern, sie wanken. Einzelne fallen auf die Knie, Andere
stürzen in Konvulsionen rücklings zusammen, zucken, winden sich, bäumen sich
auf, wieder Andere werden von Krämpfen gepackt, die sie zu unwillkürlichem
Nicken oder zu unaufhörlichem Beugen zwingen. Mit einem lauten Aufschrei
verfällt einer ihrer Führer in diesen Zustand. Andere folgen, und die sich
am längsten gegen die Ansteckung gestemmt, zucken, winden und beugen sich jetzt
am ärgsten. „Die Kraft des Allmächtigen ist über sie gekommen, Halleluja!"
ruft der Prediger. „Möge sie Balsam sein für ihre Seelen." Die Geistlichen
gehen umher, zu trösten und aufzurichten, und ein jubelndes Triumphlied be¬
schließt das Revival. Der Herr hat wieder einen großen Sieg gewonnen.

Es ist schwer zu begreifen, wie die Predigten der alten Methodisten eine
solche Aufregung hervorrufen konnten, wie z. B. bei solchen Campmeetings
zwei-, drei-, ja fünfhundert Menschen, denen eine Stunde vorher alles Religiöse
völlig gleichgiltig gewesen war, während einer Predigt von Angst und Schrecken
ergriffen werden, wie sie dann laut zu Gott um Gnade schreien, in Krämpfe
verfallen, wie unsinnig umherhüpfen, wie Bälle über Bänke und Baumstümpfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/162>, abgerufen am 23.11.2024.