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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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wollte die Prüfungen nicht auf sich nehmen, die Opfer nicht bringen, die denen
bevorstehen, welche zu ihm Ja sagen?" nimmt mehr als eins der Mädchen im
äußern Ringe der Versammlung die Blumen von der Haube und die Ohrringe
ab zum Zeichen, daß sie der Welt entsage und Christo angehören wolle. Mit
den Worten: "Halleluja, ich habe eine Braut für meinen Herrn gefunden!"
schließt der Prediger seine Ansprache.

Viele von den ungläubigen Zuschauern scheinen jetzt gewonnen, aber bei
weitem nicht die Mehrzahl. Ein dritter Prediger tritt auf, um auf anderen
Wege auch diesen nahezukommen. Er erzählt lustige Geschichten. Manche
von den Frommen blicken ihn befremdet an. Der Vorsitzende Aelteste aber ver¬
steht ihn und stimmt in das Gelächter ein, in das die sich mehr und mehr
vordrängenden Rowdies bei den Scherzen des Redners ausbrechen. Sie reden
ihm spottend in seine Ansprache hinein, aber er weiß zu antworten und die
Lacher auf seiner Seite zu behalten, und als er allmählich ernste Dinge auf's
Tapet bringt und von diesen zu feuriger Ermahnung und Warnung übergeht,
verliert der Pöbel für eine Weile die Fassung und die Lust zu höhnenden
Widerspruch, und der Prediger scheint das Feld behalten zu sollen. Manche
weinen und schluchzen wieder und stoßen Wehe- oder Freudenrufe aus, Andere
laufen davon, um ihre Empfindung zu verbergen. Die Bußbank ist voll von
Reuigen, die von den anderen Predigern Zuspruch empfangen. Der Wald
ringsum erschallt vom Stöhnen und Schreien der Büßenden, die um die Kanzel
auf den Knieen liegen. Aber die hartgesottenen Sünder des äußern Ringes
erholen sich wieder, und während die Frommen, nachdem der Prediger abge¬
treten, wieder eine Hymne anstimmen, scheinen jene sich zu einem Ansturme zu
sammeln, der die Versammlung auseinander treiben soll.

Für einige Minuten gelingt es einem alten Prediger, der, ohne sich beim
Vorsitzenden Aeltesten, wie gebräuchlich, Erlaubniß zu erbitten, raschen Schrittes
die Kanzel besteigt, den Sturm zu beschwichtigen, indem er mit Karthaunen-
beredtsamkeit den Ruhestörern entgegentritt und sie mit platzenden Bomben und
Granaten bewirft. "Ihr hängt," so donnert er ihnen unter anderen zu, "an
einem Haar über dem Höllenfeuer, und ein Hauch kann es zerreißen lassen,
daß ihr hinunterfallet." -- "El, was du sagst, alter Junge!" ruft ihm eine
von Whiskey heiser gewordene Stimme zu. -- "Ihr werdet zur Hölle fahren,"
schreit der Alte auf der Kanzel, "und wenn ihr dort seid, werden eure Seelen
in eurem Nippen wie auf einem Küchenroste gebraten werden." "Ein
Hurrah für den Einfall mit dem Küchenrost!" rufen lachend die Rowdies.
Bald darauf drängen sie sich zum Angriff vor.

Da machen die Vorderen Plötzlich halt. Ein bleicher junger Mann hat
statt des polternden Alten, der den Wortkampf aufgegeben hat, die Kanzel be-


wollte die Prüfungen nicht auf sich nehmen, die Opfer nicht bringen, die denen
bevorstehen, welche zu ihm Ja sagen?" nimmt mehr als eins der Mädchen im
äußern Ringe der Versammlung die Blumen von der Haube und die Ohrringe
ab zum Zeichen, daß sie der Welt entsage und Christo angehören wolle. Mit
den Worten: „Halleluja, ich habe eine Braut für meinen Herrn gefunden!"
schließt der Prediger seine Ansprache.

Viele von den ungläubigen Zuschauern scheinen jetzt gewonnen, aber bei
weitem nicht die Mehrzahl. Ein dritter Prediger tritt auf, um auf anderen
Wege auch diesen nahezukommen. Er erzählt lustige Geschichten. Manche
von den Frommen blicken ihn befremdet an. Der Vorsitzende Aelteste aber ver¬
steht ihn und stimmt in das Gelächter ein, in das die sich mehr und mehr
vordrängenden Rowdies bei den Scherzen des Redners ausbrechen. Sie reden
ihm spottend in seine Ansprache hinein, aber er weiß zu antworten und die
Lacher auf seiner Seite zu behalten, und als er allmählich ernste Dinge auf's
Tapet bringt und von diesen zu feuriger Ermahnung und Warnung übergeht,
verliert der Pöbel für eine Weile die Fassung und die Lust zu höhnenden
Widerspruch, und der Prediger scheint das Feld behalten zu sollen. Manche
weinen und schluchzen wieder und stoßen Wehe- oder Freudenrufe aus, Andere
laufen davon, um ihre Empfindung zu verbergen. Die Bußbank ist voll von
Reuigen, die von den anderen Predigern Zuspruch empfangen. Der Wald
ringsum erschallt vom Stöhnen und Schreien der Büßenden, die um die Kanzel
auf den Knieen liegen. Aber die hartgesottenen Sünder des äußern Ringes
erholen sich wieder, und während die Frommen, nachdem der Prediger abge¬
treten, wieder eine Hymne anstimmen, scheinen jene sich zu einem Ansturme zu
sammeln, der die Versammlung auseinander treiben soll.

Für einige Minuten gelingt es einem alten Prediger, der, ohne sich beim
Vorsitzenden Aeltesten, wie gebräuchlich, Erlaubniß zu erbitten, raschen Schrittes
die Kanzel besteigt, den Sturm zu beschwichtigen, indem er mit Karthaunen-
beredtsamkeit den Ruhestörern entgegentritt und sie mit platzenden Bomben und
Granaten bewirft. „Ihr hängt," so donnert er ihnen unter anderen zu, „an
einem Haar über dem Höllenfeuer, und ein Hauch kann es zerreißen lassen,
daß ihr hinunterfallet." — „El, was du sagst, alter Junge!" ruft ihm eine
von Whiskey heiser gewordene Stimme zu. — „Ihr werdet zur Hölle fahren,"
schreit der Alte auf der Kanzel, „und wenn ihr dort seid, werden eure Seelen
in eurem Nippen wie auf einem Küchenroste gebraten werden." „Ein
Hurrah für den Einfall mit dem Küchenrost!" rufen lachend die Rowdies.
Bald darauf drängen sie sich zum Angriff vor.

Da machen die Vorderen Plötzlich halt. Ein bleicher junger Mann hat
statt des polternden Alten, der den Wortkampf aufgegeben hat, die Kanzel be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/161>, abgerufen am 23.11.2024.