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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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dem Höllenrachen entreißen." Der davon getroffene knickt in die Knie, stöhnt
laut auf und verbirgt sein Gesicht in seine Hände. Ein Thränenstrom quillt
ihm durch die Finger. "Danke Gott," fährt der Prediger fort, "daß er dir
deine Sünde gezeigt hat. Welch' ein Wunder, daß sie den heiligen Geist nicht
von dir trieb, daß du deinen Tag der Gnade erlebt hast, wo du der ewigen
Verdammniß schon so nahe warst!" Darauf wendet er sich mit gewaltiger
Buß- und Drohrede den Uebrigen zu, bis von allen Seiten Angstrufe und
Wehklagen erschallen. Einige eilen hinweg, um ihre Rührung nicht sehen zu
lassen, Andere wanken mit schlotternden Knieen nach der Bußbank, wieder Andere
fallen auf die Knie und beten, darunter auch der bekehrte Rachsüchtige.

Der Redner ändert nunmehr den Ton: er tröstet jetzt, während er vorher
drohte und strafte, er öffnet den Himmel, nachdem er seine Zuhörer vor den
Schlund der Hölle geführt hat. Seine Sprache ist auch hier von grobem
Korn und oft sehr naiv. Die Bilder und Gleichnisse der Bibel sind in seinem
Munde Wirklichkeiten. Aber er läßt die Zuhörer die Gnade Gottes empfinden.
Wie Wasser des Lebens ergießt sich auf sie die große Wahrheit, daß Gott
Freude hat an dem Sünder, der Buße thut. Viele, die weinten und schluchzten,
verfallen in das andere Extrem und jauchzen laut vor Lust und Wonne. Der
Prediger schließt seine Rede, indem er Watt's Hymne anstimme:


"Lnov xitz?, I,ora! o I^ora, torgivs,
I^se s, ronsntinA rsboi lips.
^rs not luz? lnervies l^rxs s,na trso,
Ug.z? not s, "inner ernst in tuos?"*)

Ein andrer Prediger besteigt nun die Kanzel, nachdem man noch die Lieder
"Ldüäron c>k tds Ksavsul^ KinA" (Kinder des himmlischen Königs) und "Llo^v
z^s tds truiupkt, dio^" (Blase die Trompete, blast) gesungen. Er trägt einen
groben Rock von blauem Drillich und hat unschöne Gesichtszüge und eine un¬
geschlachte Haltung. Aber kaum hat er den Mund aufgethan, um über die
Worte Elieser's zu Laban: "Ich suche eine Braut sür meinen Herrn" zu pre¬
digen, so beginnt seine Beredtsamkeit zu wirken. Der Herr, für den er unter
den anwesenden ungläubigen Frauen eine Braut sucht, ist Jesus Christus, und
der Prediger ist ein geschickter Brautwerber. Er spricht gewählt, er ist ein
Mann von Bildung und feiner Lebensart, seine Bilder sind edel, die Schilde¬
rung, die er vom Charakter seines Gebieters entwirft, ist vortrefflich. Mehr
aber als dies alles wirkt für ihn, daß er in seiner Haltung und seinem ver¬
klärten Antlitz die Züge dessen abspiegelt, den seine Worte malen. Und als
er dann fragt: "Wer wollte sich eines solchen Bräutigams schämen? wer



"Zeig' Erbarmen, Herr! O Herr, vergib, laß einen reuigen Sünder leben. Ist
deine Gnade nicht reich und freigebig, darf ein Sünder nicht auf dich vertrauen?"

dem Höllenrachen entreißen." Der davon getroffene knickt in die Knie, stöhnt
laut auf und verbirgt sein Gesicht in seine Hände. Ein Thränenstrom quillt
ihm durch die Finger. „Danke Gott," fährt der Prediger fort, „daß er dir
deine Sünde gezeigt hat. Welch' ein Wunder, daß sie den heiligen Geist nicht
von dir trieb, daß du deinen Tag der Gnade erlebt hast, wo du der ewigen
Verdammniß schon so nahe warst!" Darauf wendet er sich mit gewaltiger
Buß- und Drohrede den Uebrigen zu, bis von allen Seiten Angstrufe und
Wehklagen erschallen. Einige eilen hinweg, um ihre Rührung nicht sehen zu
lassen, Andere wanken mit schlotternden Knieen nach der Bußbank, wieder Andere
fallen auf die Knie und beten, darunter auch der bekehrte Rachsüchtige.

Der Redner ändert nunmehr den Ton: er tröstet jetzt, während er vorher
drohte und strafte, er öffnet den Himmel, nachdem er seine Zuhörer vor den
Schlund der Hölle geführt hat. Seine Sprache ist auch hier von grobem
Korn und oft sehr naiv. Die Bilder und Gleichnisse der Bibel sind in seinem
Munde Wirklichkeiten. Aber er läßt die Zuhörer die Gnade Gottes empfinden.
Wie Wasser des Lebens ergießt sich auf sie die große Wahrheit, daß Gott
Freude hat an dem Sünder, der Buße thut. Viele, die weinten und schluchzten,
verfallen in das andere Extrem und jauchzen laut vor Lust und Wonne. Der
Prediger schließt seine Rede, indem er Watt's Hymne anstimme:


„Lnov xitz?, I,ora! o I^ora, torgivs,
I^se s, ronsntinA rsboi lips.
^rs not luz? lnervies l^rxs s,na trso,
Ug.z? not s, »inner ernst in tuos?"*)

Ein andrer Prediger besteigt nun die Kanzel, nachdem man noch die Lieder
„Ldüäron c>k tds Ksavsul^ KinA" (Kinder des himmlischen Königs) und „Llo^v
z^s tds truiupkt, dio^" (Blase die Trompete, blast) gesungen. Er trägt einen
groben Rock von blauem Drillich und hat unschöne Gesichtszüge und eine un¬
geschlachte Haltung. Aber kaum hat er den Mund aufgethan, um über die
Worte Elieser's zu Laban: „Ich suche eine Braut sür meinen Herrn" zu pre¬
digen, so beginnt seine Beredtsamkeit zu wirken. Der Herr, für den er unter
den anwesenden ungläubigen Frauen eine Braut sucht, ist Jesus Christus, und
der Prediger ist ein geschickter Brautwerber. Er spricht gewählt, er ist ein
Mann von Bildung und feiner Lebensart, seine Bilder sind edel, die Schilde¬
rung, die er vom Charakter seines Gebieters entwirft, ist vortrefflich. Mehr
aber als dies alles wirkt für ihn, daß er in seiner Haltung und seinem ver¬
klärten Antlitz die Züge dessen abspiegelt, den seine Worte malen. Und als
er dann fragt: „Wer wollte sich eines solchen Bräutigams schämen? wer



»Zeig' Erbarmen, Herr! O Herr, vergib, laß einen reuigen Sünder leben. Ist
deine Gnade nicht reich und freigebig, darf ein Sünder nicht auf dich vertrauen?"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/160>, abgerufen am 23.11.2024.