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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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John Wesley und sein Bruder Charles wirkten seit 1735 vorzüglich in
Nordamerika, wo sie bis 1738 verblieben. Nach England zurückgekehrt, gingen
sie an eine besondere Organisation der von ihnen gewonnenen neben der engli¬
schen Staatskirche, deren Bischöfe ihnen die Kanzel verboten hatten. Zunächst
predigten sie den ihnen zuströmenden Massen unter freiem Himmel, dann in
eigenen Bethäusern, die man "StiftsHütten" (lavcirQaolss) nannte. Auch in
Schottland und den protestantischen Grafschaften Irland's gewann die neue
"Denomination" zahlreiche Anhänger, namentlich unter den Bauern und Hand¬
werkern, 1741 führte das Dogma von der Gnadenwahl zu Streitigkeiten
zwischen Wesley und Whitefield, insofern jener zur Lehre der Arminicmer hin¬
neigte, während dieser sich zur Auffassung Calvin's bekannte, und es kam zu
eiuer Trennung der beiden Parteien, die sich sonst in nichts unterschieden.
Auch die Wesleycmer, welche sich namentlich in Amerika weit ausbreiteten, haben
sich wieder mehrfach gespalten. Sie zerfallen in eine Partei, die von Bischöfen
regiert wird und dem Laienthum nur geringen Einfluß auf die Verwaltung
der kirchlichen Angelegenheiten einräumt, in "Protestantische Methodisten", eine
Sezession, die angesichts dessen mehr demokratischen Grundsätzen huldigt und
sich demgemäß organisirt hat, in "ursprüngliche Methodisten", die auch den
weiblichen Angehörigen der Sekte das Predigen gestattet, und in die "neue
Verbindung", die sich von der alten losgesagt hat, weil ihre Gründer mit deren
Verfassung nicht zufrieden waren. Auch die Frage der Sklaverei rief Spal¬
tung hervor, indem die Einen ihren Genossen das Halten von Sklaven ver¬
boten, während die Anderen es gestatteten. Ferner gibt es in den Vereinigten
Staaten eine besondere Organisation der deutschen Methodisten, die von dem
Württemberger Nast begründet wurde. Endlich bilden in England die Brya-
niten oder Bibelchristen einen besondern Zweig am Baume, den Wesley ge¬
pflanzt hat.

Da es meist Aeußerlichkeiten sind, nach denen diese Sekten in der Sekte
sich gebildet haben, so brauchen wir auf die Einzelheiten dessen, wodurch jene
sich von einander unterscheiden, hier nicht weiter einzugehen. Wir schildexn
nur die bischöflichen Methodisten als die zahlreichsten und die Bibelchristen als
diejenigen, die sich von jenen in ihrem Wesen am meisten entfernt haben, ob¬
wohl sie ihnen immer noch ziemlich nahestehen.

Das Charakteristische aller Methodisten ist ein System strengster seelsorge¬
rischer Ueberwachung jedes Einzelnen durch die Anderen, was nur durch einen
an jesuitische Einrichtungen erinnernden polizeilichen Mechanismus des Ganzen
ermöglicht werden konnte. Die bischöflichen wie die übrigen wollen "ein Verein
sein, der die Form der Gottseligkeit hat und deren Kraft sucht, verbunden, um
zusammen zu beten, das Wort der Ermahnung zu hören und einander in Liebe


John Wesley und sein Bruder Charles wirkten seit 1735 vorzüglich in
Nordamerika, wo sie bis 1738 verblieben. Nach England zurückgekehrt, gingen
sie an eine besondere Organisation der von ihnen gewonnenen neben der engli¬
schen Staatskirche, deren Bischöfe ihnen die Kanzel verboten hatten. Zunächst
predigten sie den ihnen zuströmenden Massen unter freiem Himmel, dann in
eigenen Bethäusern, die man „StiftsHütten" (lavcirQaolss) nannte. Auch in
Schottland und den protestantischen Grafschaften Irland's gewann die neue
„Denomination" zahlreiche Anhänger, namentlich unter den Bauern und Hand¬
werkern, 1741 führte das Dogma von der Gnadenwahl zu Streitigkeiten
zwischen Wesley und Whitefield, insofern jener zur Lehre der Arminicmer hin¬
neigte, während dieser sich zur Auffassung Calvin's bekannte, und es kam zu
eiuer Trennung der beiden Parteien, die sich sonst in nichts unterschieden.
Auch die Wesleycmer, welche sich namentlich in Amerika weit ausbreiteten, haben
sich wieder mehrfach gespalten. Sie zerfallen in eine Partei, die von Bischöfen
regiert wird und dem Laienthum nur geringen Einfluß auf die Verwaltung
der kirchlichen Angelegenheiten einräumt, in „Protestantische Methodisten", eine
Sezession, die angesichts dessen mehr demokratischen Grundsätzen huldigt und
sich demgemäß organisirt hat, in „ursprüngliche Methodisten", die auch den
weiblichen Angehörigen der Sekte das Predigen gestattet, und in die „neue
Verbindung", die sich von der alten losgesagt hat, weil ihre Gründer mit deren
Verfassung nicht zufrieden waren. Auch die Frage der Sklaverei rief Spal¬
tung hervor, indem die Einen ihren Genossen das Halten von Sklaven ver¬
boten, während die Anderen es gestatteten. Ferner gibt es in den Vereinigten
Staaten eine besondere Organisation der deutschen Methodisten, die von dem
Württemberger Nast begründet wurde. Endlich bilden in England die Brya-
niten oder Bibelchristen einen besondern Zweig am Baume, den Wesley ge¬
pflanzt hat.

Da es meist Aeußerlichkeiten sind, nach denen diese Sekten in der Sekte
sich gebildet haben, so brauchen wir auf die Einzelheiten dessen, wodurch jene
sich von einander unterscheiden, hier nicht weiter einzugehen. Wir schildexn
nur die bischöflichen Methodisten als die zahlreichsten und die Bibelchristen als
diejenigen, die sich von jenen in ihrem Wesen am meisten entfernt haben, ob¬
wohl sie ihnen immer noch ziemlich nahestehen.

Das Charakteristische aller Methodisten ist ein System strengster seelsorge¬
rischer Ueberwachung jedes Einzelnen durch die Anderen, was nur durch einen
an jesuitische Einrichtungen erinnernden polizeilichen Mechanismus des Ganzen
ermöglicht werden konnte. Die bischöflichen wie die übrigen wollen „ein Verein
sein, der die Form der Gottseligkeit hat und deren Kraft sucht, verbunden, um
zusammen zu beten, das Wort der Ermahnung zu hören und einander in Liebe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/150>, abgerufen am 24.11.2024.