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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Kirchengeschichte, für den Psychologen, für den Ethnographen haben die
Methodisten in mehr als einer Beziehung ein besonderes Interesse, und so möge
der Schilderung einer ihrer gottesdienstlichen Versammlungen, die wir im
Folgenden zu geben versuchen, eine kurze Charakteristik ihres Wesens und ein
Ueberblick über ihre Geschichte vorausgehen.

Der Methodismus ist der methodisch geweckte und genährte Pietismus.
Er entstand, wie dieser, einer erstarrten, verknöcherten Kirche gegenüber, in der
nur noch der Verstand waltete, aus dem Bedürfniß, auch für die Herzen und
für diese vorzugsweise zu sorgen. Wie Spener fünfzig Jahre vorher gegenüber
dem diirren Buchstabenglauben der Orthodoxen in seinen Hausversammlungen,
seinen Predigten und Schriften auf fromme Innigkeit und Wiedergeburt durch
Reue und Buße, auf Wiederherstellung des geistlichen Priesterthums in jedem
Mitgliede der Gemeinde und ans echte lautere Gottseligkeit hinwirkte, so um das
Jahr 1729 der Diakonus John Wesley in Oxford, der zu diesem Zwecke mit
gleichgestimmten jungen Leuten einen Verein gründete, welcher zunächst alle
Donnerstage zusammenkam. Derselbe trennte sich in der Lehre nicht von der
bischöflichen Kirche, sondern unterschied sich von ihr nnr dnrch eine auf jene
Zwecke gerichtete Lebensweise seiner Mitglieder, die sich durch gemeinsames
Beten und Bibellesen in Konventikeln, häufigen Genuß des Abendmahls, Ge¬
winnung des von der Staatskirche vernachlässigten niedern Volkes durch fleißiges
Predigen, Besuch von Kranken und Gefangenen und andere seelsorgerische
Thätigkeit charakterisirte. Wesley hat sein ganzes Leben hindurch uur eins
im Auge gehabt, "Seelen zu retten", er soll in England und Amerika nicht
weniger als 50000 Predigten gehalten haben. Noch gewaltiger wirkte sein
Genosse, der feurige Seelenerschütterer Whitesield, der, früher als Kellner ein
"Mensch der Sünde", dann "von der Gnade erweckt", geläutert und begeistert,
von Land zu Land zog, um durch seine Beredtsamkeit das Weltleben zu be¬
kämpfen und dem Herrn sein Volk zu mehren. Von der Kirche vielfach ange¬
feindet und verfolgt, gründeten die Methodisten einen eigenen Gemeindeverband
mit Vorständen und Synoden. Früh traten sie mit geistesverwandten Sekten
in Verbindung, z. B. mit den Herrnhutern, von denen sie sich aber bald wieder
trennten, da ihre Methode nicht auf eine sanfte und süßliche Entwickelung der
Gefühle, sondern auf ein gewaltsames Brechen der Selbstsucht und eine schmerz¬
liche Wiedergeburt angelegt war. Ihre Beredtsamkeit richtete sich, von Bildern
der Hölle glühend, vorzugsweise auf die ohne Gott dahinlebenden Ungebildeten,
von denen sie viele bekehrten, und bei denen die den "Durchbruch zur Gnade"
vorbereitende Methode oft auch leiblich stürmische oder krampfhafte Aeußerungen
des Ergriffenseins zur Folge hatte -- Erscheinungen, die man sich allmählich
als selbstverständlich und zur Sache nothwendig zu betrachten gewöhnte.


Kirchengeschichte, für den Psychologen, für den Ethnographen haben die
Methodisten in mehr als einer Beziehung ein besonderes Interesse, und so möge
der Schilderung einer ihrer gottesdienstlichen Versammlungen, die wir im
Folgenden zu geben versuchen, eine kurze Charakteristik ihres Wesens und ein
Ueberblick über ihre Geschichte vorausgehen.

Der Methodismus ist der methodisch geweckte und genährte Pietismus.
Er entstand, wie dieser, einer erstarrten, verknöcherten Kirche gegenüber, in der
nur noch der Verstand waltete, aus dem Bedürfniß, auch für die Herzen und
für diese vorzugsweise zu sorgen. Wie Spener fünfzig Jahre vorher gegenüber
dem diirren Buchstabenglauben der Orthodoxen in seinen Hausversammlungen,
seinen Predigten und Schriften auf fromme Innigkeit und Wiedergeburt durch
Reue und Buße, auf Wiederherstellung des geistlichen Priesterthums in jedem
Mitgliede der Gemeinde und ans echte lautere Gottseligkeit hinwirkte, so um das
Jahr 1729 der Diakonus John Wesley in Oxford, der zu diesem Zwecke mit
gleichgestimmten jungen Leuten einen Verein gründete, welcher zunächst alle
Donnerstage zusammenkam. Derselbe trennte sich in der Lehre nicht von der
bischöflichen Kirche, sondern unterschied sich von ihr nnr dnrch eine auf jene
Zwecke gerichtete Lebensweise seiner Mitglieder, die sich durch gemeinsames
Beten und Bibellesen in Konventikeln, häufigen Genuß des Abendmahls, Ge¬
winnung des von der Staatskirche vernachlässigten niedern Volkes durch fleißiges
Predigen, Besuch von Kranken und Gefangenen und andere seelsorgerische
Thätigkeit charakterisirte. Wesley hat sein ganzes Leben hindurch uur eins
im Auge gehabt, „Seelen zu retten", er soll in England und Amerika nicht
weniger als 50000 Predigten gehalten haben. Noch gewaltiger wirkte sein
Genosse, der feurige Seelenerschütterer Whitesield, der, früher als Kellner ein
„Mensch der Sünde", dann „von der Gnade erweckt", geläutert und begeistert,
von Land zu Land zog, um durch seine Beredtsamkeit das Weltleben zu be¬
kämpfen und dem Herrn sein Volk zu mehren. Von der Kirche vielfach ange¬
feindet und verfolgt, gründeten die Methodisten einen eigenen Gemeindeverband
mit Vorständen und Synoden. Früh traten sie mit geistesverwandten Sekten
in Verbindung, z. B. mit den Herrnhutern, von denen sie sich aber bald wieder
trennten, da ihre Methode nicht auf eine sanfte und süßliche Entwickelung der
Gefühle, sondern auf ein gewaltsames Brechen der Selbstsucht und eine schmerz¬
liche Wiedergeburt angelegt war. Ihre Beredtsamkeit richtete sich, von Bildern
der Hölle glühend, vorzugsweise auf die ohne Gott dahinlebenden Ungebildeten,
von denen sie viele bekehrten, und bei denen die den „Durchbruch zur Gnade"
vorbereitende Methode oft auch leiblich stürmische oder krampfhafte Aeußerungen
des Ergriffenseins zur Folge hatte — Erscheinungen, die man sich allmählich
als selbstverständlich und zur Sache nothwendig zu betrachten gewöhnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/149>, abgerufen am 24.11.2024.