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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Im Publikum glaubte man irrthümlicher Weise, daß dieselben auf die griechisch¬
türkische Grenz-Rektifikation Bezug hätten und ausschließlich durch sie veran¬
laßt worden seien. Wie man dagegen heute an unterrichteter Stelle weiß, ist
die Absetzung Ismail Pascha's in dem langdauernden Conseil entschieden worden,
der am 24. Juni im Jildis -Kiosk zusammentrat und erst spät in der Nacht
endete.

Den persönlichen Wünschen des türkischen Premiers würde es mehr ent¬
sprochen haben, wenn Hallen Pascha, der Oheim des Ex-Khedive, dessen Nach¬
folger geworden wäre. Nahe freundschaftliche Beziehungen verbinden Khereddin
Pascha mit diesem aegyptischen Prinzen, und es ist eine wohlakkreditirte Behaup¬
tung, daß letzterer ursprünglich die Berufung des heutigen Großwesirs in den
osmanischen Staatsdienst einzuleiten und zu vermitteln gehabt habe. Vielleicht
war es nur auswärtiger Einspruch, welcher der Realisirung dieser Lieblingsidee
hemmend entgegentrat. Vielleicht auch gewann Tewfik Pascha die Partie auf
Grund seines taktvollen Benehmens und in Folge des Zutrauens, das er sich
durch seine Amtsführung als zeitweiliger aegyptischer Ministerpräsident zu
erwerben verstanden hatte.

Der neue Khedive steht im 27. Lebensjahre. Er hat seine Erziehung in
England und Frankreich erhalten, ist indeß außer der türkischen und arabi¬
schen wesentlich nur der französischen Sprache mächtig. Daß er sich vor den
Exzentrizitäten seines Vaters hüten werde, ist mindestens zu hoffen, umsomehr,
als zwischen ihm und Ismail Pascha über den Konflikt mit den Westmächten
eine Meinungsverschiedenheit der tiefgreifendsten Art bestanden haben soll, auf
Grund deren es, wie es heißt, unter ihnen zu sehr heftigen Szenen gekommen
sei. Anders wie ihr älterer Bruder scheinen die beiden jüngeren Söhne des
Khedive, Muley Hassen (derselbe, welcher längere Zeit hindurch zu seiner
militärischen Ausbildung als Sekoude- und später Premier-Lieutenant eines
preußischen Garde-Dragoner-Regiments in Berlin verweilte) und Hussein Pascha,
sich zu der verhängnißvollen Angelegenheit und den darin von ihrem Vater
ergriffenen Maßregeln gestellt zu haben. Ersterer, eine zum Embonpoint nei¬
gende Persönlichkeit, dabei aber von entschlossenem Charakter und der energischste,
wenn auch entschieden nicht der einsichtigste der Familie, rieth dem Khedive
zum Ausharren in der von ihm eingenommenen Position und, wie man in
Kairo heute behauptet, selbst zum eventuellen bewaffneten Widerstande für den
Fall, daß dnrch den Padischah schließlich seine Absetzung ausgesprochen werden
sollte. Solchen Einflüsterungen konnte allerdings nur ein vollkommenes Ver¬
kennen der Sachlage zu Grunde liegen. Für die Nachkommen des Mehemed
Ali Pascha sind die Zeiten, in denen negyptische Heere bis Risibis und Koniah
vorgedrungen, ans immer vorbei!


Im Publikum glaubte man irrthümlicher Weise, daß dieselben auf die griechisch¬
türkische Grenz-Rektifikation Bezug hätten und ausschließlich durch sie veran¬
laßt worden seien. Wie man dagegen heute an unterrichteter Stelle weiß, ist
die Absetzung Ismail Pascha's in dem langdauernden Conseil entschieden worden,
der am 24. Juni im Jildis -Kiosk zusammentrat und erst spät in der Nacht
endete.

Den persönlichen Wünschen des türkischen Premiers würde es mehr ent¬
sprochen haben, wenn Hallen Pascha, der Oheim des Ex-Khedive, dessen Nach¬
folger geworden wäre. Nahe freundschaftliche Beziehungen verbinden Khereddin
Pascha mit diesem aegyptischen Prinzen, und es ist eine wohlakkreditirte Behaup¬
tung, daß letzterer ursprünglich die Berufung des heutigen Großwesirs in den
osmanischen Staatsdienst einzuleiten und zu vermitteln gehabt habe. Vielleicht
war es nur auswärtiger Einspruch, welcher der Realisirung dieser Lieblingsidee
hemmend entgegentrat. Vielleicht auch gewann Tewfik Pascha die Partie auf
Grund seines taktvollen Benehmens und in Folge des Zutrauens, das er sich
durch seine Amtsführung als zeitweiliger aegyptischer Ministerpräsident zu
erwerben verstanden hatte.

Der neue Khedive steht im 27. Lebensjahre. Er hat seine Erziehung in
England und Frankreich erhalten, ist indeß außer der türkischen und arabi¬
schen wesentlich nur der französischen Sprache mächtig. Daß er sich vor den
Exzentrizitäten seines Vaters hüten werde, ist mindestens zu hoffen, umsomehr,
als zwischen ihm und Ismail Pascha über den Konflikt mit den Westmächten
eine Meinungsverschiedenheit der tiefgreifendsten Art bestanden haben soll, auf
Grund deren es, wie es heißt, unter ihnen zu sehr heftigen Szenen gekommen
sei. Anders wie ihr älterer Bruder scheinen die beiden jüngeren Söhne des
Khedive, Muley Hassen (derselbe, welcher längere Zeit hindurch zu seiner
militärischen Ausbildung als Sekoude- und später Premier-Lieutenant eines
preußischen Garde-Dragoner-Regiments in Berlin verweilte) und Hussein Pascha,
sich zu der verhängnißvollen Angelegenheit und den darin von ihrem Vater
ergriffenen Maßregeln gestellt zu haben. Ersterer, eine zum Embonpoint nei¬
gende Persönlichkeit, dabei aber von entschlossenem Charakter und der energischste,
wenn auch entschieden nicht der einsichtigste der Familie, rieth dem Khedive
zum Ausharren in der von ihm eingenommenen Position und, wie man in
Kairo heute behauptet, selbst zum eventuellen bewaffneten Widerstande für den
Fall, daß dnrch den Padischah schließlich seine Absetzung ausgesprochen werden
sollte. Solchen Einflüsterungen konnte allerdings nur ein vollkommenes Ver¬
kennen der Sachlage zu Grunde liegen. Für die Nachkommen des Mehemed
Ali Pascha sind die Zeiten, in denen negyptische Heere bis Risibis und Koniah
vorgedrungen, ans immer vorbei!


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[0102] Im Publikum glaubte man irrthümlicher Weise, daß dieselben auf die griechisch¬ türkische Grenz-Rektifikation Bezug hätten und ausschließlich durch sie veran¬ laßt worden seien. Wie man dagegen heute an unterrichteter Stelle weiß, ist die Absetzung Ismail Pascha's in dem langdauernden Conseil entschieden worden, der am 24. Juni im Jildis -Kiosk zusammentrat und erst spät in der Nacht endete. Den persönlichen Wünschen des türkischen Premiers würde es mehr ent¬ sprochen haben, wenn Hallen Pascha, der Oheim des Ex-Khedive, dessen Nach¬ folger geworden wäre. Nahe freundschaftliche Beziehungen verbinden Khereddin Pascha mit diesem aegyptischen Prinzen, und es ist eine wohlakkreditirte Behaup¬ tung, daß letzterer ursprünglich die Berufung des heutigen Großwesirs in den osmanischen Staatsdienst einzuleiten und zu vermitteln gehabt habe. Vielleicht war es nur auswärtiger Einspruch, welcher der Realisirung dieser Lieblingsidee hemmend entgegentrat. Vielleicht auch gewann Tewfik Pascha die Partie auf Grund seines taktvollen Benehmens und in Folge des Zutrauens, das er sich durch seine Amtsführung als zeitweiliger aegyptischer Ministerpräsident zu erwerben verstanden hatte. Der neue Khedive steht im 27. Lebensjahre. Er hat seine Erziehung in England und Frankreich erhalten, ist indeß außer der türkischen und arabi¬ schen wesentlich nur der französischen Sprache mächtig. Daß er sich vor den Exzentrizitäten seines Vaters hüten werde, ist mindestens zu hoffen, umsomehr, als zwischen ihm und Ismail Pascha über den Konflikt mit den Westmächten eine Meinungsverschiedenheit der tiefgreifendsten Art bestanden haben soll, auf Grund deren es, wie es heißt, unter ihnen zu sehr heftigen Szenen gekommen sei. Anders wie ihr älterer Bruder scheinen die beiden jüngeren Söhne des Khedive, Muley Hassen (derselbe, welcher längere Zeit hindurch zu seiner militärischen Ausbildung als Sekoude- und später Premier-Lieutenant eines preußischen Garde-Dragoner-Regiments in Berlin verweilte) und Hussein Pascha, sich zu der verhängnißvollen Angelegenheit und den darin von ihrem Vater ergriffenen Maßregeln gestellt zu haben. Ersterer, eine zum Embonpoint nei¬ gende Persönlichkeit, dabei aber von entschlossenem Charakter und der energischste, wenn auch entschieden nicht der einsichtigste der Familie, rieth dem Khedive zum Ausharren in der von ihm eingenommenen Position und, wie man in Kairo heute behauptet, selbst zum eventuellen bewaffneten Widerstande für den Fall, daß dnrch den Padischah schließlich seine Absetzung ausgesprochen werden sollte. Solchen Einflüsterungen konnte allerdings nur ein vollkommenes Ver¬ kennen der Sachlage zu Grunde liegen. Für die Nachkommen des Mehemed Ali Pascha sind die Zeiten, in denen negyptische Heere bis Risibis und Koniah vorgedrungen, ans immer vorbei!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/102>, abgerufen am 27.11.2024.