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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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mationszeitalter. Vorzüglich um die Person Luther's gruppirten sich eine Menge
theils gehässiger, theils harmloser Nachreden, ganz so wie es später mit Friedrich
dem Großen geschah, und wie es unter anderen wahrscheinlich auch einmal mit
Bismarck geschehen wird. Alle Welt kennt die Vision auf der Wartburg, wo
der Reformator vom Teufel in Gestalt einer großen Brummfliege belästigt
wurde und das Tintenfaß nach ihm warf, und Vielen wird aus ihrem Geschichts¬
unterrichte der Vorfall erinnerlich sein, wo ein Wetterschlag Alexis, den Freund des
jugendlichen Luther, neben diesem zu Boden streckt und letzteren dadurch zur
Einkehr in sich selbst veranlaßt. Die Tenfelserscheinung richtet sich von selbst,
und von der anderen Anekdote ist nur soviel wahr, daß Luther als junger Mann
eines Freundes durch dessen plötzlichen Tod beraubt wurde. Johann Friedrich
der Großmüthige soll die Schlacht bei Mühlberg verloren haben, weil er bei
Beginn derselben zu lange im Gebet verweilt; die Geschichte aber sagt, weil
er zu lange beim Glase gesessen und zu tief hineingesehen hatte. Gustav Adolf
war bis vor kurzem für Alle und ist noch heute ohne Zweifel für Viele nur
der Glaubensheld, der dem bedrängten deutschen Protestantismus zu Hilfe eilte.
Namentlich durch Schiller's Geschichte des 30 jährigen Krieges ist diese Auf¬
fassung Populär geworden und es bis in die jüngste Zeit auch geblieben.
Genauere Forschung aber hat ergeben, daß den Schwedenkönig anch politische
Motive, und zwar vorwiegend, zu seinem Erscheinen in Deutschland veranlaßten,
mit anderen Worten, daß er allerdings religiös gesinnt und von Mitgefühl
für seine Glaubensgenossen im Süden der Ostsee erfüllt war, daß auf ihn
aber noch mehr ehrgeiziger Thatendrang, der Wunsch, durch Eroberungen an
den deutschen Ostseeküsten für Schweden die Herrschaft über das baltische Meer
zu gewinnen, und die Hoffnung, sein Land zu einer Frankreich und Oesterreich
ebenbürtigen Macht zu erheben, von Einfluß waren.

In den letzten Jahrhunderten ist es weniger die Mythen- und sagenerzeu¬
gende Volksphantasie gewesen, die der Geschichte Ungeschichtliches beigemischt
hat, als Verleumdung und Fälschung zur Förderung politischer und anderer
Zwecke und andererseits die Sucht, die Situationen pikant zu machen und
großen Männern Bonmots anzudichten. In der letztgenannten Richtung sündigt
unsere Presse alle Tage, und das Publikum unterstützt diese Unart. Es ver¬
langt weit weniger die Wahrheit zu erfahren, die ja häufig nicht zu seineu
Lieblingsmeinungen stimmt, als unterhalten zu werden und Stoff zur Unter¬
haltung guter Freunde zu bekommen; Sensationelles, Witziges, Pointirtes geht
ihm über die nüchternen Thatsachen, und die Zeitungen, größtenteils indu¬
strielle Unternehmungen und daher trotz aller zur Schau getragenen Gesinnungs-
tltchtigkeit gesinnungslos, oft von einer erschreckenden Unwissenheit, Oberfläch-


mationszeitalter. Vorzüglich um die Person Luther's gruppirten sich eine Menge
theils gehässiger, theils harmloser Nachreden, ganz so wie es später mit Friedrich
dem Großen geschah, und wie es unter anderen wahrscheinlich auch einmal mit
Bismarck geschehen wird. Alle Welt kennt die Vision auf der Wartburg, wo
der Reformator vom Teufel in Gestalt einer großen Brummfliege belästigt
wurde und das Tintenfaß nach ihm warf, und Vielen wird aus ihrem Geschichts¬
unterrichte der Vorfall erinnerlich sein, wo ein Wetterschlag Alexis, den Freund des
jugendlichen Luther, neben diesem zu Boden streckt und letzteren dadurch zur
Einkehr in sich selbst veranlaßt. Die Tenfelserscheinung richtet sich von selbst,
und von der anderen Anekdote ist nur soviel wahr, daß Luther als junger Mann
eines Freundes durch dessen plötzlichen Tod beraubt wurde. Johann Friedrich
der Großmüthige soll die Schlacht bei Mühlberg verloren haben, weil er bei
Beginn derselben zu lange im Gebet verweilt; die Geschichte aber sagt, weil
er zu lange beim Glase gesessen und zu tief hineingesehen hatte. Gustav Adolf
war bis vor kurzem für Alle und ist noch heute ohne Zweifel für Viele nur
der Glaubensheld, der dem bedrängten deutschen Protestantismus zu Hilfe eilte.
Namentlich durch Schiller's Geschichte des 30 jährigen Krieges ist diese Auf¬
fassung Populär geworden und es bis in die jüngste Zeit auch geblieben.
Genauere Forschung aber hat ergeben, daß den Schwedenkönig anch politische
Motive, und zwar vorwiegend, zu seinem Erscheinen in Deutschland veranlaßten,
mit anderen Worten, daß er allerdings religiös gesinnt und von Mitgefühl
für seine Glaubensgenossen im Süden der Ostsee erfüllt war, daß auf ihn
aber noch mehr ehrgeiziger Thatendrang, der Wunsch, durch Eroberungen an
den deutschen Ostseeküsten für Schweden die Herrschaft über das baltische Meer
zu gewinnen, und die Hoffnung, sein Land zu einer Frankreich und Oesterreich
ebenbürtigen Macht zu erheben, von Einfluß waren.

In den letzten Jahrhunderten ist es weniger die Mythen- und sagenerzeu¬
gende Volksphantasie gewesen, die der Geschichte Ungeschichtliches beigemischt
hat, als Verleumdung und Fälschung zur Förderung politischer und anderer
Zwecke und andererseits die Sucht, die Situationen pikant zu machen und
großen Männern Bonmots anzudichten. In der letztgenannten Richtung sündigt
unsere Presse alle Tage, und das Publikum unterstützt diese Unart. Es ver¬
langt weit weniger die Wahrheit zu erfahren, die ja häufig nicht zu seineu
Lieblingsmeinungen stimmt, als unterhalten zu werden und Stoff zur Unter¬
haltung guter Freunde zu bekommen; Sensationelles, Witziges, Pointirtes geht
ihm über die nüchternen Thatsachen, und die Zeitungen, größtenteils indu¬
strielle Unternehmungen und daher trotz aller zur Schau getragenen Gesinnungs-
tltchtigkeit gesinnungslos, oft von einer erschreckenden Unwissenheit, Oberfläch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/81>, abgerufen am 27.09.2024.