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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Kreuzzügen aber wirkten neben gottesfürchtigen und hierarchischen Bestrebungen
sehr wesentlich, und mehr als diese, merkantile Tendenzen mit.

Eine Erfindung ist die Historie von dem zahmen Löwen, der den Grafen
Wieprecht von Groitsch auf Schritt und Tritt begleitet haben soll; eine erfun¬
dene Anekdote auch das Geschichtchen von der Doppelehe des Grafen Ernst
von Gleichen, zu welcher der Papst seine Erlaubniß ertheilt haben soll, und
zwar ist diese Sage, deren Held in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahr¬
hunderts gelebt haben soll, erst zu Ende des sechzehnten aufgekommen.

Aehnliches gilt von der Erzählung, wie Landgraf Ludwig der Springer,
der Erbauer der Wartburg, zu seinem Beinamen gelangt sein soll. Derselbe
hatte -- so berichteten die ^.ong-iss Nsio.dö.räsvruQiikQSös -- den Pfalzgrafen
Friedrich zu Sachsen auf der Jagd im Walde bei dessen Burg Scheiplitz im
Osterlande ermordet, um dessen Gemahlin, Adelheid von Stade, heirathen zu
können. Von den Verwandten des Pfalzgrafen beim Kaiser verklagt, wurde
Ludwig auf des letzteren Befehl gefangen genommen und auf das Schloß
Giebichenstein gebracht, wo er zwei Jahre später hingerichtet werden sollte. Am
Tage vor der Exekution aber that er unter dem Vorwande, es friere ihn, einen
weiten Mantel um und sprang, während seine Wächter beim Brettspiel saßen
und seiner nicht sonderlich achteten, vom Rande des Bergfelsens in die unten
vorüberfließende Saale hinab, aus deren Fluthen ihn ein Diener, der jenseits
mit einem weißen Pferde, das der Schwan hieß, auf ihn gewartet hatte, her¬
auszog und in Sicherheit brachte. Diese Geschichte, die aller Wahrscheinlichkeit
nach aus einer alten Mythe von übermenschlichen Sprüngen, die verschiedenen
Helden zugeschrieben wurden, und aus der falschen Deutung des Beinamens
8s.IisnL entstanden ist, figurirte noch vor wenigen Jahrzehnten in populären
Geschichtswerken als eine solche, die sich wirklich zugetragen.

Ebenfalls Fabel ist es, daß Markgraf Friedrich "mit der gebissenen Wange"
durch einen Biß seiner Mutter zu diesem Beinamen gekommen sei. Albrecht
der Unartige wollte, so wird in alten Chroniken erzählt, und so glaubte man
noch vor nicht langer Zeit, auf Andringen seiner Buhle Kurre oder Kunigunde
von Eisenberg seine Gemahlin Margaretha, eine Tochter des Kaisers Friedrich
des Zweiten, von einem Eselstreiber auf der Wartburg ermorden lassen. Dieser
aber fühlte Mitleid mit der unschuldigen Fürstin und verhalf ihr des Nachts
zur Flucht. Von Schmerz überwältigt biß sie den einen ihrer schlafenden
Knaben beim Abschied in die Wange, sodaß ihm für sein ganzes Leben eine
Narbe blieb. Nach einer anderen Version that sie dies gar mit Ueberlegung:
er sollte ein Zeichen behalten, um für alle Zeit der seiner Mutter widerfah¬
renen Unbill und ihres Jammers eingedenk zu bleiben. Das Histörchen ist
allerliebst für Maler und Dichter, die sich seiner auch mehrfach bemächtigt haben,


Kreuzzügen aber wirkten neben gottesfürchtigen und hierarchischen Bestrebungen
sehr wesentlich, und mehr als diese, merkantile Tendenzen mit.

Eine Erfindung ist die Historie von dem zahmen Löwen, der den Grafen
Wieprecht von Groitsch auf Schritt und Tritt begleitet haben soll; eine erfun¬
dene Anekdote auch das Geschichtchen von der Doppelehe des Grafen Ernst
von Gleichen, zu welcher der Papst seine Erlaubniß ertheilt haben soll, und
zwar ist diese Sage, deren Held in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahr¬
hunderts gelebt haben soll, erst zu Ende des sechzehnten aufgekommen.

Aehnliches gilt von der Erzählung, wie Landgraf Ludwig der Springer,
der Erbauer der Wartburg, zu seinem Beinamen gelangt sein soll. Derselbe
hatte — so berichteten die ^.ong-iss Nsio.dö.räsvruQiikQSös — den Pfalzgrafen
Friedrich zu Sachsen auf der Jagd im Walde bei dessen Burg Scheiplitz im
Osterlande ermordet, um dessen Gemahlin, Adelheid von Stade, heirathen zu
können. Von den Verwandten des Pfalzgrafen beim Kaiser verklagt, wurde
Ludwig auf des letzteren Befehl gefangen genommen und auf das Schloß
Giebichenstein gebracht, wo er zwei Jahre später hingerichtet werden sollte. Am
Tage vor der Exekution aber that er unter dem Vorwande, es friere ihn, einen
weiten Mantel um und sprang, während seine Wächter beim Brettspiel saßen
und seiner nicht sonderlich achteten, vom Rande des Bergfelsens in die unten
vorüberfließende Saale hinab, aus deren Fluthen ihn ein Diener, der jenseits
mit einem weißen Pferde, das der Schwan hieß, auf ihn gewartet hatte, her¬
auszog und in Sicherheit brachte. Diese Geschichte, die aller Wahrscheinlichkeit
nach aus einer alten Mythe von übermenschlichen Sprüngen, die verschiedenen
Helden zugeschrieben wurden, und aus der falschen Deutung des Beinamens
8s.IisnL entstanden ist, figurirte noch vor wenigen Jahrzehnten in populären
Geschichtswerken als eine solche, die sich wirklich zugetragen.

Ebenfalls Fabel ist es, daß Markgraf Friedrich „mit der gebissenen Wange"
durch einen Biß seiner Mutter zu diesem Beinamen gekommen sei. Albrecht
der Unartige wollte, so wird in alten Chroniken erzählt, und so glaubte man
noch vor nicht langer Zeit, auf Andringen seiner Buhle Kurre oder Kunigunde
von Eisenberg seine Gemahlin Margaretha, eine Tochter des Kaisers Friedrich
des Zweiten, von einem Eselstreiber auf der Wartburg ermorden lassen. Dieser
aber fühlte Mitleid mit der unschuldigen Fürstin und verhalf ihr des Nachts
zur Flucht. Von Schmerz überwältigt biß sie den einen ihrer schlafenden
Knaben beim Abschied in die Wange, sodaß ihm für sein ganzes Leben eine
Narbe blieb. Nach einer anderen Version that sie dies gar mit Ueberlegung:
er sollte ein Zeichen behalten, um für alle Zeit der seiner Mutter widerfah¬
renen Unbill und ihres Jammers eingedenk zu bleiben. Das Histörchen ist
allerliebst für Maler und Dichter, die sich seiner auch mehrfach bemächtigt haben,


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[0079] Kreuzzügen aber wirkten neben gottesfürchtigen und hierarchischen Bestrebungen sehr wesentlich, und mehr als diese, merkantile Tendenzen mit. Eine Erfindung ist die Historie von dem zahmen Löwen, der den Grafen Wieprecht von Groitsch auf Schritt und Tritt begleitet haben soll; eine erfun¬ dene Anekdote auch das Geschichtchen von der Doppelehe des Grafen Ernst von Gleichen, zu welcher der Papst seine Erlaubniß ertheilt haben soll, und zwar ist diese Sage, deren Held in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahr¬ hunderts gelebt haben soll, erst zu Ende des sechzehnten aufgekommen. Aehnliches gilt von der Erzählung, wie Landgraf Ludwig der Springer, der Erbauer der Wartburg, zu seinem Beinamen gelangt sein soll. Derselbe hatte — so berichteten die ^.ong-iss Nsio.dö.räsvruQiikQSös — den Pfalzgrafen Friedrich zu Sachsen auf der Jagd im Walde bei dessen Burg Scheiplitz im Osterlande ermordet, um dessen Gemahlin, Adelheid von Stade, heirathen zu können. Von den Verwandten des Pfalzgrafen beim Kaiser verklagt, wurde Ludwig auf des letzteren Befehl gefangen genommen und auf das Schloß Giebichenstein gebracht, wo er zwei Jahre später hingerichtet werden sollte. Am Tage vor der Exekution aber that er unter dem Vorwande, es friere ihn, einen weiten Mantel um und sprang, während seine Wächter beim Brettspiel saßen und seiner nicht sonderlich achteten, vom Rande des Bergfelsens in die unten vorüberfließende Saale hinab, aus deren Fluthen ihn ein Diener, der jenseits mit einem weißen Pferde, das der Schwan hieß, auf ihn gewartet hatte, her¬ auszog und in Sicherheit brachte. Diese Geschichte, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer alten Mythe von übermenschlichen Sprüngen, die verschiedenen Helden zugeschrieben wurden, und aus der falschen Deutung des Beinamens 8s.IisnL entstanden ist, figurirte noch vor wenigen Jahrzehnten in populären Geschichtswerken als eine solche, die sich wirklich zugetragen. Ebenfalls Fabel ist es, daß Markgraf Friedrich „mit der gebissenen Wange" durch einen Biß seiner Mutter zu diesem Beinamen gekommen sei. Albrecht der Unartige wollte, so wird in alten Chroniken erzählt, und so glaubte man noch vor nicht langer Zeit, auf Andringen seiner Buhle Kurre oder Kunigunde von Eisenberg seine Gemahlin Margaretha, eine Tochter des Kaisers Friedrich des Zweiten, von einem Eselstreiber auf der Wartburg ermorden lassen. Dieser aber fühlte Mitleid mit der unschuldigen Fürstin und verhalf ihr des Nachts zur Flucht. Von Schmerz überwältigt biß sie den einen ihrer schlafenden Knaben beim Abschied in die Wange, sodaß ihm für sein ganzes Leben eine Narbe blieb. Nach einer anderen Version that sie dies gar mit Ueberlegung: er sollte ein Zeichen behalten, um für alle Zeit der seiner Mutter widerfah¬ renen Unbill und ihres Jammers eingedenk zu bleiben. Das Histörchen ist allerliebst für Maler und Dichter, die sich seiner auch mehrfach bemächtigt haben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/79>, abgerufen am 28.12.2024.