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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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geben. Indeß ist das nicht mehr nöthig. Die Ernte ist eingeheimst. Jene
Grundgedanken sind, wie bemerkt, in das allgemein giltige Recht der katholischen
Kirche aufgenommen. Den weltlichen Regierungen gegenüber sie geltend zu
machen, ist freilich schwieriger geworden; innerhalb der Kirche aber sind sie
unbestritten. Unter den Erfindungen, die dem Pontifikat Schaden zu bringen
bestimmt waren, sei hier nur an die lange geglaubte Fabel von der Päpstin
Johanna erinnert.

Kehren wir aus der Kirche des Mittelalters in die Kreise außerhalb der¬
selben zurück, so begegnen wir neben anderen Sagen, die geraume Zeit sür
Geschichte galten, auch derjenigen vom Mäusethurm bei Bingen, nach welcher
der Erzbischof Hatto von Mainz bei einer Hungersnoth eine Menge armer
Leute in eine Scheune gesperrt und darin verbrannt haben soll, wobei er ihr
Angst- und Schmerzgekreisch mit dem Piepen von Mäusen verglichen hätte;
später aber wäre er zur Strafe dafür von Mäusen verfolgt und in jenem
Thurme aufgefressen worden. Das Strafwunder werden wir hier fofort
streichen, aber auch die Unthat ist nichts weniger als geschichtlich. Hatto er¬
scheint in den ihn charakterisirenden historischen Nachrichten nicht als ein grau¬
samer Mann; wohl aber zwang er seine trägen Mönche zu fleißiger Arbeit,
und es wäre nicht unmöglich, daß einer derselben, der sich mit Chronik schreiben
befaßte, nach dem Tode des gestrengen Erzbischofs eine auch anderwärts ver¬
breitete Sage, die u. a. von dem polnischen Könige Popiel und einem Thurme
im Goplo-See an der russischen Grenze erzählt wird, auf ihn angewendet hätte.

Kaiser Heinrich I. heißt in der Geschichte der Vogelsteller oder der Städte¬
erbauer, weil er von einem Vogelherd auf den Thron berufen und weil er
eine Anzahl von Städten gegründet haben soll. Wir wissen aber jetzt, daß
jenes ebensowenig der Fall war, wie, daß er sein Herzogthum Sachsen, was
gleichfalls behauptet wurde, dem Papste geschenkt habe; auch hat er zwar eine
Anzahl Burgen angelegt, aber keine einzige Stadt erbaut.

Die zahlreichen Skandalgeschichten von Kaiser Heinrich IV. sind großen-
theils Erdichtungen oder wenigstens arge Uebertreibungen des Parteihasses,
der den Feind des Papstthums auch nach seinem Tode noch verfolgte.

Von den Kreuzzügen hat Sybel gezeigt, daß ihre Geschichte, namentlich die des
ersten, vielfach mit Sagen durchwebt und entstellt worden ist. Nicht der Ein¬
siedler Peter von Amiens mit seinem Eifer und seinen Wundern wurde die
Veranlassung zu jener mächtigen Bewegung, sondern der Papst Urban, der sie
als Kampfmittel gegen den Kaiser hervorrief und benutzte; und nicht der
fromme. Gottfried von Bouillon, sondern der sicilische Normannenherzog Boe-
mund war der Hauptführer bei den kriegerischen Operationen. Beiden späteren


geben. Indeß ist das nicht mehr nöthig. Die Ernte ist eingeheimst. Jene
Grundgedanken sind, wie bemerkt, in das allgemein giltige Recht der katholischen
Kirche aufgenommen. Den weltlichen Regierungen gegenüber sie geltend zu
machen, ist freilich schwieriger geworden; innerhalb der Kirche aber sind sie
unbestritten. Unter den Erfindungen, die dem Pontifikat Schaden zu bringen
bestimmt waren, sei hier nur an die lange geglaubte Fabel von der Päpstin
Johanna erinnert.

Kehren wir aus der Kirche des Mittelalters in die Kreise außerhalb der¬
selben zurück, so begegnen wir neben anderen Sagen, die geraume Zeit sür
Geschichte galten, auch derjenigen vom Mäusethurm bei Bingen, nach welcher
der Erzbischof Hatto von Mainz bei einer Hungersnoth eine Menge armer
Leute in eine Scheune gesperrt und darin verbrannt haben soll, wobei er ihr
Angst- und Schmerzgekreisch mit dem Piepen von Mäusen verglichen hätte;
später aber wäre er zur Strafe dafür von Mäusen verfolgt und in jenem
Thurme aufgefressen worden. Das Strafwunder werden wir hier fofort
streichen, aber auch die Unthat ist nichts weniger als geschichtlich. Hatto er¬
scheint in den ihn charakterisirenden historischen Nachrichten nicht als ein grau¬
samer Mann; wohl aber zwang er seine trägen Mönche zu fleißiger Arbeit,
und es wäre nicht unmöglich, daß einer derselben, der sich mit Chronik schreiben
befaßte, nach dem Tode des gestrengen Erzbischofs eine auch anderwärts ver¬
breitete Sage, die u. a. von dem polnischen Könige Popiel und einem Thurme
im Goplo-See an der russischen Grenze erzählt wird, auf ihn angewendet hätte.

Kaiser Heinrich I. heißt in der Geschichte der Vogelsteller oder der Städte¬
erbauer, weil er von einem Vogelherd auf den Thron berufen und weil er
eine Anzahl von Städten gegründet haben soll. Wir wissen aber jetzt, daß
jenes ebensowenig der Fall war, wie, daß er sein Herzogthum Sachsen, was
gleichfalls behauptet wurde, dem Papste geschenkt habe; auch hat er zwar eine
Anzahl Burgen angelegt, aber keine einzige Stadt erbaut.

Die zahlreichen Skandalgeschichten von Kaiser Heinrich IV. sind großen-
theils Erdichtungen oder wenigstens arge Uebertreibungen des Parteihasses,
der den Feind des Papstthums auch nach seinem Tode noch verfolgte.

Von den Kreuzzügen hat Sybel gezeigt, daß ihre Geschichte, namentlich die des
ersten, vielfach mit Sagen durchwebt und entstellt worden ist. Nicht der Ein¬
siedler Peter von Amiens mit seinem Eifer und seinen Wundern wurde die
Veranlassung zu jener mächtigen Bewegung, sondern der Papst Urban, der sie
als Kampfmittel gegen den Kaiser hervorrief und benutzte; und nicht der
fromme. Gottfried von Bouillon, sondern der sicilische Normannenherzog Boe-
mund war der Hauptführer bei den kriegerischen Operationen. Beiden späteren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/78>, abgerufen am 27.09.2024.