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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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fallenen Schnee ihre Zusammenkunft nicht verriethen, ist sehr anmuthig, aber
durchweg Fabel. Von Roland hat die historische Kritik kaum die Existenz
eines Helden dieses Namens, von der großen Mordschlacht bei Ronceval, in der
er gefallen sein soll, nur die trockene Thatsache übrig gelassen, daß im Jahre
778 bei einem Ueberfall des Frankenheeres durch kriegerische Stämme in den
Pyrenäen mehrere vornehme Leute aus dem Gefolge Karl's den Tod ge¬
funden haben.

Die Verbrennung der großen Bibliothek Alexandrien's dnrch die moham¬
medanischen Eroberer des Landes, die Anm, der Feldherr der letzteren, mit
den Worten motivirt haben soll: "Wenn darin enthalten ist, was im Koran
steht, so ist sie überflüssig; enthält sie aber etwas Anderes, so muß sie ver¬
nichtet werden", ist geschichtlich ebensowenig zu begründen. Eher ließe sich ihre
Unmöglichkeit behaupten; denn von jener größten Büchersammlung des Alter¬
thums war beim Einbruch der Sarazenen sicher und schon lange vorher wahr¬
scheinlich nichts oder nur sehr wenig mehr vorhanden.

Auch die Geschichte der römischen Päpste ist voll von Erfindungen, welche
entweder den Zweck hatten, die Macht des Papstthums zu heben und zu er¬
weitern, oder seinem Ansehen schaden sollten. Produkte der erstgenannten Art
haben wir in der im Jahre 777 zuerst auftretenden, aber etwas früher ent¬
standenen Erdichtung vor uns, daß der Kaiser Konstantin bei seiner Taufe dem
Papste Sylvester ganz Italien und die Inseln im westlichen Meere geschenkt
habe, worauf gestützt Urban II. sich Corsika unterwarf, und Hadrian IV. sich
für befugt hielt, Irland der Krone England zu schenken.

Ferner gehören hierher die berüchtigten pseudo-isidorischen Dekretalen, die
zuerst im Jahre 853 erwähnt werden und viel Unheil angerichtet haben. Sie
sind eine Sammlung von Briefen und Erlassen alter Päpste, von denen gerade
die ältesten und wichtigsten erdichtet sind, und die den Zweck haben, die um die
Mitte des neunten Jahrhunderts zuerst erhobenen Ansprüche des Papstthums
als uralt erscheinen zu lassen. Ihr Grundgedanke ist: das römische Oberprie-
sterthum ist die von Christus eingesetzte weltregierende Macht, und die Bischöfe
stehen als Beauftragte des Papstes direkt unter diesem. Keine Provinzialsynode
darf in Folge dessen ohne päpstliche Erlaubniß abgehalten werden. In allen
Klagen gegen Geistliche ist freie Appellation an die Kurie gestattet. Kein
Bischof darf ohne Genehmigung des Papstes abgesetzt werden; überhaupt wird
das Einschreiten gegen einen höheren Kleriker so erschwert, daß es fast unmög¬
lich gemacht wird. Dieser Schwindel bildete vom Ende des neunten Jahr¬
hunderts an die Grundlage des römischen Kirchenrechts. Im sechzehnten wurde
der Betrug zwar entlarvt, aber noch heute gibt es katholische Schriftsteller,
welche an die Echtheit der Dekretalen Jsidor's zu glauben sich den Anschein


Grenzboten II. 1379. 10

fallenen Schnee ihre Zusammenkunft nicht verriethen, ist sehr anmuthig, aber
durchweg Fabel. Von Roland hat die historische Kritik kaum die Existenz
eines Helden dieses Namens, von der großen Mordschlacht bei Ronceval, in der
er gefallen sein soll, nur die trockene Thatsache übrig gelassen, daß im Jahre
778 bei einem Ueberfall des Frankenheeres durch kriegerische Stämme in den
Pyrenäen mehrere vornehme Leute aus dem Gefolge Karl's den Tod ge¬
funden haben.

Die Verbrennung der großen Bibliothek Alexandrien's dnrch die moham¬
medanischen Eroberer des Landes, die Anm, der Feldherr der letzteren, mit
den Worten motivirt haben soll: „Wenn darin enthalten ist, was im Koran
steht, so ist sie überflüssig; enthält sie aber etwas Anderes, so muß sie ver¬
nichtet werden", ist geschichtlich ebensowenig zu begründen. Eher ließe sich ihre
Unmöglichkeit behaupten; denn von jener größten Büchersammlung des Alter¬
thums war beim Einbruch der Sarazenen sicher und schon lange vorher wahr¬
scheinlich nichts oder nur sehr wenig mehr vorhanden.

Auch die Geschichte der römischen Päpste ist voll von Erfindungen, welche
entweder den Zweck hatten, die Macht des Papstthums zu heben und zu er¬
weitern, oder seinem Ansehen schaden sollten. Produkte der erstgenannten Art
haben wir in der im Jahre 777 zuerst auftretenden, aber etwas früher ent¬
standenen Erdichtung vor uns, daß der Kaiser Konstantin bei seiner Taufe dem
Papste Sylvester ganz Italien und die Inseln im westlichen Meere geschenkt
habe, worauf gestützt Urban II. sich Corsika unterwarf, und Hadrian IV. sich
für befugt hielt, Irland der Krone England zu schenken.

Ferner gehören hierher die berüchtigten pseudo-isidorischen Dekretalen, die
zuerst im Jahre 853 erwähnt werden und viel Unheil angerichtet haben. Sie
sind eine Sammlung von Briefen und Erlassen alter Päpste, von denen gerade
die ältesten und wichtigsten erdichtet sind, und die den Zweck haben, die um die
Mitte des neunten Jahrhunderts zuerst erhobenen Ansprüche des Papstthums
als uralt erscheinen zu lassen. Ihr Grundgedanke ist: das römische Oberprie-
sterthum ist die von Christus eingesetzte weltregierende Macht, und die Bischöfe
stehen als Beauftragte des Papstes direkt unter diesem. Keine Provinzialsynode
darf in Folge dessen ohne päpstliche Erlaubniß abgehalten werden. In allen
Klagen gegen Geistliche ist freie Appellation an die Kurie gestattet. Kein
Bischof darf ohne Genehmigung des Papstes abgesetzt werden; überhaupt wird
das Einschreiten gegen einen höheren Kleriker so erschwert, daß es fast unmög¬
lich gemacht wird. Dieser Schwindel bildete vom Ende des neunten Jahr¬
hunderts an die Grundlage des römischen Kirchenrechts. Im sechzehnten wurde
der Betrug zwar entlarvt, aber noch heute gibt es katholische Schriftsteller,
welche an die Echtheit der Dekretalen Jsidor's zu glauben sich den Anschein


Grenzboten II. 1379. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/77>, abgerufen am 27.09.2024.