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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Wirken in Zürich. Er wohnte allen musikalischen Ausführungen bei und wirkte
in ihnen mit, ohne sich mit der Direktion zu befassen. Nur bei der Todtenfeier
seines Freundes Lcwater dirigirte er die musikalische Aufführung in der Gro߬
münsterkirche und da auch nur indirekt. Seine Verschlossenheit, der tiefe Ernst
seiner Stimmung verhinderten die günstigen Wirkungen, deren seine gründliche
musikalische Bildung fähig war; er hätte sich und dem großen Ganzen mehr
sein können. Neben ihm wirkte in Zürich ein gleich tüchtiger edel gesinnter
Musiklehrer Joh. David Brämig, der in seinen Eigenthümlichkeiten Kaysern
jedenfalls nicht nachstand. Beide homogene Naturen näherten sich weder in
ihren: Beruf noch im sonstigen Leben, obgleich sie zehn Jahre an ein und dem¬
selben Orte lebten und wirkten. Beide waren gleich entfernt vom Neid, der
bei gleicher Wirksamkeit den einen oder andern so leicht hätte erfüllen können.
Beide sprachen mit hoher Achtung von einander, aber keiner that einen Schritt
zur gegenseitigen Annäherung, die so viel Ersprießliches hätte wirken können; ja
Heß versichert, daß keiner den andern habe spielen hören.

Neben Lavater's Urtheil über Kayser's musikalische Bedeutung liegt uns
das von Chr. Fr. Daniel Schubart") vor, der sich folgendermaßen äußert: "Kayser
ist der beste musikalische Kopf, die Originalität seines Charakters drückt sich in
allen seinen Kompositionen, wie in seiner Spielart aus; seine Faust ist ge¬
flügelt und schimmernd, der Umriß seiner Passagen stark markirt, seine Manieren
sind rund und schön, sein Triller ist kräftig . . ., sein Satz ist gründlich und
männlich, voll Einfalt und zur Größe aufstrebend. Und doch hat dieser Musiker
wenig Sensation in Deutschland hervorgebracht. Es fehlt ihm an Grazie, an
Gefälligkeit und Leichtigkeit der Melodieen. Sein Satz ist oft mürrisch und
finster." Der größte Tadel, den Schubart ausspricht, ist der, daß Kayser
Originalität affektirt habe, wogegen sich David Heß am meisten wendet, weil
Kayser's edler Stolz und angeborene Originalität diese Verirrung nicht zuge¬
lassen habe.

Das Urtheil Schubart's enthält bei allem Tadel Momente genug, die ge¬
eignet gewesen wären, Kayser's Thätigkeit eine allgemeinere Anerkennung zu
sichern. Seitdem es aber Goethen nicht geglückt war, ihn in ein passendes
Geleis für seinen Lebensberuf zu führen, war es bei dem Naturell Kayser's
leicht begreiflich, daß er aller emporführenden Pläne sich entschlug und kaum
selbständige Versuche machte, seinen Kompositionen dnrch Veröffentlichung der¬
selben Theilnahme und Anerkennung in weiteren Kreisen zu verschaffen. Viele
seiner Schöpfungen sind nicht einmal dem Namen nach bekannt geworden. Unter
ihnen ist eine jedenfalls hervorragende, die Frucht seines zweiten italienischen



*) In seinen "Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst", herausgegeben von Ludwig
Schubart, Wen, 1306. S- 219.

Wirken in Zürich. Er wohnte allen musikalischen Ausführungen bei und wirkte
in ihnen mit, ohne sich mit der Direktion zu befassen. Nur bei der Todtenfeier
seines Freundes Lcwater dirigirte er die musikalische Aufführung in der Gro߬
münsterkirche und da auch nur indirekt. Seine Verschlossenheit, der tiefe Ernst
seiner Stimmung verhinderten die günstigen Wirkungen, deren seine gründliche
musikalische Bildung fähig war; er hätte sich und dem großen Ganzen mehr
sein können. Neben ihm wirkte in Zürich ein gleich tüchtiger edel gesinnter
Musiklehrer Joh. David Brämig, der in seinen Eigenthümlichkeiten Kaysern
jedenfalls nicht nachstand. Beide homogene Naturen näherten sich weder in
ihren: Beruf noch im sonstigen Leben, obgleich sie zehn Jahre an ein und dem¬
selben Orte lebten und wirkten. Beide waren gleich entfernt vom Neid, der
bei gleicher Wirksamkeit den einen oder andern so leicht hätte erfüllen können.
Beide sprachen mit hoher Achtung von einander, aber keiner that einen Schritt
zur gegenseitigen Annäherung, die so viel Ersprießliches hätte wirken können; ja
Heß versichert, daß keiner den andern habe spielen hören.

Neben Lavater's Urtheil über Kayser's musikalische Bedeutung liegt uns
das von Chr. Fr. Daniel Schubart") vor, der sich folgendermaßen äußert: „Kayser
ist der beste musikalische Kopf, die Originalität seines Charakters drückt sich in
allen seinen Kompositionen, wie in seiner Spielart aus; seine Faust ist ge¬
flügelt und schimmernd, der Umriß seiner Passagen stark markirt, seine Manieren
sind rund und schön, sein Triller ist kräftig . . ., sein Satz ist gründlich und
männlich, voll Einfalt und zur Größe aufstrebend. Und doch hat dieser Musiker
wenig Sensation in Deutschland hervorgebracht. Es fehlt ihm an Grazie, an
Gefälligkeit und Leichtigkeit der Melodieen. Sein Satz ist oft mürrisch und
finster." Der größte Tadel, den Schubart ausspricht, ist der, daß Kayser
Originalität affektirt habe, wogegen sich David Heß am meisten wendet, weil
Kayser's edler Stolz und angeborene Originalität diese Verirrung nicht zuge¬
lassen habe.

Das Urtheil Schubart's enthält bei allem Tadel Momente genug, die ge¬
eignet gewesen wären, Kayser's Thätigkeit eine allgemeinere Anerkennung zu
sichern. Seitdem es aber Goethen nicht geglückt war, ihn in ein passendes
Geleis für seinen Lebensberuf zu führen, war es bei dem Naturell Kayser's
leicht begreiflich, daß er aller emporführenden Pläne sich entschlug und kaum
selbständige Versuche machte, seinen Kompositionen dnrch Veröffentlichung der¬
selben Theilnahme und Anerkennung in weiteren Kreisen zu verschaffen. Viele
seiner Schöpfungen sind nicht einmal dem Namen nach bekannt geworden. Unter
ihnen ist eine jedenfalls hervorragende, die Frucht seines zweiten italienischen



*) In seinen „Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst", herausgegeben von Ludwig
Schubart, Wen, 1306. S- 219.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/65>, abgerufen am 28.12.2024.