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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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dargebracht wurden. Dazu kam, daß Kayser's frühestes Liebesverhältniß mit
Säumchen in Frankfurt unaufhörlich und nachdrücklich im elterlichen Hause be¬
kämpft wurde, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Uebersiedelung nach
Zürich in einigem Zusammenhange mit diesen Kämpfen stand, wenn Goethen
auch bedeutendere Gründe leiten mochten, als er ihn dorthin zu vorübergehendem
Aufenthalte empfahl.

Den Ruf, der Kayser vorausging, mehrte insbesondere Lavater, der in
seiner Physiognomik Kayser's Kopf und Profil vier Mal kommentirte und den
jungen Komponisten als das größte musikalische Genie pries. Kayser's äußere
angenehme Erscheinung, die etwas Auffallendes, Vornehmes und Jmponirendes
hatte, seine ungewöhnliche Bildung öffneten ihm die angesehensten Hänser Zürich's;
man rühmte ihm vorzügliches Lehrtalent und allseitiges Streben nach Vervoll¬
kommnung nach. Er trug sich mit großen musikalischen Projekten, beschäftigte
sich, wie wir sahen, mehrfach literarisch, und man kann bei der vielseitigen
Thätigkeit, die er als eifriger Freimaurer, als Dichter, Komponist und Tourist
entwickelte, nicht verkennen, daß er lange Zeit hindurch auf bestimmte Ziele
hinarbeitete und sich zu konzentriren verstand, wenn ihn die Lehrthätigkeit als
Unbemittelten auch vielfach schädigte.

Unverkennbar hat aber auf Kayser's späteres Leben und absonderliches
Wesen der unbefriedigte Drang nach dem Familienleben einen höchst ungünstigen
Einfluß ausgeübt. Noch ein Mal in den mittleren Jahren seines Lebens hatte
er eine tiefe Neigung zu einer Dame gefaßt, der er in Zürich Unterricht ertheilte.
Aber es war und blieb ein auf gegenseitige Achtung und gleichartige Empfin¬
dungen begründetes Verhältniß, das sich nicht zu dem gestalten wollte, was
seinem Herzen Nahrung gegeben hätte.

Allem Anschein nach trug diese Vereinsamung Kayser's dazu bei, daß aus
dem jugendlichen Schwärmer ein abgeschlossener Sonderling wurde, der im täg¬
lichen Berufe aufging, seine Welt und seine Ideen für sich hatte, und der in
der Durchbildung seiner Eigenheiten zu einer gesellschaftlichen Sonderstellung
kam, die er zwar nicht für glücklich hielt, aber zu deren Abstreifen ihm doch
die Kraft, vielleicht auch der gute Wille mangelte.

Der Schwerpunkt seiner Thätigkeit lag in der Erfüllung der Tagespflichten,
die ihm durch den Lehrberuf vorgeschrieben waren. In diesem wirkte er an¬
regend und fördernd. Wenn sein rauhes, gebieterisches und wortkarges Ver¬
halten zunächst seine Schüler abschreckte, so war bei der Zuneigung, die er für
das kindliche Wesen bekundete, bei der Herzensgüte, die ihm eigen war, der
Erfolg seiner Lehrthätigkeit um so gewisser, als ihm die Zuneigung und ehr¬
furchtsvolle Gesinnung der Schüler auf die Dauer nie fehlten.

Anspruchslos war bei allem Ehrgeiz auch sein öffentliches musikalisches


dargebracht wurden. Dazu kam, daß Kayser's frühestes Liebesverhältniß mit
Säumchen in Frankfurt unaufhörlich und nachdrücklich im elterlichen Hause be¬
kämpft wurde, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Uebersiedelung nach
Zürich in einigem Zusammenhange mit diesen Kämpfen stand, wenn Goethen
auch bedeutendere Gründe leiten mochten, als er ihn dorthin zu vorübergehendem
Aufenthalte empfahl.

Den Ruf, der Kayser vorausging, mehrte insbesondere Lavater, der in
seiner Physiognomik Kayser's Kopf und Profil vier Mal kommentirte und den
jungen Komponisten als das größte musikalische Genie pries. Kayser's äußere
angenehme Erscheinung, die etwas Auffallendes, Vornehmes und Jmponirendes
hatte, seine ungewöhnliche Bildung öffneten ihm die angesehensten Hänser Zürich's;
man rühmte ihm vorzügliches Lehrtalent und allseitiges Streben nach Vervoll¬
kommnung nach. Er trug sich mit großen musikalischen Projekten, beschäftigte
sich, wie wir sahen, mehrfach literarisch, und man kann bei der vielseitigen
Thätigkeit, die er als eifriger Freimaurer, als Dichter, Komponist und Tourist
entwickelte, nicht verkennen, daß er lange Zeit hindurch auf bestimmte Ziele
hinarbeitete und sich zu konzentriren verstand, wenn ihn die Lehrthätigkeit als
Unbemittelten auch vielfach schädigte.

Unverkennbar hat aber auf Kayser's späteres Leben und absonderliches
Wesen der unbefriedigte Drang nach dem Familienleben einen höchst ungünstigen
Einfluß ausgeübt. Noch ein Mal in den mittleren Jahren seines Lebens hatte
er eine tiefe Neigung zu einer Dame gefaßt, der er in Zürich Unterricht ertheilte.
Aber es war und blieb ein auf gegenseitige Achtung und gleichartige Empfin¬
dungen begründetes Verhältniß, das sich nicht zu dem gestalten wollte, was
seinem Herzen Nahrung gegeben hätte.

Allem Anschein nach trug diese Vereinsamung Kayser's dazu bei, daß aus
dem jugendlichen Schwärmer ein abgeschlossener Sonderling wurde, der im täg¬
lichen Berufe aufging, seine Welt und seine Ideen für sich hatte, und der in
der Durchbildung seiner Eigenheiten zu einer gesellschaftlichen Sonderstellung
kam, die er zwar nicht für glücklich hielt, aber zu deren Abstreifen ihm doch
die Kraft, vielleicht auch der gute Wille mangelte.

Der Schwerpunkt seiner Thätigkeit lag in der Erfüllung der Tagespflichten,
die ihm durch den Lehrberuf vorgeschrieben waren. In diesem wirkte er an¬
regend und fördernd. Wenn sein rauhes, gebieterisches und wortkarges Ver¬
halten zunächst seine Schüler abschreckte, so war bei der Zuneigung, die er für
das kindliche Wesen bekundete, bei der Herzensgüte, die ihm eigen war, der
Erfolg seiner Lehrthätigkeit um so gewisser, als ihm die Zuneigung und ehr¬
furchtsvolle Gesinnung der Schüler auf die Dauer nie fehlten.

Anspruchslos war bei allem Ehrgeiz auch sein öffentliches musikalisches


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[0064] dargebracht wurden. Dazu kam, daß Kayser's frühestes Liebesverhältniß mit Säumchen in Frankfurt unaufhörlich und nachdrücklich im elterlichen Hause be¬ kämpft wurde, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Uebersiedelung nach Zürich in einigem Zusammenhange mit diesen Kämpfen stand, wenn Goethen auch bedeutendere Gründe leiten mochten, als er ihn dorthin zu vorübergehendem Aufenthalte empfahl. Den Ruf, der Kayser vorausging, mehrte insbesondere Lavater, der in seiner Physiognomik Kayser's Kopf und Profil vier Mal kommentirte und den jungen Komponisten als das größte musikalische Genie pries. Kayser's äußere angenehme Erscheinung, die etwas Auffallendes, Vornehmes und Jmponirendes hatte, seine ungewöhnliche Bildung öffneten ihm die angesehensten Hänser Zürich's; man rühmte ihm vorzügliches Lehrtalent und allseitiges Streben nach Vervoll¬ kommnung nach. Er trug sich mit großen musikalischen Projekten, beschäftigte sich, wie wir sahen, mehrfach literarisch, und man kann bei der vielseitigen Thätigkeit, die er als eifriger Freimaurer, als Dichter, Komponist und Tourist entwickelte, nicht verkennen, daß er lange Zeit hindurch auf bestimmte Ziele hinarbeitete und sich zu konzentriren verstand, wenn ihn die Lehrthätigkeit als Unbemittelten auch vielfach schädigte. Unverkennbar hat aber auf Kayser's späteres Leben und absonderliches Wesen der unbefriedigte Drang nach dem Familienleben einen höchst ungünstigen Einfluß ausgeübt. Noch ein Mal in den mittleren Jahren seines Lebens hatte er eine tiefe Neigung zu einer Dame gefaßt, der er in Zürich Unterricht ertheilte. Aber es war und blieb ein auf gegenseitige Achtung und gleichartige Empfin¬ dungen begründetes Verhältniß, das sich nicht zu dem gestalten wollte, was seinem Herzen Nahrung gegeben hätte. Allem Anschein nach trug diese Vereinsamung Kayser's dazu bei, daß aus dem jugendlichen Schwärmer ein abgeschlossener Sonderling wurde, der im täg¬ lichen Berufe aufging, seine Welt und seine Ideen für sich hatte, und der in der Durchbildung seiner Eigenheiten zu einer gesellschaftlichen Sonderstellung kam, die er zwar nicht für glücklich hielt, aber zu deren Abstreifen ihm doch die Kraft, vielleicht auch der gute Wille mangelte. Der Schwerpunkt seiner Thätigkeit lag in der Erfüllung der Tagespflichten, die ihm durch den Lehrberuf vorgeschrieben waren. In diesem wirkte er an¬ regend und fördernd. Wenn sein rauhes, gebieterisches und wortkarges Ver¬ halten zunächst seine Schüler abschreckte, so war bei der Zuneigung, die er für das kindliche Wesen bekundete, bei der Herzensgüte, die ihm eigen war, der Erfolg seiner Lehrthätigkeit um so gewisser, als ihm die Zuneigung und ehr¬ furchtsvolle Gesinnung der Schüler auf die Dauer nie fehlten. Anspruchslos war bei allem Ehrgeiz auch sein öffentliches musikalisches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/64>, abgerufen am 27.09.2024.