Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.wiederholt schon ausgesprochene Beobachtung, wenn Kapp sich auf die Worte Die letzten beiden Kapitel des Kapp'schen Werkes endlich behandeln die wiederholt schon ausgesprochene Beobachtung, wenn Kapp sich auf die Worte Die letzten beiden Kapitel des Kapp'schen Werkes endlich behandeln die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142012"/> <p xml:id="ID_168" prev="#ID_167"> wiederholt schon ausgesprochene Beobachtung, wenn Kapp sich auf die Worte<lb/> Alfred Dove's beruft: „Wir verstehen den Mechanismus der Natur immer<lb/> erst dann, wenn wir ihn frei nacherfunden haben; so das Auge , nachdem wir<lb/> die oamsrs,, die Nerven, nachdem wir den Telegraphen konstruirt." Im zehnten<lb/> Kapitel — das neunte, welches sich im Anschluß an Carus und E. v. Hartmann,<lb/> mit dem Begriffe des „Unbewußten" beschäftigt, übergehen wir hier — gibt Kapp<lb/> eine sehr anschauliche Darstellung der Maschinentechnik nach dem Werke von<lb/> I. Reuleaux: Theoretische Kinematik, Grundzüge einer Theorie des Maschinen¬<lb/> wesens. Das elfte macht uns mit dem morphologischen Grundgesetze bekannt<lb/> nach Zeising's Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers, welcher<lb/> der „goldne Schnitt" zu Grunde liegt. Die Theilung einer geraden Linie durch<lb/> den goldnen Schnitt bewirkt bekanntlich die Herstellung eines Verhältnisses,<lb/> wonach der kleinere Abschnitt zum größeren sich verhält, wie dieser zur ganzen<lb/> Linie. Zeising hat durch zahlreiche Messungen nachgewiesen, daß, wenn die<lb/> vom Scheitel bis zur Sohle gezogene Längslinie des menschlichen Körpers<lb/> durch den goldnen Schnitt getheilt wird, die Theilung regelmäßig in den Nabel<lb/> fällt; es verhält sich demnach der kleinere obere Abschnitt des Körpers (der<lb/> sogenannte Minor des goldnen Schnittes) zum größeren unteren Abschnitt (dem<lb/> Major des goldnen Schnittes), wie dieser zur ganzen Längslinie. Theilt man<lb/> den Minor und den Major nochmals durch den goldnen Schnitt, so fällt die<lb/> Theilung der Minorlinie auf die Verbindung von Hals und Rumpf, die Thei¬<lb/> lung der Majorlinie auf den unteren Rand der Kniescheibe. So kann man<lb/> die Theilung durch den goldnen Schnitt mit jeder Minor- und Majorlinie<lb/> beliebig fortsetzen; immer wird man finden, daß entweder der Minor oder der<lb/> Major, oder auch beide, eiuer bestimmten Gliederung entsprechen, und daß alle<lb/> Gliederabschnitte des menschlichen Körpers zu einander in einem bestimmten<lb/> Normalverhältnisse stehen. Kapp zeigt nun, daß die Grundform zweckmäßig<lb/> konstruirter Werkzeuge, wie z. B. die amerikanische Axt, in Uebereinstimmung<lb/> steht mit dem Normalverhältniß des menschlichen Organes, dem sie dienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_169" next="#ID_170"> Die letzten beiden Kapitel des Kapp'schen Werkes endlich behandeln die<lb/> Sprache und den Staat. Daß auch der letztere in den Rahmen einer „Phi¬<lb/> losophie der Technik" hineinpaßt, davon wird der Verfasser schwerlich jemanden<lb/> vollständig überzeugen; dagegen sind die technischen Beziehungen der Sprache<lb/> von Kapp sehr glücklich und geistvoll aufgefaßt worden. In der Sprache, sagt<lb/> er, hört der Unterschied von Kunstwerk und Werkzeug, der sonst durchweg<lb/> feststeht, ganz auf. Indem sie erklärt, was sie selbst ist, übt sie gerade das<lb/> aus, was sie erklären will. Mithin ist sie das Werkzeug, sich als ihr eignes<lb/> Werkzeug zu begreisen, also ein vergeistigtes Werkzeug, Spitze und Vermitte¬<lb/> lung zugleich der absoluten Selbstproduktion des Menschen, Gedankenform in</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
wiederholt schon ausgesprochene Beobachtung, wenn Kapp sich auf die Worte
Alfred Dove's beruft: „Wir verstehen den Mechanismus der Natur immer
erst dann, wenn wir ihn frei nacherfunden haben; so das Auge , nachdem wir
die oamsrs,, die Nerven, nachdem wir den Telegraphen konstruirt." Im zehnten
Kapitel — das neunte, welches sich im Anschluß an Carus und E. v. Hartmann,
mit dem Begriffe des „Unbewußten" beschäftigt, übergehen wir hier — gibt Kapp
eine sehr anschauliche Darstellung der Maschinentechnik nach dem Werke von
I. Reuleaux: Theoretische Kinematik, Grundzüge einer Theorie des Maschinen¬
wesens. Das elfte macht uns mit dem morphologischen Grundgesetze bekannt
nach Zeising's Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers, welcher
der „goldne Schnitt" zu Grunde liegt. Die Theilung einer geraden Linie durch
den goldnen Schnitt bewirkt bekanntlich die Herstellung eines Verhältnisses,
wonach der kleinere Abschnitt zum größeren sich verhält, wie dieser zur ganzen
Linie. Zeising hat durch zahlreiche Messungen nachgewiesen, daß, wenn die
vom Scheitel bis zur Sohle gezogene Längslinie des menschlichen Körpers
durch den goldnen Schnitt getheilt wird, die Theilung regelmäßig in den Nabel
fällt; es verhält sich demnach der kleinere obere Abschnitt des Körpers (der
sogenannte Minor des goldnen Schnittes) zum größeren unteren Abschnitt (dem
Major des goldnen Schnittes), wie dieser zur ganzen Längslinie. Theilt man
den Minor und den Major nochmals durch den goldnen Schnitt, so fällt die
Theilung der Minorlinie auf die Verbindung von Hals und Rumpf, die Thei¬
lung der Majorlinie auf den unteren Rand der Kniescheibe. So kann man
die Theilung durch den goldnen Schnitt mit jeder Minor- und Majorlinie
beliebig fortsetzen; immer wird man finden, daß entweder der Minor oder der
Major, oder auch beide, eiuer bestimmten Gliederung entsprechen, und daß alle
Gliederabschnitte des menschlichen Körpers zu einander in einem bestimmten
Normalverhältnisse stehen. Kapp zeigt nun, daß die Grundform zweckmäßig
konstruirter Werkzeuge, wie z. B. die amerikanische Axt, in Uebereinstimmung
steht mit dem Normalverhältniß des menschlichen Organes, dem sie dienen.
Die letzten beiden Kapitel des Kapp'schen Werkes endlich behandeln die
Sprache und den Staat. Daß auch der letztere in den Rahmen einer „Phi¬
losophie der Technik" hineinpaßt, davon wird der Verfasser schwerlich jemanden
vollständig überzeugen; dagegen sind die technischen Beziehungen der Sprache
von Kapp sehr glücklich und geistvoll aufgefaßt worden. In der Sprache, sagt
er, hört der Unterschied von Kunstwerk und Werkzeug, der sonst durchweg
feststeht, ganz auf. Indem sie erklärt, was sie selbst ist, übt sie gerade das
aus, was sie erklären will. Mithin ist sie das Werkzeug, sich als ihr eignes
Werkzeug zu begreisen, also ein vergeistigtes Werkzeug, Spitze und Vermitte¬
lung zugleich der absoluten Selbstproduktion des Menschen, Gedankenform in
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