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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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umgibt, welches vorwiegend an den beiden Enden des Knochens entwickelt ist.
Das Gefüge der sxonAiosa erkennt man am deutlichsten an dem oberen Ende
des menschlichen Oberschenkelknochens. Hier war es, wo zuerst Hermann Meyer
in Zürich und Julius Wolfs in Berlin die Architektur des Knochens kennen
lernten. Beim Anblicke der Meyer'schen Präparate erkannte der Züricher
Mathematiker K. Culmann sofort, daß die spongiosen Bällchen genau in den¬
selben Linien aufgebaut seien, welche die Mathematiker in der graphischen
Statik an Körpern entwickeln, die ähnliche Formen haben, wie die betreffenden
Knochen, und ähnlichen Kräfteeinwirkungen ausgesetzt sind, wie diese. Er zeich¬
nete einen Krähn, dem er die Umrisse des oberen Endes eines menschlichen
Oberschenkelbeines gab und bei dem er eine den Verhältnissen beim Menschen
entsprechende Belastung annahm. In diesen Krähn ließ er unter seiner Auf¬
ficht die sogenannten Zug- und Drucklinien von seinen Schülern hineinzeichnen.
Und mit welchem Ergebniß! Es zeigten sich, daß diese Linien in allen Punkten
dieselben sind, welche die Natur am oberen Ende des Oberschenkels durch die
Richtungen, die sie hier den Knochenbälkchen gegeben, in Wirklichkeit ausgeführt
hat. Da der Pauly'sche Brückenträger auf die Theorie der Zug- und Drucklinien
basirt ist, so durfte Wolff mit Recht sagen: die Natur habe den Knochen auf¬
gebaut, wie der Ingenieur seine Brücke. Und weiter: die Natur habe, so zu
sagen, ein mathematisches Problem gelöst und eine wunderbare Bestätigung
der Zug- und Drucklinien gegeben. Und wiederum fügt Kapp hinzu: so ist
der Mechanismus die Fackel zur Erleuchtung des Organismus. Physiologische
Vorgänge sind nicht unmittelbar zu verstehen, sondern sie müssen mit Hilfe
mechanischer Vorrichtungen experimentell begriffen werden.

Das siebente Kapitel ist der Dampfmaschine und dem Schienenweg ge¬
widmet. Was an der Dampfmaschine die hohe Bewunderung einflößt, das
sind nicht jene technischen Einzelheiten, wie etwa die Nachbildung einer orga¬
nischen Gelenkverbindung durch metallene Drehflächen mit Aalglätte, nicht die
Schrauben, Arme, Hämmer, Hobel, Kolben, sondern es ist die Speisung der
Maschine, die Umsetzung der Brennstoffe in Wärme und Bewegung, kurz, der
eigenthümlich dämonische Schein selbsteigener Arbeitsleistung. Hier spricht die
Erinnerung an höhere Herkunft, die den Menschen, dessen Hand das eiserne
Ungethüm gebaut und freigegeben hat zum Wettlauf mit Sturm und Wind
und Wogen, vor sich selbst erstaunen macht, wo jeder prüfende Blick dazu
beiträgt, die Wahrheit des L. Feuerbach'schen Textwortes aller Anthropologie
einleuchtend zu machen, daß der Gegenstand des Menschen nichts anders ist,
als sein gegenständliches Wesen selbst.

Das achte Kapitel betrachtet den elektromagnetischen Telegraphen als das
projizirte menschliche Nervensystem. Auch hier wieder bestätigt sich eine oben


umgibt, welches vorwiegend an den beiden Enden des Knochens entwickelt ist.
Das Gefüge der sxonAiosa erkennt man am deutlichsten an dem oberen Ende
des menschlichen Oberschenkelknochens. Hier war es, wo zuerst Hermann Meyer
in Zürich und Julius Wolfs in Berlin die Architektur des Knochens kennen
lernten. Beim Anblicke der Meyer'schen Präparate erkannte der Züricher
Mathematiker K. Culmann sofort, daß die spongiosen Bällchen genau in den¬
selben Linien aufgebaut seien, welche die Mathematiker in der graphischen
Statik an Körpern entwickeln, die ähnliche Formen haben, wie die betreffenden
Knochen, und ähnlichen Kräfteeinwirkungen ausgesetzt sind, wie diese. Er zeich¬
nete einen Krähn, dem er die Umrisse des oberen Endes eines menschlichen
Oberschenkelbeines gab und bei dem er eine den Verhältnissen beim Menschen
entsprechende Belastung annahm. In diesen Krähn ließ er unter seiner Auf¬
ficht die sogenannten Zug- und Drucklinien von seinen Schülern hineinzeichnen.
Und mit welchem Ergebniß! Es zeigten sich, daß diese Linien in allen Punkten
dieselben sind, welche die Natur am oberen Ende des Oberschenkels durch die
Richtungen, die sie hier den Knochenbälkchen gegeben, in Wirklichkeit ausgeführt
hat. Da der Pauly'sche Brückenträger auf die Theorie der Zug- und Drucklinien
basirt ist, so durfte Wolff mit Recht sagen: die Natur habe den Knochen auf¬
gebaut, wie der Ingenieur seine Brücke. Und weiter: die Natur habe, so zu
sagen, ein mathematisches Problem gelöst und eine wunderbare Bestätigung
der Zug- und Drucklinien gegeben. Und wiederum fügt Kapp hinzu: so ist
der Mechanismus die Fackel zur Erleuchtung des Organismus. Physiologische
Vorgänge sind nicht unmittelbar zu verstehen, sondern sie müssen mit Hilfe
mechanischer Vorrichtungen experimentell begriffen werden.

Das siebente Kapitel ist der Dampfmaschine und dem Schienenweg ge¬
widmet. Was an der Dampfmaschine die hohe Bewunderung einflößt, das
sind nicht jene technischen Einzelheiten, wie etwa die Nachbildung einer orga¬
nischen Gelenkverbindung durch metallene Drehflächen mit Aalglätte, nicht die
Schrauben, Arme, Hämmer, Hobel, Kolben, sondern es ist die Speisung der
Maschine, die Umsetzung der Brennstoffe in Wärme und Bewegung, kurz, der
eigenthümlich dämonische Schein selbsteigener Arbeitsleistung. Hier spricht die
Erinnerung an höhere Herkunft, die den Menschen, dessen Hand das eiserne
Ungethüm gebaut und freigegeben hat zum Wettlauf mit Sturm und Wind
und Wogen, vor sich selbst erstaunen macht, wo jeder prüfende Blick dazu
beiträgt, die Wahrheit des L. Feuerbach'schen Textwortes aller Anthropologie
einleuchtend zu machen, daß der Gegenstand des Menschen nichts anders ist,
als sein gegenständliches Wesen selbst.

Das achte Kapitel betrachtet den elektromagnetischen Telegraphen als das
projizirte menschliche Nervensystem. Auch hier wieder bestätigt sich eine oben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/56>, abgerufen am 27.09.2024.