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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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dem Sinne, daß die Form selbst Gedanke und der Gedanke Form ist, ist auch
sie die Einheit eines letzten Unterschiedes. Je nach ihrer Berufung an das
Ohr oder an das Auge, wird die Sprache als Lautsprache und als Schrift¬
sprache unterschieden. Die Schrift erklärt Kapp als "aller Manufakte höchstes;
sie ist die Einheit von einem Idealen und Realen, ein Kunstwerk, dessen Zauber
in der ing,nil propria-Namens Zeichnung, als kürzester sichtbarer Abbreviatur
einer Persönlichkeit, den ganzen Menschen in sich begreift und dokumentirt.
In der Schrift ist die Sprache permanent, die Schrift ist der verzauberte Laut
aus dem sie in jedem Moment wieder ausklingen und auf's neue als lebendiges,
Wort den Geist des Hörers bannen und fortreißen kann. Kurz, der Buchstabe
ist das Symbol einer unzerstörbaren Zusammengehörigkeit, der gegenseitigen
Immanenz von Gehörten und Erblicktem, von Buch als Schriftzeichen und
von Stab als Lautklang, von Rede und von Schrift, mit einem Wort: er
birgt das Sprachganze. Lebt daher und entwickelt sich die Sprache als Natur¬
macht im Menschen, so ist dessen Handschrift die Signatur seiner Abstammung,
d. h. der im Allgemeinen und im Besonderen, nach Race und Nationalität, je
nach dem Naturell des Individuums ausgeprägten Naturbestimmtheit. Dem
"Sprich, und ich will dir sagen, weß Volkes und Geistes Kind du bist" tritt
im Allgemeinen die Auskunft ebenbürtig an die Seite, welche die Charaktere
der Handschrift über den Charakter des Schreibers ertheilen. Nehmen wir die
Sprache als ein Ganzes, dem Ganzen der Menschheit Eigenthümliches, so er¬
scheint sie, nach dem Zweck der Verständigung und Belehrung, als Werkzeug,
aber nach dem Inhalt ihres universalen Kernstoffes als Produkt. Auf dem
ganzen bisher durchschrittenen Gebiete war das Werkzeug nach seiner Ent¬
stehung um so deutlicher von den Objekten seiner Wirksamkeit zu unterscheiden,
je mehr in die Sinne fallend der zu beiden verwendete Stoff war. Mit der
allmählichen, sogar bis zum Lufthauch sich steigernden Verfeinerung des Stoffes
verlor sich der Unterschied in ein Dunkel, aus dem er noch einmal strahlend
in dem Sondergebiete eines reinen Manufaktes, in der Handschrift, hervortrat,
um dann in der allgemeinen Sprachsphäre sich gänzlich zurückzuziehen.

Dies ein kurzer Auszug aus der Fülle von Thatsachen und scharfsinnigen
und überraschenden Folgerungen, aus denen Kapp seine "Philosophie der Technik"
aufgebaut hat. Wir zweifeln nicht, daß derselbe unsere Leser zu eignem, ein¬
gehenderen Studium des geistvollen Werkes angeregt haben wird.


M. Wilckens.


dem Sinne, daß die Form selbst Gedanke und der Gedanke Form ist, ist auch
sie die Einheit eines letzten Unterschiedes. Je nach ihrer Berufung an das
Ohr oder an das Auge, wird die Sprache als Lautsprache und als Schrift¬
sprache unterschieden. Die Schrift erklärt Kapp als „aller Manufakte höchstes;
sie ist die Einheit von einem Idealen und Realen, ein Kunstwerk, dessen Zauber
in der ing,nil propria-Namens Zeichnung, als kürzester sichtbarer Abbreviatur
einer Persönlichkeit, den ganzen Menschen in sich begreift und dokumentirt.
In der Schrift ist die Sprache permanent, die Schrift ist der verzauberte Laut
aus dem sie in jedem Moment wieder ausklingen und auf's neue als lebendiges,
Wort den Geist des Hörers bannen und fortreißen kann. Kurz, der Buchstabe
ist das Symbol einer unzerstörbaren Zusammengehörigkeit, der gegenseitigen
Immanenz von Gehörten und Erblicktem, von Buch als Schriftzeichen und
von Stab als Lautklang, von Rede und von Schrift, mit einem Wort: er
birgt das Sprachganze. Lebt daher und entwickelt sich die Sprache als Natur¬
macht im Menschen, so ist dessen Handschrift die Signatur seiner Abstammung,
d. h. der im Allgemeinen und im Besonderen, nach Race und Nationalität, je
nach dem Naturell des Individuums ausgeprägten Naturbestimmtheit. Dem
„Sprich, und ich will dir sagen, weß Volkes und Geistes Kind du bist" tritt
im Allgemeinen die Auskunft ebenbürtig an die Seite, welche die Charaktere
der Handschrift über den Charakter des Schreibers ertheilen. Nehmen wir die
Sprache als ein Ganzes, dem Ganzen der Menschheit Eigenthümliches, so er¬
scheint sie, nach dem Zweck der Verständigung und Belehrung, als Werkzeug,
aber nach dem Inhalt ihres universalen Kernstoffes als Produkt. Auf dem
ganzen bisher durchschrittenen Gebiete war das Werkzeug nach seiner Ent¬
stehung um so deutlicher von den Objekten seiner Wirksamkeit zu unterscheiden,
je mehr in die Sinne fallend der zu beiden verwendete Stoff war. Mit der
allmählichen, sogar bis zum Lufthauch sich steigernden Verfeinerung des Stoffes
verlor sich der Unterschied in ein Dunkel, aus dem er noch einmal strahlend
in dem Sondergebiete eines reinen Manufaktes, in der Handschrift, hervortrat,
um dann in der allgemeinen Sprachsphäre sich gänzlich zurückzuziehen.

Dies ein kurzer Auszug aus der Fülle von Thatsachen und scharfsinnigen
und überraschenden Folgerungen, aus denen Kapp seine „Philosophie der Technik"
aufgebaut hat. Wir zweifeln nicht, daß derselbe unsere Leser zu eignem, ein¬
gehenderen Studium des geistvollen Werkes angeregt haben wird.


M. Wilckens.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/58>, abgerufen am 27.09.2024.