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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Dieser Beschluß wurde am 6. März gefaßt und noch am selbigen Tage
dem Gefangenen in Gegenwart des preußischen Agenten von den Amtsbürger¬
meistern mitgetheilt. Zugleich wurde ihm im Auftrage des Rathes bedeutet,
daß er die gnädige Behandlung nicht sich selber zu verdanken habe, sondern
nur der Rücksicht, die man auf seinen Herrn nehme, damit dessen Geschäfte
nicht verzögert würden; er möge sich daher mit seiner Abreise soviel wie mög¬
lich beeilen.

Callabrici war froh, so leichten Kaufes losgekommen zu sein. Weshalb
es geschah, konnte ihm gleichgiltig sein. Er verhieß alles, unterschrieb sogar
in der Freude seines Herzens aus freien Stücken einen Revers, in welchem er
sich c-on inttuito risxstto des Rathes uirMssiiuo e ckevotissinio ssrvo nannte,
und versprach, wegen des ausgestandenen Gefängnisses niemals Rache üben zu
wollen. Mit seinen Gläubigern, die schon auf dem Rathhause warteten, gelang
es ihm leicht, sich auseinanderzusetzen, da diese auf nachdrückliche Ermah¬
nungen von Seiten des Rathes ihre Forderungen um ein Beträchtliches er¬
mäßigt hatten. Die Prokuratoren der Firma Mainone, deren Chef kurz zuvor
gestorben war, erhielten einen Wechsel auf 194 Gulden nach 4 Monaten zahlbar.
Birzle wurde sofort befriedigt.

Damit sollte man meinen, wäre die Angelegenheit zu einem allerseits zu¬
friedenstellender Abschlüsse gediehen. Dem war jedoch nicht so. Während
Callabrici auf einen Wagen wartete, der ihn in seine Herberge bringen sollte,
und dabei in bester Laune mit Guttmann und den Bürgermeistern über gleich-
giltige Dinge plauderte, erschien der mehrfach genannte Leutnant v. Kalm
auf dem Rathhause und theilte mit, daß er sogleich am 2. März an den
König von Preußen Bericht erstattet habe und dessen Befehle in kürzester
Frist erwarte. Nachdem die Beiden sich darauf noch einige Minuten unter¬
redet hatten, trat Callabria plötzlich wie umgewandelt auf. Er erklärte, er
betrachte sich uoch immer als in Haft befindlich und werde sich nicht eher ent¬
fernen, als bis der Rath Abbitte geleistet und ihn wegen seines Zeitverlustes
entschädigt habe.

Das Staunen der Bürgermeister sowohl wie des preußischen Agenten ob
dieser Sinneswandelung war nicht gering. Der Rath hatte sich ja offenbar
schou viel zu viel vergeben, indem er die einfache Loslassung des Tumultuanten
verfügte. Und jetzt bezeigte er sich nicht einmal dankbar dasür, sondern stellte
noch solche Forderungen! Aber alle Bitten und Vorstellungen blieben frucht¬
los, Callabria beharrte bei seinen Worten. Zwar bequemte er sich endlich, zurück
in sein Quartier zu gehen, aber zum Zeichen, daß er sich immer noch als Ge¬
fangenen ansehe, ließ er seinen Stock und Degen auf dem Rathhause zurück
und blieb wirklich kaltblütig und unbekümmert, als ginge ihn die Sache gar


Grenzboten II. 1879. 66

Dieser Beschluß wurde am 6. März gefaßt und noch am selbigen Tage
dem Gefangenen in Gegenwart des preußischen Agenten von den Amtsbürger¬
meistern mitgetheilt. Zugleich wurde ihm im Auftrage des Rathes bedeutet,
daß er die gnädige Behandlung nicht sich selber zu verdanken habe, sondern
nur der Rücksicht, die man auf seinen Herrn nehme, damit dessen Geschäfte
nicht verzögert würden; er möge sich daher mit seiner Abreise soviel wie mög¬
lich beeilen.

Callabrici war froh, so leichten Kaufes losgekommen zu sein. Weshalb
es geschah, konnte ihm gleichgiltig sein. Er verhieß alles, unterschrieb sogar
in der Freude seines Herzens aus freien Stücken einen Revers, in welchem er
sich c-on inttuito risxstto des Rathes uirMssiiuo e ckevotissinio ssrvo nannte,
und versprach, wegen des ausgestandenen Gefängnisses niemals Rache üben zu
wollen. Mit seinen Gläubigern, die schon auf dem Rathhause warteten, gelang
es ihm leicht, sich auseinanderzusetzen, da diese auf nachdrückliche Ermah¬
nungen von Seiten des Rathes ihre Forderungen um ein Beträchtliches er¬
mäßigt hatten. Die Prokuratoren der Firma Mainone, deren Chef kurz zuvor
gestorben war, erhielten einen Wechsel auf 194 Gulden nach 4 Monaten zahlbar.
Birzle wurde sofort befriedigt.

Damit sollte man meinen, wäre die Angelegenheit zu einem allerseits zu¬
friedenstellender Abschlüsse gediehen. Dem war jedoch nicht so. Während
Callabrici auf einen Wagen wartete, der ihn in seine Herberge bringen sollte,
und dabei in bester Laune mit Guttmann und den Bürgermeistern über gleich-
giltige Dinge plauderte, erschien der mehrfach genannte Leutnant v. Kalm
auf dem Rathhause und theilte mit, daß er sogleich am 2. März an den
König von Preußen Bericht erstattet habe und dessen Befehle in kürzester
Frist erwarte. Nachdem die Beiden sich darauf noch einige Minuten unter¬
redet hatten, trat Callabria plötzlich wie umgewandelt auf. Er erklärte, er
betrachte sich uoch immer als in Haft befindlich und werde sich nicht eher ent¬
fernen, als bis der Rath Abbitte geleistet und ihn wegen seines Zeitverlustes
entschädigt habe.

Das Staunen der Bürgermeister sowohl wie des preußischen Agenten ob
dieser Sinneswandelung war nicht gering. Der Rath hatte sich ja offenbar
schou viel zu viel vergeben, indem er die einfache Loslassung des Tumultuanten
verfügte. Und jetzt bezeigte er sich nicht einmal dankbar dasür, sondern stellte
noch solche Forderungen! Aber alle Bitten und Vorstellungen blieben frucht¬
los, Callabria beharrte bei seinen Worten. Zwar bequemte er sich endlich, zurück
in sein Quartier zu gehen, aber zum Zeichen, daß er sich immer noch als Ge¬
fangenen ansehe, ließ er seinen Stock und Degen auf dem Rathhause zurück
und blieb wirklich kaltblütig und unbekümmert, als ginge ihn die Sache gar


Grenzboten II. 1879. 66
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[0521] Dieser Beschluß wurde am 6. März gefaßt und noch am selbigen Tage dem Gefangenen in Gegenwart des preußischen Agenten von den Amtsbürger¬ meistern mitgetheilt. Zugleich wurde ihm im Auftrage des Rathes bedeutet, daß er die gnädige Behandlung nicht sich selber zu verdanken habe, sondern nur der Rücksicht, die man auf seinen Herrn nehme, damit dessen Geschäfte nicht verzögert würden; er möge sich daher mit seiner Abreise soviel wie mög¬ lich beeilen. Callabrici war froh, so leichten Kaufes losgekommen zu sein. Weshalb es geschah, konnte ihm gleichgiltig sein. Er verhieß alles, unterschrieb sogar in der Freude seines Herzens aus freien Stücken einen Revers, in welchem er sich c-on inttuito risxstto des Rathes uirMssiiuo e ckevotissinio ssrvo nannte, und versprach, wegen des ausgestandenen Gefängnisses niemals Rache üben zu wollen. Mit seinen Gläubigern, die schon auf dem Rathhause warteten, gelang es ihm leicht, sich auseinanderzusetzen, da diese auf nachdrückliche Ermah¬ nungen von Seiten des Rathes ihre Forderungen um ein Beträchtliches er¬ mäßigt hatten. Die Prokuratoren der Firma Mainone, deren Chef kurz zuvor gestorben war, erhielten einen Wechsel auf 194 Gulden nach 4 Monaten zahlbar. Birzle wurde sofort befriedigt. Damit sollte man meinen, wäre die Angelegenheit zu einem allerseits zu¬ friedenstellender Abschlüsse gediehen. Dem war jedoch nicht so. Während Callabrici auf einen Wagen wartete, der ihn in seine Herberge bringen sollte, und dabei in bester Laune mit Guttmann und den Bürgermeistern über gleich- giltige Dinge plauderte, erschien der mehrfach genannte Leutnant v. Kalm auf dem Rathhause und theilte mit, daß er sogleich am 2. März an den König von Preußen Bericht erstattet habe und dessen Befehle in kürzester Frist erwarte. Nachdem die Beiden sich darauf noch einige Minuten unter¬ redet hatten, trat Callabria plötzlich wie umgewandelt auf. Er erklärte, er betrachte sich uoch immer als in Haft befindlich und werde sich nicht eher ent¬ fernen, als bis der Rath Abbitte geleistet und ihn wegen seines Zeitverlustes entschädigt habe. Das Staunen der Bürgermeister sowohl wie des preußischen Agenten ob dieser Sinneswandelung war nicht gering. Der Rath hatte sich ja offenbar schou viel zu viel vergeben, indem er die einfache Loslassung des Tumultuanten verfügte. Und jetzt bezeigte er sich nicht einmal dankbar dasür, sondern stellte noch solche Forderungen! Aber alle Bitten und Vorstellungen blieben frucht¬ los, Callabria beharrte bei seinen Worten. Zwar bequemte er sich endlich, zurück in sein Quartier zu gehen, aber zum Zeichen, daß er sich immer noch als Ge¬ fangenen ansehe, ließ er seinen Stock und Degen auf dem Rathhause zurück und blieb wirklich kaltblütig und unbekümmert, als ginge ihn die Sache gar Grenzboten II. 1879. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/521>, abgerufen am 20.10.2024.