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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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nichts an, in der Schäfflerherberge sitzen, anstatt eilends nach Potsdam ab¬
zureisen.

Natürlich dachte Niemand daran, dem frechen Verlangen zu willfahren.
Im Gegentheil, in der ersten neuen Aufregung war sogar die Rede davon,
den übermüthigen Patron wieder einzusperren und in aller Form Rechtens
gegen ihn zu prozediren. Bald gewann jedoch die angestammte Klugheit
wieder die Oberhand. Man hatte an den König einen längeren Bericht ver¬
faßt, der, als die neue Wendung eintrat, noch nicht abgeschickt war. Man
fügte nun zunächst ein Postskriptum bei, worin das letzte Ereigniß gemeldet
und zugleich hervorgehoben wurde, daß der Rath für alle weitere Verzögerung
der königlichen Geschäfte keine Verantwortung übernehme, indem Monsieur
Callabria ganz aus eignem freien Willen in der Stadt bleibe. Dann aber
suchte man durch Guttmann auf den starrköpfigen Italiener einzuwirken und
ihn wo möglich zur Vernunft zu bringen.

Tagelang zeigte sich Callabria völlig unzugänglich. Plötzlich schickte er
auf's Rathhaus, ließ seinen Stock und Degen und seine sonstigen Effekten
holen und erklärte sich bereit, abzureisen. Was diese plötzliche Sinnesänderung
bewirkt haben mochte, wissen wir nicht. In den Akten und Rathsprotokollen
wird nur das einfache Faktum erwähnt. Fast möchte man vermuthen, daß
Callabria doch noch, wenn auch nicht in offizieller Weise, eine kleine Entschä¬
digung erhielt. Vielleicht bezahlte man seine Rechnung bei dem Schäfflerwirth
ganz oder theilweise; vielleicht kam er aber auch ohne solche Beihilfe zu
besserer Erkenntniß, nachdem er sich überzeugt hatte, daß vom Rathe nichts
weiter zu erreichen sei. Kurz, er reiste am 10. März vergnügt mit seiner Ge¬
sellschaft von dannen.

Etwa acht Tage später empfing Guttmann ein Schreiben von Potsdam.
Es war die Antwort auf die erste Nachricht, die er noch am zweiten März
über den Vorfall abgeschickt hatte. Seine Majestät äußerte sich sehr ungehalten
darüber, daß man seinen Diener wegen eines so geringfügigen Vergehens ein¬
gesperrt habe, und forderte den Agenten auf, bei dem Rathe auf sofortiger
Freilassung des Gefangenen zu bestehen. Guttmann gab dem Rathe einfach
Kunde von dem Schreiben -- die Sache selbst war ja bereits erledigt. Einige
Tage darauf langte ein zweiter Brief des Königs an (datirt vom 16. März),
diesmal an den hochlöblichen Magistrat der des heiligen römischen Reichs Stadt
Augsburg, worin derselbe seine Zufriedenheit über die Schnelligkeit aus¬
sprach > mit welcher der Rath seinem Verlangen, noch ehe es ihm mitgetheilt
worden, entsprochen habe. Callabria, heißt es, dürfte allerdings etwas übereilt
und in nicht ganz zu billigender Weise gehandelt haben; um so lobenswerther
sei daher die prompte Rücksicht der Behörden auf die königlichen Geschäfte.


nichts an, in der Schäfflerherberge sitzen, anstatt eilends nach Potsdam ab¬
zureisen.

Natürlich dachte Niemand daran, dem frechen Verlangen zu willfahren.
Im Gegentheil, in der ersten neuen Aufregung war sogar die Rede davon,
den übermüthigen Patron wieder einzusperren und in aller Form Rechtens
gegen ihn zu prozediren. Bald gewann jedoch die angestammte Klugheit
wieder die Oberhand. Man hatte an den König einen längeren Bericht ver¬
faßt, der, als die neue Wendung eintrat, noch nicht abgeschickt war. Man
fügte nun zunächst ein Postskriptum bei, worin das letzte Ereigniß gemeldet
und zugleich hervorgehoben wurde, daß der Rath für alle weitere Verzögerung
der königlichen Geschäfte keine Verantwortung übernehme, indem Monsieur
Callabria ganz aus eignem freien Willen in der Stadt bleibe. Dann aber
suchte man durch Guttmann auf den starrköpfigen Italiener einzuwirken und
ihn wo möglich zur Vernunft zu bringen.

Tagelang zeigte sich Callabria völlig unzugänglich. Plötzlich schickte er
auf's Rathhaus, ließ seinen Stock und Degen und seine sonstigen Effekten
holen und erklärte sich bereit, abzureisen. Was diese plötzliche Sinnesänderung
bewirkt haben mochte, wissen wir nicht. In den Akten und Rathsprotokollen
wird nur das einfache Faktum erwähnt. Fast möchte man vermuthen, daß
Callabria doch noch, wenn auch nicht in offizieller Weise, eine kleine Entschä¬
digung erhielt. Vielleicht bezahlte man seine Rechnung bei dem Schäfflerwirth
ganz oder theilweise; vielleicht kam er aber auch ohne solche Beihilfe zu
besserer Erkenntniß, nachdem er sich überzeugt hatte, daß vom Rathe nichts
weiter zu erreichen sei. Kurz, er reiste am 10. März vergnügt mit seiner Ge¬
sellschaft von dannen.

Etwa acht Tage später empfing Guttmann ein Schreiben von Potsdam.
Es war die Antwort auf die erste Nachricht, die er noch am zweiten März
über den Vorfall abgeschickt hatte. Seine Majestät äußerte sich sehr ungehalten
darüber, daß man seinen Diener wegen eines so geringfügigen Vergehens ein¬
gesperrt habe, und forderte den Agenten auf, bei dem Rathe auf sofortiger
Freilassung des Gefangenen zu bestehen. Guttmann gab dem Rathe einfach
Kunde von dem Schreiben — die Sache selbst war ja bereits erledigt. Einige
Tage darauf langte ein zweiter Brief des Königs an (datirt vom 16. März),
diesmal an den hochlöblichen Magistrat der des heiligen römischen Reichs Stadt
Augsburg, worin derselbe seine Zufriedenheit über die Schnelligkeit aus¬
sprach > mit welcher der Rath seinem Verlangen, noch ehe es ihm mitgetheilt
worden, entsprochen habe. Callabria, heißt es, dürfte allerdings etwas übereilt
und in nicht ganz zu billigender Weise gehandelt haben; um so lobenswerther
sei daher die prompte Rücksicht der Behörden auf die königlichen Geschäfte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/522>, abgerufen am 27.12.2024.