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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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aufzuweisen hatte, ist die Zahl derselben von 8015 im Jahre 1856 auf 5342
im Jahre 1868 gefallen.

So betrübend also auch die große Zunahme der Verurteilungen in
Deutschland ist, so gewiß sie uns zur gewissenhaftesten Aufsuchung und Ver¬
stopfung ihrer Quellen auffordern muß, so ist sie doch nichts so Unge¬
wöhnliches, daß wir unser Heil in der außergewöhnlichen Maßregel der
Deportation suchen müßten. Gerade die beiden zuletzt genannten Länder,
Schweden und Belgien, zeigen, daß die konstante Verminderung der Verurtei¬
lungen zusammenfällt mit einer planmäßigen Reform des Strafvollzugs nach
dem System der Einzelhaft.

Was den letzten Grund betrifft, daß wir uns auf den großen Kommune¬
aufstand rechtzeitig vorbereiten müßten, so ist foviel sicher, daß, wenn irgend
etwas ihn herbeiführen wird, es diese ewige s. v. v. Angstmeiern ist vor der
Sozialdemokratie. So gewiß die Bedeutung dieser Bewegung nicht unterschätzt
werden darf, so gewiß es heilige Pflicht ist, jeder an seinem Theile zu helfen,
die Ursachen, aus denen die ungesunde Bewegung entsprungen ist, zu beseitigen,
so gewiß ist es die Pflicht jedes guten Bürgers, auch nicht mit einer Miene
zu verrathen, daß wir uns vor ihr fürchten, denn wer sich fürchtet, der ist
schon halb besiegt. Die Sozialdemokraten und ihre Führer sollen wissen, daß
wir entschlossen sind, ein Ende mit ihnen zu machen, soviel auf uns ankommt,
in Frieden und gemeinsamer Arbeit; appelliren sie an die Gewalt, dann ein
Ende wie die Soldaten Caesar's nach der Schlacht bei Munda den Pompe-
janern bereiteten. Es fehlte blos noch, daß wir jetzt schon ein behagliches
Plätzchen aufsuchten, um denen, die unsern Staat und unsere Kultur in Frage
stellen, ein bequemes Unterkommen dort zu bereiten. Der Verfasser dieser
Zeilen ist fest überzeugt, daß wir keinen Kommune-Aufstand haben werden,
denn Berlin ist noch lange nicht Paris. Doch das mag ja Glaubenssache
sein. Angenommen aber, Fabri hätte Recht, so wäre auf die Frage, wo wir
mit den verurtheilten Kommunards bleiben sollen, die Antwort sehr einfach zu
geben: ebenda, wo wir mit den französischen Kriegsgefangenen geblieben sind.
Damit kämen wir billiger weg als die Franzosen, denn wir sparten die Kosten
des Hin- und Hertransports.

Nicht ein einziger der Fabri'schen Gründe also für die Gründung von Straf¬
kolonien hat sich als stichhaltig erwiesen. Es ist bedauerlich, daß die Depor¬
tationsfrage, welche für alle übrigen europäischen Völker abgethan erscheint,
bei uns überhaupt wieder auf der Bildfläche erschienen ist, doppelt zu bedauern,
daß sie jetzt wieder aufgetaucht ist, wo endlich bei uns Hand an die Reform
des Strafvollzugs gelegt werden foll. Denn es ist Thatsache, daß die Depor¬
tation, ja auch nur die ernstliche Jnaussichtnahme derselben anderwärts jede


Grenzboten II. 1879. 66

aufzuweisen hatte, ist die Zahl derselben von 8015 im Jahre 1856 auf 5342
im Jahre 1868 gefallen.

So betrübend also auch die große Zunahme der Verurteilungen in
Deutschland ist, so gewiß sie uns zur gewissenhaftesten Aufsuchung und Ver¬
stopfung ihrer Quellen auffordern muß, so ist sie doch nichts so Unge¬
wöhnliches, daß wir unser Heil in der außergewöhnlichen Maßregel der
Deportation suchen müßten. Gerade die beiden zuletzt genannten Länder,
Schweden und Belgien, zeigen, daß die konstante Verminderung der Verurtei¬
lungen zusammenfällt mit einer planmäßigen Reform des Strafvollzugs nach
dem System der Einzelhaft.

Was den letzten Grund betrifft, daß wir uns auf den großen Kommune¬
aufstand rechtzeitig vorbereiten müßten, so ist foviel sicher, daß, wenn irgend
etwas ihn herbeiführen wird, es diese ewige s. v. v. Angstmeiern ist vor der
Sozialdemokratie. So gewiß die Bedeutung dieser Bewegung nicht unterschätzt
werden darf, so gewiß es heilige Pflicht ist, jeder an seinem Theile zu helfen,
die Ursachen, aus denen die ungesunde Bewegung entsprungen ist, zu beseitigen,
so gewiß ist es die Pflicht jedes guten Bürgers, auch nicht mit einer Miene
zu verrathen, daß wir uns vor ihr fürchten, denn wer sich fürchtet, der ist
schon halb besiegt. Die Sozialdemokraten und ihre Führer sollen wissen, daß
wir entschlossen sind, ein Ende mit ihnen zu machen, soviel auf uns ankommt,
in Frieden und gemeinsamer Arbeit; appelliren sie an die Gewalt, dann ein
Ende wie die Soldaten Caesar's nach der Schlacht bei Munda den Pompe-
janern bereiteten. Es fehlte blos noch, daß wir jetzt schon ein behagliches
Plätzchen aufsuchten, um denen, die unsern Staat und unsere Kultur in Frage
stellen, ein bequemes Unterkommen dort zu bereiten. Der Verfasser dieser
Zeilen ist fest überzeugt, daß wir keinen Kommune-Aufstand haben werden,
denn Berlin ist noch lange nicht Paris. Doch das mag ja Glaubenssache
sein. Angenommen aber, Fabri hätte Recht, so wäre auf die Frage, wo wir
mit den verurtheilten Kommunards bleiben sollen, die Antwort sehr einfach zu
geben: ebenda, wo wir mit den französischen Kriegsgefangenen geblieben sind.
Damit kämen wir billiger weg als die Franzosen, denn wir sparten die Kosten
des Hin- und Hertransports.

Nicht ein einziger der Fabri'schen Gründe also für die Gründung von Straf¬
kolonien hat sich als stichhaltig erwiesen. Es ist bedauerlich, daß die Depor¬
tationsfrage, welche für alle übrigen europäischen Völker abgethan erscheint,
bei uns überhaupt wieder auf der Bildfläche erschienen ist, doppelt zu bedauern,
daß sie jetzt wieder aufgetaucht ist, wo endlich bei uns Hand an die Reform
des Strafvollzugs gelegt werden foll. Denn es ist Thatsache, daß die Depor¬
tation, ja auch nur die ernstliche Jnaussichtnahme derselben anderwärts jede


Grenzboten II. 1879. 66
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[0513] aufzuweisen hatte, ist die Zahl derselben von 8015 im Jahre 1856 auf 5342 im Jahre 1868 gefallen. So betrübend also auch die große Zunahme der Verurteilungen in Deutschland ist, so gewiß sie uns zur gewissenhaftesten Aufsuchung und Ver¬ stopfung ihrer Quellen auffordern muß, so ist sie doch nichts so Unge¬ wöhnliches, daß wir unser Heil in der außergewöhnlichen Maßregel der Deportation suchen müßten. Gerade die beiden zuletzt genannten Länder, Schweden und Belgien, zeigen, daß die konstante Verminderung der Verurtei¬ lungen zusammenfällt mit einer planmäßigen Reform des Strafvollzugs nach dem System der Einzelhaft. Was den letzten Grund betrifft, daß wir uns auf den großen Kommune¬ aufstand rechtzeitig vorbereiten müßten, so ist foviel sicher, daß, wenn irgend etwas ihn herbeiführen wird, es diese ewige s. v. v. Angstmeiern ist vor der Sozialdemokratie. So gewiß die Bedeutung dieser Bewegung nicht unterschätzt werden darf, so gewiß es heilige Pflicht ist, jeder an seinem Theile zu helfen, die Ursachen, aus denen die ungesunde Bewegung entsprungen ist, zu beseitigen, so gewiß ist es die Pflicht jedes guten Bürgers, auch nicht mit einer Miene zu verrathen, daß wir uns vor ihr fürchten, denn wer sich fürchtet, der ist schon halb besiegt. Die Sozialdemokraten und ihre Führer sollen wissen, daß wir entschlossen sind, ein Ende mit ihnen zu machen, soviel auf uns ankommt, in Frieden und gemeinsamer Arbeit; appelliren sie an die Gewalt, dann ein Ende wie die Soldaten Caesar's nach der Schlacht bei Munda den Pompe- janern bereiteten. Es fehlte blos noch, daß wir jetzt schon ein behagliches Plätzchen aufsuchten, um denen, die unsern Staat und unsere Kultur in Frage stellen, ein bequemes Unterkommen dort zu bereiten. Der Verfasser dieser Zeilen ist fest überzeugt, daß wir keinen Kommune-Aufstand haben werden, denn Berlin ist noch lange nicht Paris. Doch das mag ja Glaubenssache sein. Angenommen aber, Fabri hätte Recht, so wäre auf die Frage, wo wir mit den verurtheilten Kommunards bleiben sollen, die Antwort sehr einfach zu geben: ebenda, wo wir mit den französischen Kriegsgefangenen geblieben sind. Damit kämen wir billiger weg als die Franzosen, denn wir sparten die Kosten des Hin- und Hertransports. Nicht ein einziger der Fabri'schen Gründe also für die Gründung von Straf¬ kolonien hat sich als stichhaltig erwiesen. Es ist bedauerlich, daß die Depor¬ tationsfrage, welche für alle übrigen europäischen Völker abgethan erscheint, bei uns überhaupt wieder auf der Bildfläche erschienen ist, doppelt zu bedauern, daß sie jetzt wieder aufgetaucht ist, wo endlich bei uns Hand an die Reform des Strafvollzugs gelegt werden foll. Denn es ist Thatsache, daß die Depor¬ tation, ja auch nur die ernstliche Jnaussichtnahme derselben anderwärts jede Grenzboten II. 1879. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/513>, abgerufen am 28.12.2024.