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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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nißvoller Freiheit auch eine Grundbedingung des moralischen wie materiellen
Fortschritts der Völker ist."

Aber auch die andere Behauptung, daß in Australien und Canada Niemand
an die Trennung von England denke, ist im höchsten Grade gewagt. Die Frage
ist von den Politikern der Kolonieen wie des Heimatlandes schon seit längerer
Zeit diskutirt, und die Ernennung des Schwiegersohns der Königin zum Statt¬
halter von Canada ist ausgesprochenermaßen in der Absicht geschehen, zu ver¬
suchen, ob nicht durch Gewinnung persönlicher Sympathieen für das Königs¬
haus die Trennungsgelüste paralysirt werden können. Von Australien ist es
bekannt, daß bei gewissen politischen Differenzen mit dem Mutterlande geradezu
mit einer Losreißung gedroht worden ist. Es gibt sogar englische Politiker,
welche so ketzerisch in Sachen der Kolonialpolitik denken, daß sie die Kolonieen
eher für eine Last als einen Vortheil für das Mutterland ansehen, und in der
Erwerbung der neuesten Kolonie, Cypern, eher ein Fiasko der englischen
Politik erblicken als einen Sieg und die neue Erwerbung schon mit den am
Fieber zu Grunde gegangenen englischen Soldaten zu theuer bezahlt erachten.
Doch genug, es sind das, wie gesagt, Gedanken eines unpolitischen Mannes,
Gedanken aber, die ihn hindern, der Gründung Fabri'scher Kolonieen, mögen
sie nun am Senegal, Kongo oder Zambese liegen, ohne weiteres zuzustimmen,
denn die Bekehrung der Namaguas, Aschantis oder wohl gar des Königs Mtesa
dürfte ebensowenig eine Aufgabe der deutschen Politik sein, wie die Wiederher¬
stellung des Kirchenstaates.

Was die sozialen Mißstände betrifft, um deretwillen Fabri die Gründung
von Kolonieen empfiehlt, so hat er selbst angedeutet, daß eine richtige Leitung
und Förderung der Auswanderung nach den südamerikanischen Staaten unter
Gewährung des nöthigen Schutzes^ einen wohlthätigen Ableiter für die Ueber-
völkerung bilden wird. Auch können wir jetzt, wo die Dentschen im Auslande
einen Rückhalt am deutschen Reiche haben, uns der Besorgniß entschlagen, daß
sie so rasch wie in früheren Zeiten den geistigen und materiellen Zusammen¬
hang mit Deutschland verlieren werden. Die Deutschen werden in Zukunft in
überseeischen Ländern, wenn ihre Zahl und ihre Bedeutung dazu berechtigen,
sich auch in politischen Dingen ebenso zur Geltung zu bringen wissen, wie sie
es in Nordamerika schon gethan haben und augenblicklich in Chile beginnen.

Einen der schwächsten Punkte in der Fabri'schen Schrift bilden aber jeden¬
falls seine Ausführungen über die Strafkolonieen, und diese sind es, gegen
welche die nachfolgenden Zeilen nun ausschließlich gerichtet sein sollen. Fabri
erklärt, daß er sich auf eine Erörterung der Gründe, welche vom Standpunkte
des Strafrechts oder des Strafvollzugs für oder gegen die Strafkolonieen
oder, wie er sie nennt, Verbrecherkolonieen geltend gemacht werden können,


nißvoller Freiheit auch eine Grundbedingung des moralischen wie materiellen
Fortschritts der Völker ist."

Aber auch die andere Behauptung, daß in Australien und Canada Niemand
an die Trennung von England denke, ist im höchsten Grade gewagt. Die Frage
ist von den Politikern der Kolonieen wie des Heimatlandes schon seit längerer
Zeit diskutirt, und die Ernennung des Schwiegersohns der Königin zum Statt¬
halter von Canada ist ausgesprochenermaßen in der Absicht geschehen, zu ver¬
suchen, ob nicht durch Gewinnung persönlicher Sympathieen für das Königs¬
haus die Trennungsgelüste paralysirt werden können. Von Australien ist es
bekannt, daß bei gewissen politischen Differenzen mit dem Mutterlande geradezu
mit einer Losreißung gedroht worden ist. Es gibt sogar englische Politiker,
welche so ketzerisch in Sachen der Kolonialpolitik denken, daß sie die Kolonieen
eher für eine Last als einen Vortheil für das Mutterland ansehen, und in der
Erwerbung der neuesten Kolonie, Cypern, eher ein Fiasko der englischen
Politik erblicken als einen Sieg und die neue Erwerbung schon mit den am
Fieber zu Grunde gegangenen englischen Soldaten zu theuer bezahlt erachten.
Doch genug, es sind das, wie gesagt, Gedanken eines unpolitischen Mannes,
Gedanken aber, die ihn hindern, der Gründung Fabri'scher Kolonieen, mögen
sie nun am Senegal, Kongo oder Zambese liegen, ohne weiteres zuzustimmen,
denn die Bekehrung der Namaguas, Aschantis oder wohl gar des Königs Mtesa
dürfte ebensowenig eine Aufgabe der deutschen Politik sein, wie die Wiederher¬
stellung des Kirchenstaates.

Was die sozialen Mißstände betrifft, um deretwillen Fabri die Gründung
von Kolonieen empfiehlt, so hat er selbst angedeutet, daß eine richtige Leitung
und Förderung der Auswanderung nach den südamerikanischen Staaten unter
Gewährung des nöthigen Schutzes^ einen wohlthätigen Ableiter für die Ueber-
völkerung bilden wird. Auch können wir jetzt, wo die Dentschen im Auslande
einen Rückhalt am deutschen Reiche haben, uns der Besorgniß entschlagen, daß
sie so rasch wie in früheren Zeiten den geistigen und materiellen Zusammen¬
hang mit Deutschland verlieren werden. Die Deutschen werden in Zukunft in
überseeischen Ländern, wenn ihre Zahl und ihre Bedeutung dazu berechtigen,
sich auch in politischen Dingen ebenso zur Geltung zu bringen wissen, wie sie
es in Nordamerika schon gethan haben und augenblicklich in Chile beginnen.

Einen der schwächsten Punkte in der Fabri'schen Schrift bilden aber jeden¬
falls seine Ausführungen über die Strafkolonieen, und diese sind es, gegen
welche die nachfolgenden Zeilen nun ausschließlich gerichtet sein sollen. Fabri
erklärt, daß er sich auf eine Erörterung der Gründe, welche vom Standpunkte
des Strafrechts oder des Strafvollzugs für oder gegen die Strafkolonieen
oder, wie er sie nennt, Verbrecherkolonieen geltend gemacht werden können,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/502>, abgerufen am 28.12.2024.