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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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gemäßigter Farbe durch die Wahlen, die um die Mitte des April stattfanden,
einen deutlichen Hinweis darauf bekommen, daß sie nicht den rechten Weg
gingen. In Bordeaux war der halbwahnsinnige alte Urrevolutionär Blcmqui,
in Paris der Bonapartist Godelle gewählt worden, dort hatten die Jntransi-
genten der äußersten Linken, hier die der Rechten triumphirt. An sich war
das nichts Beunruhigendes; denn die Minderheit der Kammer blieb trotz dieser
Vermehrung ihrer Stimmen ohne bedeutenden Einfluß. Indeß war namentlich die
Wahl Blanqui's eine Demonstration, welche zeigte, wie dreist die republikanischen
Ultras gegenüber der Unklarheit und Unentschlossenheit der übrigen Fraktionen
der Mehrheit des Parlaments und der sie vertretenden Minister bereits ge-
geworden waren. Die Wahl des greisen Verschwörers Blanqui war entschieden
ungesetzlich. Er war zur Deportation verurtheilt und saß seit Jahren im
Gefängniß, und ein zur Deportation verurtheilter ist nach französischem Gesetz
ebensowenig wühlbar wie nach deutschem ein Zuchthaussträfling. Daß man
Blanqui trotzdem zu wählen vorhatte, wußte die Regierung, aber sie that nichts,
um die Bordelesen über die Lage der Dinge aufzuklären. Vermuthlich glaubte
sie, diese Gascogner würden von selbst das Rechte erkennen und von ihrer
Absicht abstehen. Möglich, daß dieselben anfangs selber nicht auf Erfolg
hofften; denn sie waren überrascht, als ihr Kandidat beim ersten Wahlgänge
über 3000 Stimmen erhielt. Es war schlimmer, als es gewesen wäre, wenn
eine deutsche Großstadt sich den Schimpf angethan hätte, den seligen Gustav
Rasch in den Reichstag zu wählen, und es war obendrein eine Gesetzesver¬
höhnung. Aber nachdem die ultraradikalen Redner und Blätter den guten
Leuten mit den üblichen pomphaften Phrasen dargethan, daß die Augen der
Welt nur auf die Wähler von Bordeaux gerichtet, und daß ihnen die schönste
Gelegenheit geboten sei, der Regierung eine Lektion zu ertheilen und zugleich
ein gen Himmel schreiendes Unrecht wieder gut zu machen, konnten sie natür¬
lich dem Kitzel nicht widerstehen, eine historische That zu vollbringen und den
Gefangenen von Clairvaux zu wählen.

Sie wollten damit gegen die UnVollständigkeit der Amnestie protestiren,
in Folge deren Blanqui nicht begnadigt worden war, und man hat wahr¬
scheinlich Recht, wenn man sagt: Wäre dies geschehen, so hätte man ihn nicht
gewählt. Dann aber hätten die Bordelesen ohne Zweifel einen andern Nicht-
amnestirten auf den Schild gehoben; um das zu verhüten, hätte es einer
allgemeinen Begnadigung der politischen Verbrecher bedurft, und diese war
schlechterdings unmöglich. Blanqui vor seiner Wahl zu amnestiren, wäre also
nutzlos und zugleich eine UnWürdigkeit und Schwachmüthigkeit, eine charakter¬
lose Demüthigung des Ministeriums vor den Wählern von Bordeaux gewesen.
Die Regierung konnte nur fortexistiren, wenn sie, sich streng an die Gesetze


gemäßigter Farbe durch die Wahlen, die um die Mitte des April stattfanden,
einen deutlichen Hinweis darauf bekommen, daß sie nicht den rechten Weg
gingen. In Bordeaux war der halbwahnsinnige alte Urrevolutionär Blcmqui,
in Paris der Bonapartist Godelle gewählt worden, dort hatten die Jntransi-
genten der äußersten Linken, hier die der Rechten triumphirt. An sich war
das nichts Beunruhigendes; denn die Minderheit der Kammer blieb trotz dieser
Vermehrung ihrer Stimmen ohne bedeutenden Einfluß. Indeß war namentlich die
Wahl Blanqui's eine Demonstration, welche zeigte, wie dreist die republikanischen
Ultras gegenüber der Unklarheit und Unentschlossenheit der übrigen Fraktionen
der Mehrheit des Parlaments und der sie vertretenden Minister bereits ge-
geworden waren. Die Wahl des greisen Verschwörers Blanqui war entschieden
ungesetzlich. Er war zur Deportation verurtheilt und saß seit Jahren im
Gefängniß, und ein zur Deportation verurtheilter ist nach französischem Gesetz
ebensowenig wühlbar wie nach deutschem ein Zuchthaussträfling. Daß man
Blanqui trotzdem zu wählen vorhatte, wußte die Regierung, aber sie that nichts,
um die Bordelesen über die Lage der Dinge aufzuklären. Vermuthlich glaubte
sie, diese Gascogner würden von selbst das Rechte erkennen und von ihrer
Absicht abstehen. Möglich, daß dieselben anfangs selber nicht auf Erfolg
hofften; denn sie waren überrascht, als ihr Kandidat beim ersten Wahlgänge
über 3000 Stimmen erhielt. Es war schlimmer, als es gewesen wäre, wenn
eine deutsche Großstadt sich den Schimpf angethan hätte, den seligen Gustav
Rasch in den Reichstag zu wählen, und es war obendrein eine Gesetzesver¬
höhnung. Aber nachdem die ultraradikalen Redner und Blätter den guten
Leuten mit den üblichen pomphaften Phrasen dargethan, daß die Augen der
Welt nur auf die Wähler von Bordeaux gerichtet, und daß ihnen die schönste
Gelegenheit geboten sei, der Regierung eine Lektion zu ertheilen und zugleich
ein gen Himmel schreiendes Unrecht wieder gut zu machen, konnten sie natür¬
lich dem Kitzel nicht widerstehen, eine historische That zu vollbringen und den
Gefangenen von Clairvaux zu wählen.

Sie wollten damit gegen die UnVollständigkeit der Amnestie protestiren,
in Folge deren Blanqui nicht begnadigt worden war, und man hat wahr¬
scheinlich Recht, wenn man sagt: Wäre dies geschehen, so hätte man ihn nicht
gewählt. Dann aber hätten die Bordelesen ohne Zweifel einen andern Nicht-
amnestirten auf den Schild gehoben; um das zu verhüten, hätte es einer
allgemeinen Begnadigung der politischen Verbrecher bedurft, und diese war
schlechterdings unmöglich. Blanqui vor seiner Wahl zu amnestiren, wäre also
nutzlos und zugleich eine UnWürdigkeit und Schwachmüthigkeit, eine charakter¬
lose Demüthigung des Ministeriums vor den Wählern von Bordeaux gewesen.
Die Regierung konnte nur fortexistiren, wenn sie, sich streng an die Gesetze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/495>, abgerufen am 28.12.2024.