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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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fort, und die letzteren haben in der Person des Lysis, der bald nach Philolaos
nach Theben kam, die veredelnde, den ganzen Menschen hinnehmende Kraft der
wahren Philosophie an dem Manne erwiesen, in welchem wir vielleicht die
annäherndste Verwirklichung des platonischen Ideals finden: an Epaminondcis,
dem Sohne des Polymnis. Dieser erkannte, wie Perikles, daß auf der allsei¬
tigen, die ganze Persönlichkeit durchdringenden Geistesbildung die wahre Macht
beruhe, und dnrch Aneignung dieser Bildung wurde es ihm wie Perikles möglich,
inmitten eines demokratischen Gemeinwesens eine persönliche Leitung von aristo¬
kratischem Charakter durchzuführen. Epcuninondas nähert sich dem platonischen
Ideal noch mehr dadurch, daß er nicht blos Bürger feiner Stadt, sondern vor
allem Heitere sein will. Wie Platon, will er feine Mitbürger in das wahre
Hellenenthum einführen, das er in die bürgerliche Tugend und in die Liebe
zur Weisheit setzt. Ihm gilt die Philosophie als die den ganzen Menschen
durchdringende und umbildende Kraft der Hnmcmitüt, ohne die das Leben kein
Leben ist. Sie soll sich nicht blos in den Höhen und Tiefen des Gedankens
bewegen, sondern soll in das Leben eindringen, zur Hellenentugend leiten und
sich an deren Uebung bethätigen. So war er selbst von Jugend auf bestrebt,
seinen Mitbürgern ein Vorbild der Griechentugend, der -""^o-c"/"^", zu fein.
So bethätigte er das als althellenische gute Sitte geltende freundschaftliche
Zusammenleben und -wirken, in welchem er, wie Platon, das kräftigste Mittel
der gegenseitigen Förderung erkannte. Die fruchtbaren Ideen früherer Staats¬
verwaltungen und anderer Verfassungen hatte Epaminondas sich angeeignet;
die Verbesserungen in der Taktik sowohl wie in der Waffenkunst hat er ver¬
werthet; Kunst und Wissenschaft haben dnrch ihn in Theben Bedeutung für
das Staatsleben erhalten, und endlich hat er das nach hellenischen Begriffen
edelste Werk der Staatsgründung nicht blos in der Theorie, fondern in der
Wirklichkeit ausgeführt.

Nach Platon's Meinung waren alle Staaten seiner Zeit so weit von dem
richtigen Wege entfernt, daß ein Reformversuch vor der Hand gar keine Aus¬
sicht auf Erfolg hatte. "Das ist mein weiterer Vorwurf," sagt er, "daß keine
von den jetzigen Staatsverfassungen einer philosophischen Natur würdig ist",
und dies erklärt, weshalb er sich von jeder Theilnahme am politischen Leben
in seiner Vaterstadt fern hielt und außer in Syrcikus nie einen Versuch machte,
sein System in's Leben einzuführen. Aber anch dieser Versuch scheiterte an
dem Widerstande der beiden Dionyse. Daß er keinen Staat kenne, in welchem
die Weisen in der gebührenden Achtung ständen, spricht er selbst in bitterem
Unmuthe aus und fügt hinzu, man dürfe sich darüber nicht wundern; "es
wäre viel wunderbarer, wenn sie geachtet würden". Wie Platon über die
Durchführbarkeit seiner Vorschläge dachte, geht am besten aus der monströsen


fort, und die letzteren haben in der Person des Lysis, der bald nach Philolaos
nach Theben kam, die veredelnde, den ganzen Menschen hinnehmende Kraft der
wahren Philosophie an dem Manne erwiesen, in welchem wir vielleicht die
annäherndste Verwirklichung des platonischen Ideals finden: an Epaminondcis,
dem Sohne des Polymnis. Dieser erkannte, wie Perikles, daß auf der allsei¬
tigen, die ganze Persönlichkeit durchdringenden Geistesbildung die wahre Macht
beruhe, und dnrch Aneignung dieser Bildung wurde es ihm wie Perikles möglich,
inmitten eines demokratischen Gemeinwesens eine persönliche Leitung von aristo¬
kratischem Charakter durchzuführen. Epcuninondas nähert sich dem platonischen
Ideal noch mehr dadurch, daß er nicht blos Bürger feiner Stadt, sondern vor
allem Heitere sein will. Wie Platon, will er feine Mitbürger in das wahre
Hellenenthum einführen, das er in die bürgerliche Tugend und in die Liebe
zur Weisheit setzt. Ihm gilt die Philosophie als die den ganzen Menschen
durchdringende und umbildende Kraft der Hnmcmitüt, ohne die das Leben kein
Leben ist. Sie soll sich nicht blos in den Höhen und Tiefen des Gedankens
bewegen, sondern soll in das Leben eindringen, zur Hellenentugend leiten und
sich an deren Uebung bethätigen. So war er selbst von Jugend auf bestrebt,
seinen Mitbürgern ein Vorbild der Griechentugend, der -««^o-c«/«^«, zu fein.
So bethätigte er das als althellenische gute Sitte geltende freundschaftliche
Zusammenleben und -wirken, in welchem er, wie Platon, das kräftigste Mittel
der gegenseitigen Förderung erkannte. Die fruchtbaren Ideen früherer Staats¬
verwaltungen und anderer Verfassungen hatte Epaminondas sich angeeignet;
die Verbesserungen in der Taktik sowohl wie in der Waffenkunst hat er ver¬
werthet; Kunst und Wissenschaft haben dnrch ihn in Theben Bedeutung für
das Staatsleben erhalten, und endlich hat er das nach hellenischen Begriffen
edelste Werk der Staatsgründung nicht blos in der Theorie, fondern in der
Wirklichkeit ausgeführt.

Nach Platon's Meinung waren alle Staaten seiner Zeit so weit von dem
richtigen Wege entfernt, daß ein Reformversuch vor der Hand gar keine Aus¬
sicht auf Erfolg hatte. „Das ist mein weiterer Vorwurf," sagt er, „daß keine
von den jetzigen Staatsverfassungen einer philosophischen Natur würdig ist",
und dies erklärt, weshalb er sich von jeder Theilnahme am politischen Leben
in seiner Vaterstadt fern hielt und außer in Syrcikus nie einen Versuch machte,
sein System in's Leben einzuführen. Aber anch dieser Versuch scheiterte an
dem Widerstande der beiden Dionyse. Daß er keinen Staat kenne, in welchem
die Weisen in der gebührenden Achtung ständen, spricht er selbst in bitterem
Unmuthe aus und fügt hinzu, man dürfe sich darüber nicht wundern; „es
wäre viel wunderbarer, wenn sie geachtet würden". Wie Platon über die
Durchführbarkeit seiner Vorschläge dachte, geht am besten aus der monströsen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/461>, abgerufen am 20.10.2024.