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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Von Magneten oder Krystallen wider ihren Willen angezogen oder abgestoßen
wurden, je nachdem er es anordnete, und die Anziehung ging auch ohne
Magnete vor sich, wenn die betäubten Personen blos in der Meinung waren,
Braid nehme mit ihnen wirklich die Handlungen vor, von denen er zu ihnen
redete. Braid erklärte diese Erscheinungen, die er mit dem Namen Hypnotis-
mus oder Betäubnngsschlaf belegte, vollständig aus psychologischen Gründen,
und die naturwissenschaftliche Forschung hat nicht nöthig gehabt, sich nach neuen
Erklärungen dafür umzusehen.

Wenn man mit aller Kraft seine Aufmerksamkeit auf einen einzigen
Gegenstand lenkt, so treten eine ganze Reihe geistiger Prozesse völlig in den
Hintergrund, sie schlafen ein. Die äußeren Sinnesorgane werden in einen
Zustand der Unempfindlichkeit versetzt. Die Person weiß nicht mehr, was mit
ihr vorgenommen wird, sie gehorcht willenlos. Allerdings sind nicht alle
Menschen gleich empfänglich für solche Betäubung. Gedankenarme und schwäch¬
liche Menschen sind es am leichtesten. Auch dies hat Braid bereits festgestellt,
und die neuesten Experimente in Dresden und anderwärts haben es bestätigt.

In die Reihe der Braid'schen Experimente gehört eine Verrichtung von
ehrwürdigen Alter, durch welche sich die indischen Büßer, die sogenannten
Jogi, seit Jahrtausenden mit nie fehlendem Erfolg in jenen Zustand der Be¬
täubung versetzen, bei welchem sie in die Anschauung ihrer Gottheit zu ver¬
sinken glauben. Sie blicken mit schielendem Auge ohne Unterbrechung auf die
Spitze ihrer Nase, und es währt nicht lange, so gerathen sie in die ersehnte
Verzückung. Ganz dasselbe Mittel wenden die Zauberpriester eines Natur¬
volkes, der Schamanen, an, wenn sie sich in einen weissagerischen Betäubungs¬
zustand versetzen wollen. Wie geistesabwesend gelehrte Männer durch die Kon¬
zentration ihrer Gedanken werden können, ist hinlänglich aus mancher heiteren
Universitätsanekdote bekannt, nicht minder bekannt das alte und bewährte Schlaf¬
mittel, langsam von eins bis hundert zu zählen.

Als bald nach Braid's Entdeckung in den fünfziger Jahren Amerikaner in
Europa zugereist kamen, welche sich für Professoren einer geheimnißvollen Natur¬
kraft ausgaben, welche sie Elektro-Biologie nannten, und behaupteten, daß sie
vermöge der ihnen innewohnenden Kraft im Stande seien, die Muskelkraft zu
lahmen, das Gedächtniß auszulöschen, die Sinne zu täuschen, den Willen zu
unterjochen, die Einbildung zu lenken, als sie diese Behauptungen zum Theil
durch die That bewiesen und durch den Hokuspokus des Geheimnißvollen, mit
dem sie ihre Experimente schwindelhafter Weise umgaben, die Welt auf den Kopf
Zu stellen drohten, da begab sich Braid zu jenen Wunderprofessoren nach Lon¬
don und bewies ihnen, daß ihre angeblichen Wunder Jedermann verrichten
könne, daß es nicht ihrer Kupfer- und Zinkstücke bedürfe zur Uebertrcigung der


Von Magneten oder Krystallen wider ihren Willen angezogen oder abgestoßen
wurden, je nachdem er es anordnete, und die Anziehung ging auch ohne
Magnete vor sich, wenn die betäubten Personen blos in der Meinung waren,
Braid nehme mit ihnen wirklich die Handlungen vor, von denen er zu ihnen
redete. Braid erklärte diese Erscheinungen, die er mit dem Namen Hypnotis-
mus oder Betäubnngsschlaf belegte, vollständig aus psychologischen Gründen,
und die naturwissenschaftliche Forschung hat nicht nöthig gehabt, sich nach neuen
Erklärungen dafür umzusehen.

Wenn man mit aller Kraft seine Aufmerksamkeit auf einen einzigen
Gegenstand lenkt, so treten eine ganze Reihe geistiger Prozesse völlig in den
Hintergrund, sie schlafen ein. Die äußeren Sinnesorgane werden in einen
Zustand der Unempfindlichkeit versetzt. Die Person weiß nicht mehr, was mit
ihr vorgenommen wird, sie gehorcht willenlos. Allerdings sind nicht alle
Menschen gleich empfänglich für solche Betäubung. Gedankenarme und schwäch¬
liche Menschen sind es am leichtesten. Auch dies hat Braid bereits festgestellt,
und die neuesten Experimente in Dresden und anderwärts haben es bestätigt.

In die Reihe der Braid'schen Experimente gehört eine Verrichtung von
ehrwürdigen Alter, durch welche sich die indischen Büßer, die sogenannten
Jogi, seit Jahrtausenden mit nie fehlendem Erfolg in jenen Zustand der Be¬
täubung versetzen, bei welchem sie in die Anschauung ihrer Gottheit zu ver¬
sinken glauben. Sie blicken mit schielendem Auge ohne Unterbrechung auf die
Spitze ihrer Nase, und es währt nicht lange, so gerathen sie in die ersehnte
Verzückung. Ganz dasselbe Mittel wenden die Zauberpriester eines Natur¬
volkes, der Schamanen, an, wenn sie sich in einen weissagerischen Betäubungs¬
zustand versetzen wollen. Wie geistesabwesend gelehrte Männer durch die Kon¬
zentration ihrer Gedanken werden können, ist hinlänglich aus mancher heiteren
Universitätsanekdote bekannt, nicht minder bekannt das alte und bewährte Schlaf¬
mittel, langsam von eins bis hundert zu zählen.

Als bald nach Braid's Entdeckung in den fünfziger Jahren Amerikaner in
Europa zugereist kamen, welche sich für Professoren einer geheimnißvollen Natur¬
kraft ausgaben, welche sie Elektro-Biologie nannten, und behaupteten, daß sie
vermöge der ihnen innewohnenden Kraft im Stande seien, die Muskelkraft zu
lahmen, das Gedächtniß auszulöschen, die Sinne zu täuschen, den Willen zu
unterjochen, die Einbildung zu lenken, als sie diese Behauptungen zum Theil
durch die That bewiesen und durch den Hokuspokus des Geheimnißvollen, mit
dem sie ihre Experimente schwindelhafter Weise umgaben, die Welt auf den Kopf
Zu stellen drohten, da begab sich Braid zu jenen Wunderprofessoren nach Lon¬
don und bewies ihnen, daß ihre angeblichen Wunder Jedermann verrichten
könne, daß es nicht ihrer Kupfer- und Zinkstücke bedürfe zur Uebertrcigung der


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[0363] Von Magneten oder Krystallen wider ihren Willen angezogen oder abgestoßen wurden, je nachdem er es anordnete, und die Anziehung ging auch ohne Magnete vor sich, wenn die betäubten Personen blos in der Meinung waren, Braid nehme mit ihnen wirklich die Handlungen vor, von denen er zu ihnen redete. Braid erklärte diese Erscheinungen, die er mit dem Namen Hypnotis- mus oder Betäubnngsschlaf belegte, vollständig aus psychologischen Gründen, und die naturwissenschaftliche Forschung hat nicht nöthig gehabt, sich nach neuen Erklärungen dafür umzusehen. Wenn man mit aller Kraft seine Aufmerksamkeit auf einen einzigen Gegenstand lenkt, so treten eine ganze Reihe geistiger Prozesse völlig in den Hintergrund, sie schlafen ein. Die äußeren Sinnesorgane werden in einen Zustand der Unempfindlichkeit versetzt. Die Person weiß nicht mehr, was mit ihr vorgenommen wird, sie gehorcht willenlos. Allerdings sind nicht alle Menschen gleich empfänglich für solche Betäubung. Gedankenarme und schwäch¬ liche Menschen sind es am leichtesten. Auch dies hat Braid bereits festgestellt, und die neuesten Experimente in Dresden und anderwärts haben es bestätigt. In die Reihe der Braid'schen Experimente gehört eine Verrichtung von ehrwürdigen Alter, durch welche sich die indischen Büßer, die sogenannten Jogi, seit Jahrtausenden mit nie fehlendem Erfolg in jenen Zustand der Be¬ täubung versetzen, bei welchem sie in die Anschauung ihrer Gottheit zu ver¬ sinken glauben. Sie blicken mit schielendem Auge ohne Unterbrechung auf die Spitze ihrer Nase, und es währt nicht lange, so gerathen sie in die ersehnte Verzückung. Ganz dasselbe Mittel wenden die Zauberpriester eines Natur¬ volkes, der Schamanen, an, wenn sie sich in einen weissagerischen Betäubungs¬ zustand versetzen wollen. Wie geistesabwesend gelehrte Männer durch die Kon¬ zentration ihrer Gedanken werden können, ist hinlänglich aus mancher heiteren Universitätsanekdote bekannt, nicht minder bekannt das alte und bewährte Schlaf¬ mittel, langsam von eins bis hundert zu zählen. Als bald nach Braid's Entdeckung in den fünfziger Jahren Amerikaner in Europa zugereist kamen, welche sich für Professoren einer geheimnißvollen Natur¬ kraft ausgaben, welche sie Elektro-Biologie nannten, und behaupteten, daß sie vermöge der ihnen innewohnenden Kraft im Stande seien, die Muskelkraft zu lahmen, das Gedächtniß auszulöschen, die Sinne zu täuschen, den Willen zu unterjochen, die Einbildung zu lenken, als sie diese Behauptungen zum Theil durch die That bewiesen und durch den Hokuspokus des Geheimnißvollen, mit dem sie ihre Experimente schwindelhafter Weise umgaben, die Welt auf den Kopf Zu stellen drohten, da begab sich Braid zu jenen Wunderprofessoren nach Lon¬ don und bewies ihnen, daß ihre angeblichen Wunder Jedermann verrichten könne, daß es nicht ihrer Kupfer- und Zinkstücke bedürfe zur Uebertrcigung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/363>, abgerufen am 29.12.2024.