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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Medizinalkollegiums wurde diese Sitzung abgehalten. Aber sie sollte den
Experimenten des "Magnetiseurs" den Zauber des Geheimnißvollen nehmen und
dem Drama ein heiteres Ende machen. An die fünfzig Herren mußten in dieser
Versammlung auf ihre Empfänglichkeit hin geprüft werden, aber nur ein Paar
besaßen nach der Meinung Hansen's ein wenig Sinn für sein Fluidum. Doch
auch mit diesen Wenigen wollten die Experimente nicht recht gelingen; wie sehr
der Meister auch ihre Köpfe magnetisch bearbeitete, ihre Namen wollten sie
schlechterdings nicht vergessen. Und um das Unglück des "Magnetiseurs", dem
vor Erregung schon die hellen Schweißtropfen von der Stirne rannen, voll¬
zumachen, trat noch der Professor vom Polytechnikum Dr. Fritz Schulze auf
und erzählte, daß die von Herrn Hansen bisher gemachten Experimente einfach
auf Hypnotismus beruhten, daß sie gar keine besondere magnetische Kraft beim
Experimentator voraussetzten, sondern von Jedermann ausgeführt werden
könnten. Durch die ausführliche und überzeugende Erörterung Schulze's aus
der Rolle gebracht, gab Hansen zu, daß bei seinen Experimenten allerdings
Hypnotismus mitwirke, leugnete aber, daß dieselben einzig und allein darauf
zurückzuführen seien.

Schon 1846 hat der Engländer Braid, ein Arzt in Manchester, die Ent¬
deckung gemacht, daß alle diejenigen Erscheinungen, welche eben als die Wir¬
kung des magnetischen Fluidums unsers Helden angeführt wurden, und nicht
diese allein, sondern auch noch viele andere, auf eine höchst einfache Weife von
Jedermann hervorgerufen werden können, und hat zugleich die natürliche Er¬
klärung für dieselben gegeben in seinem Buche: "Der Einfluß des Geistes
auf den Körper". Daß es Personen gibt, welche mit offenem Auge in einen
traumartigen Zustand gerathen und dann Dinge sehen, die mit der Wirklichkeit
nicht übereinstimmen, ist allbekannt; ebenso, daß bei anderen im Schlafe die
Thätigkeit der Reflexnerven erwacht, während das übrige Nervensystem weiter¬
schläft, sie dann von ihrem Lager sich erheben und allerlei mechanische Arbeiten
verrichten, die ihnen im höchsten Grade zu Gewohnheitsarbeiten geworden sind.
Braid fand nun, daß es auch Personen gibt, in denen sich dieser Traumzu¬
stand künstlich erzeugen läßt, und daß diese künstlich eingeschläferten Personen
noch mehr der äußeren Beeinflussung unterworfen werden können, als Personett
im natürlichen Traumzustande. Um diesen Zustand herbeizuführen, genügt es,
daß man ihnen einen beliebigen Gegenstand einige Minuten lang nahe vor die
Augen hält. Indem Braid an solche eingeschläferte Personen sogenannte
"leitende" Fragen richtete, konnte er ihrem Gedankenlaufe jede Richtung geben,
welche er wünschte. Er konnte sie dahin bringen, sich jede Art von Empfin¬
dung einzubilden, die des Stechers, Kriechens, Laufens u. s. w., welches sie
dann auf sein Befragen ausführlich beschrieben. Er konnte bewirken, daß sie


Medizinalkollegiums wurde diese Sitzung abgehalten. Aber sie sollte den
Experimenten des „Magnetiseurs" den Zauber des Geheimnißvollen nehmen und
dem Drama ein heiteres Ende machen. An die fünfzig Herren mußten in dieser
Versammlung auf ihre Empfänglichkeit hin geprüft werden, aber nur ein Paar
besaßen nach der Meinung Hansen's ein wenig Sinn für sein Fluidum. Doch
auch mit diesen Wenigen wollten die Experimente nicht recht gelingen; wie sehr
der Meister auch ihre Köpfe magnetisch bearbeitete, ihre Namen wollten sie
schlechterdings nicht vergessen. Und um das Unglück des „Magnetiseurs", dem
vor Erregung schon die hellen Schweißtropfen von der Stirne rannen, voll¬
zumachen, trat noch der Professor vom Polytechnikum Dr. Fritz Schulze auf
und erzählte, daß die von Herrn Hansen bisher gemachten Experimente einfach
auf Hypnotismus beruhten, daß sie gar keine besondere magnetische Kraft beim
Experimentator voraussetzten, sondern von Jedermann ausgeführt werden
könnten. Durch die ausführliche und überzeugende Erörterung Schulze's aus
der Rolle gebracht, gab Hansen zu, daß bei seinen Experimenten allerdings
Hypnotismus mitwirke, leugnete aber, daß dieselben einzig und allein darauf
zurückzuführen seien.

Schon 1846 hat der Engländer Braid, ein Arzt in Manchester, die Ent¬
deckung gemacht, daß alle diejenigen Erscheinungen, welche eben als die Wir¬
kung des magnetischen Fluidums unsers Helden angeführt wurden, und nicht
diese allein, sondern auch noch viele andere, auf eine höchst einfache Weife von
Jedermann hervorgerufen werden können, und hat zugleich die natürliche Er¬
klärung für dieselben gegeben in seinem Buche: „Der Einfluß des Geistes
auf den Körper". Daß es Personen gibt, welche mit offenem Auge in einen
traumartigen Zustand gerathen und dann Dinge sehen, die mit der Wirklichkeit
nicht übereinstimmen, ist allbekannt; ebenso, daß bei anderen im Schlafe die
Thätigkeit der Reflexnerven erwacht, während das übrige Nervensystem weiter¬
schläft, sie dann von ihrem Lager sich erheben und allerlei mechanische Arbeiten
verrichten, die ihnen im höchsten Grade zu Gewohnheitsarbeiten geworden sind.
Braid fand nun, daß es auch Personen gibt, in denen sich dieser Traumzu¬
stand künstlich erzeugen läßt, und daß diese künstlich eingeschläferten Personen
noch mehr der äußeren Beeinflussung unterworfen werden können, als Personett
im natürlichen Traumzustande. Um diesen Zustand herbeizuführen, genügt es,
daß man ihnen einen beliebigen Gegenstand einige Minuten lang nahe vor die
Augen hält. Indem Braid an solche eingeschläferte Personen sogenannte
„leitende" Fragen richtete, konnte er ihrem Gedankenlaufe jede Richtung geben,
welche er wünschte. Er konnte sie dahin bringen, sich jede Art von Empfin¬
dung einzubilden, die des Stechers, Kriechens, Laufens u. s. w., welches sie
dann auf sein Befragen ausführlich beschrieben. Er konnte bewirken, daß sie


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[0362] Medizinalkollegiums wurde diese Sitzung abgehalten. Aber sie sollte den Experimenten des „Magnetiseurs" den Zauber des Geheimnißvollen nehmen und dem Drama ein heiteres Ende machen. An die fünfzig Herren mußten in dieser Versammlung auf ihre Empfänglichkeit hin geprüft werden, aber nur ein Paar besaßen nach der Meinung Hansen's ein wenig Sinn für sein Fluidum. Doch auch mit diesen Wenigen wollten die Experimente nicht recht gelingen; wie sehr der Meister auch ihre Köpfe magnetisch bearbeitete, ihre Namen wollten sie schlechterdings nicht vergessen. Und um das Unglück des „Magnetiseurs", dem vor Erregung schon die hellen Schweißtropfen von der Stirne rannen, voll¬ zumachen, trat noch der Professor vom Polytechnikum Dr. Fritz Schulze auf und erzählte, daß die von Herrn Hansen bisher gemachten Experimente einfach auf Hypnotismus beruhten, daß sie gar keine besondere magnetische Kraft beim Experimentator voraussetzten, sondern von Jedermann ausgeführt werden könnten. Durch die ausführliche und überzeugende Erörterung Schulze's aus der Rolle gebracht, gab Hansen zu, daß bei seinen Experimenten allerdings Hypnotismus mitwirke, leugnete aber, daß dieselben einzig und allein darauf zurückzuführen seien. Schon 1846 hat der Engländer Braid, ein Arzt in Manchester, die Ent¬ deckung gemacht, daß alle diejenigen Erscheinungen, welche eben als die Wir¬ kung des magnetischen Fluidums unsers Helden angeführt wurden, und nicht diese allein, sondern auch noch viele andere, auf eine höchst einfache Weife von Jedermann hervorgerufen werden können, und hat zugleich die natürliche Er¬ klärung für dieselben gegeben in seinem Buche: „Der Einfluß des Geistes auf den Körper". Daß es Personen gibt, welche mit offenem Auge in einen traumartigen Zustand gerathen und dann Dinge sehen, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen, ist allbekannt; ebenso, daß bei anderen im Schlafe die Thätigkeit der Reflexnerven erwacht, während das übrige Nervensystem weiter¬ schläft, sie dann von ihrem Lager sich erheben und allerlei mechanische Arbeiten verrichten, die ihnen im höchsten Grade zu Gewohnheitsarbeiten geworden sind. Braid fand nun, daß es auch Personen gibt, in denen sich dieser Traumzu¬ stand künstlich erzeugen läßt, und daß diese künstlich eingeschläferten Personen noch mehr der äußeren Beeinflussung unterworfen werden können, als Personett im natürlichen Traumzustande. Um diesen Zustand herbeizuführen, genügt es, daß man ihnen einen beliebigen Gegenstand einige Minuten lang nahe vor die Augen hält. Indem Braid an solche eingeschläferte Personen sogenannte „leitende" Fragen richtete, konnte er ihrem Gedankenlaufe jede Richtung geben, welche er wünschte. Er konnte sie dahin bringen, sich jede Art von Empfin¬ dung einzubilden, die des Stechers, Kriechens, Laufens u. s. w., welches sie dann auf sein Befragen ausführlich beschrieben. Er konnte bewirken, daß sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/362>, abgerufen am 23.06.2024.