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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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auf's vollständigste. Keiner von ihnen konnte mit dem Meister im EinVer¬
ständniß gewesen sein, keiner von ihnen hatte ihn je vorher gesehen; Alles ging
ehrlich zu, und doch verspürten die Herren "die Gewalt des undefinirbaren
Fluidums", was die "Nachrichten" am folgenden Tage "im Dienste der Wahr¬
heit offen erklärten". Der Eine konnte die geschlossenen Augen nicht wieder
öffnen, der Andere den Mund nicht, der Dritte kannte seinen Namen nicht
mehr, ein Vierter verfiel in eine völlige Todtenstarre, bis ihn die gewaltige
Hand Hansen's vom Schlummer wieder erweckte.

Die Experimente, die Hansen vor seinen Zuschauern machte, waren überall
dieselben. Auf sein Ersuchen begab sich eine Anzahl Herren aus dem Kreise
der Zuschauer auf die Bühne und betrachtete aufs inbrünstigste mehrere
Minuten lang einen Glasknopf, den der Meister einem Jeden zu diesem Zwecke
überreicht hatte. War diese Betrachtung zu Ende, welche Hansen die "Vorbe¬
reitung" nannte, welche aber in Wahrheit das eigentliche Experiment bildet, so
wurden alle geprüft, ob der Zauber an einem von ihnen gelinge, ob einer,
nachdem er mit den Händen des Meisters bestrichen worden, sich zu einem der
Experimente tauglich erweise. Diese Empfänglichen werden dann zu weiteren
Experimenten auserlesen, und an ihnen treten dann allerdings für die ober¬
flächliche Beobachtung höchst merkwürdige Erscheinungen zu Tage. Willenlos
folgen sie dem Zauberer, wenn nur ein Finger von ihnen in seine offene Hand
gelegt ist. Beine und Arme werden ihnen steif, so daß sie wie ein Stück Holz
behandelt werden können. Ihr Gedächtniß ist für bestimmte Dinge, namentlich
sür die allerbekanntesten wie für ihre eigenen Namen, verloren. Die Einen
bilden sich dies, die Anderen jenes ein, wozu der Künstler nur die Idee an¬
gibt. Ex überreicht den Empfänglichen Stöcke und bittet sie davonzureiten,
und siehe da: der eine bildet sich ein, sein Stuhl sei ein Pferd, er schlägt mit
dem Stocke darauf los und versucht davouzutraben. Einem anderen Empfäng¬
lichen gibt er den Auftrag, das Zimmer zu reinigen, und wirklich: der Be¬
treffende macht sich an die Arbeit, und in dem Glauben, ein Dienstmädchen
on sein, beginnt er seinen Auftrag auszuführen. Wird er wieder enthaltne, so ist
"und sofort die Erinnerung an seine Dienstbarkeit geschwunden. "Sie brennen,"
^uft der Meister einem dritten Empfänglichen zu, "werfen Sie sich hier in's
Wasser." Dabei zeigt er auf's grüne Podium. Mit angstvoller Miene stürzt
der Angerufene auf's grüne Tuch und badet sich in den erträumten Fluthen.

Kein Wunder, daß solche Wunder auf ein sensationsbedürftiges Publikum
wirken und ihm für alles andere das Gedächtniß rauben. Der Enthusiasmus
für den "Magnetiseur" ergriff in der sächsischen Hauptstadt alle Kreise, und es
gelang ihm sogar, vor einer auserwählten Versammlung von Aerzten und hohen
Beamten seine Experimente vorführen zu dürfen. Im Saale des Landes-


Grmzbotcn II. 1879. 46

auf's vollständigste. Keiner von ihnen konnte mit dem Meister im EinVer¬
ständniß gewesen sein, keiner von ihnen hatte ihn je vorher gesehen; Alles ging
ehrlich zu, und doch verspürten die Herren „die Gewalt des undefinirbaren
Fluidums", was die „Nachrichten" am folgenden Tage „im Dienste der Wahr¬
heit offen erklärten". Der Eine konnte die geschlossenen Augen nicht wieder
öffnen, der Andere den Mund nicht, der Dritte kannte seinen Namen nicht
mehr, ein Vierter verfiel in eine völlige Todtenstarre, bis ihn die gewaltige
Hand Hansen's vom Schlummer wieder erweckte.

Die Experimente, die Hansen vor seinen Zuschauern machte, waren überall
dieselben. Auf sein Ersuchen begab sich eine Anzahl Herren aus dem Kreise
der Zuschauer auf die Bühne und betrachtete aufs inbrünstigste mehrere
Minuten lang einen Glasknopf, den der Meister einem Jeden zu diesem Zwecke
überreicht hatte. War diese Betrachtung zu Ende, welche Hansen die „Vorbe¬
reitung" nannte, welche aber in Wahrheit das eigentliche Experiment bildet, so
wurden alle geprüft, ob der Zauber an einem von ihnen gelinge, ob einer,
nachdem er mit den Händen des Meisters bestrichen worden, sich zu einem der
Experimente tauglich erweise. Diese Empfänglichen werden dann zu weiteren
Experimenten auserlesen, und an ihnen treten dann allerdings für die ober¬
flächliche Beobachtung höchst merkwürdige Erscheinungen zu Tage. Willenlos
folgen sie dem Zauberer, wenn nur ein Finger von ihnen in seine offene Hand
gelegt ist. Beine und Arme werden ihnen steif, so daß sie wie ein Stück Holz
behandelt werden können. Ihr Gedächtniß ist für bestimmte Dinge, namentlich
sür die allerbekanntesten wie für ihre eigenen Namen, verloren. Die Einen
bilden sich dies, die Anderen jenes ein, wozu der Künstler nur die Idee an¬
gibt. Ex überreicht den Empfänglichen Stöcke und bittet sie davonzureiten,
und siehe da: der eine bildet sich ein, sein Stuhl sei ein Pferd, er schlägt mit
dem Stocke darauf los und versucht davouzutraben. Einem anderen Empfäng¬
lichen gibt er den Auftrag, das Zimmer zu reinigen, und wirklich: der Be¬
treffende macht sich an die Arbeit, und in dem Glauben, ein Dienstmädchen
on sein, beginnt er seinen Auftrag auszuführen. Wird er wieder enthaltne, so ist
"und sofort die Erinnerung an seine Dienstbarkeit geschwunden. „Sie brennen,"
^uft der Meister einem dritten Empfänglichen zu, „werfen Sie sich hier in's
Wasser." Dabei zeigt er auf's grüne Podium. Mit angstvoller Miene stürzt
der Angerufene auf's grüne Tuch und badet sich in den erträumten Fluthen.

Kein Wunder, daß solche Wunder auf ein sensationsbedürftiges Publikum
wirken und ihm für alles andere das Gedächtniß rauben. Der Enthusiasmus
für den „Magnetiseur" ergriff in der sächsischen Hauptstadt alle Kreise, und es
gelang ihm sogar, vor einer auserwählten Versammlung von Aerzten und hohen
Beamten seine Experimente vorführen zu dürfen. Im Saale des Landes-


Grmzbotcn II. 1879. 46
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[0361] auf's vollständigste. Keiner von ihnen konnte mit dem Meister im EinVer¬ ständniß gewesen sein, keiner von ihnen hatte ihn je vorher gesehen; Alles ging ehrlich zu, und doch verspürten die Herren „die Gewalt des undefinirbaren Fluidums", was die „Nachrichten" am folgenden Tage „im Dienste der Wahr¬ heit offen erklärten". Der Eine konnte die geschlossenen Augen nicht wieder öffnen, der Andere den Mund nicht, der Dritte kannte seinen Namen nicht mehr, ein Vierter verfiel in eine völlige Todtenstarre, bis ihn die gewaltige Hand Hansen's vom Schlummer wieder erweckte. Die Experimente, die Hansen vor seinen Zuschauern machte, waren überall dieselben. Auf sein Ersuchen begab sich eine Anzahl Herren aus dem Kreise der Zuschauer auf die Bühne und betrachtete aufs inbrünstigste mehrere Minuten lang einen Glasknopf, den der Meister einem Jeden zu diesem Zwecke überreicht hatte. War diese Betrachtung zu Ende, welche Hansen die „Vorbe¬ reitung" nannte, welche aber in Wahrheit das eigentliche Experiment bildet, so wurden alle geprüft, ob der Zauber an einem von ihnen gelinge, ob einer, nachdem er mit den Händen des Meisters bestrichen worden, sich zu einem der Experimente tauglich erweise. Diese Empfänglichen werden dann zu weiteren Experimenten auserlesen, und an ihnen treten dann allerdings für die ober¬ flächliche Beobachtung höchst merkwürdige Erscheinungen zu Tage. Willenlos folgen sie dem Zauberer, wenn nur ein Finger von ihnen in seine offene Hand gelegt ist. Beine und Arme werden ihnen steif, so daß sie wie ein Stück Holz behandelt werden können. Ihr Gedächtniß ist für bestimmte Dinge, namentlich sür die allerbekanntesten wie für ihre eigenen Namen, verloren. Die Einen bilden sich dies, die Anderen jenes ein, wozu der Künstler nur die Idee an¬ gibt. Ex überreicht den Empfänglichen Stöcke und bittet sie davonzureiten, und siehe da: der eine bildet sich ein, sein Stuhl sei ein Pferd, er schlägt mit dem Stocke darauf los und versucht davouzutraben. Einem anderen Empfäng¬ lichen gibt er den Auftrag, das Zimmer zu reinigen, und wirklich: der Be¬ treffende macht sich an die Arbeit, und in dem Glauben, ein Dienstmädchen on sein, beginnt er seinen Auftrag auszuführen. Wird er wieder enthaltne, so ist "und sofort die Erinnerung an seine Dienstbarkeit geschwunden. „Sie brennen," ^uft der Meister einem dritten Empfänglichen zu, „werfen Sie sich hier in's Wasser." Dabei zeigt er auf's grüne Podium. Mit angstvoller Miene stürzt der Angerufene auf's grüne Tuch und badet sich in den erträumten Fluthen. Kein Wunder, daß solche Wunder auf ein sensationsbedürftiges Publikum wirken und ihm für alles andere das Gedächtniß rauben. Der Enthusiasmus für den „Magnetiseur" ergriff in der sächsischen Hauptstadt alle Kreise, und es gelang ihm sogar, vor einer auserwählten Versammlung von Aerzten und hohen Beamten seine Experimente vorführen zu dürfen. Im Saale des Landes- Grmzbotcn II. 1879. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/361>, abgerufen am 28.06.2024.