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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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auf dem besten Wege, sogar die selbstverständlichsten Forderungen der Solidi¬
tät, der Sauberkeit und Akkuratesse womöglich als unberechtigte künstlerische
Zumuthungen zu betrachten. Diese klaffende Lücke zu füllen, das Band, das
in der besten Zeit der deutschen Kunst zwischen Kunst und Handwerk bestanden,
wieder enger zu knüpfen, wird daher mit Recht jetzt als die Hauptaufgabe
unserer Kunstschulen betrachtet. Für Leipzig hat Nieper mit der Durchführung
derselben zuerst Ernst gemacht.

Mit opferfreudiger Energie ging er 1871 an die Verwirklichung seines
Planes. Aber freilich, es galt Geduld zu üben, denn nicht alles ließ sich mit
einem Male erreichen. Vor allem mußten die unerläßlichsten äußeren Bedin¬
gungen des Gelingens erfüllt werden. Im Frühjahr 1872 wurde durch einen
Umbau das nöthige Licht in die dunkeln Säle der Pleißenburg gebracht und
auch sonst für eine angemessenere Ausstattung der Unterrichtsräume gesorgt.
Da die Akademie ihr Augenmerk von jetzt an vornehmlich auch auf solche
Schüler richten mußte, welche den Tag über in der Werkstätte ihrer Erwerbs¬
thätigkeit nachgehen, so wurden in der Mittel- und Unterklasse Abendkurse ein¬
gerichtet. In der Unterklasse (dem Kopirsaal) unterrichtete der Kupferstecher
O. Ufer, dem bei der zunehmenden Frequenz bald eine zweite Kraft in dem
Kupferstecher F. Seifert an die Seite trat, während in der Mittelklasse (dem
Antikensaal) bei dem niedrigen Etat der Akademie der Direktor den Unterricht
selbst mit übernehmen mußte. Die Schülerzahl wuchs trotz des tief eingewur¬
zelten Vorurtheils, mit welchem man sich seit langer Zeit gewöhnt hatte, die
Anstalt zu betrachten, vom Sommer 1871 bis zum Winter 1873/74 von 42
auf 176 Schüler -- ein Beweis, daß die von der neuen Leitung eingeschlagenen
Wege das Richtige trafen und einem vielseitigen Bedürfniß entgegenkamen.
Bald wurde auch den ganz im Argen liegenden akademischen Hilfswissenschaften
einiges neue Leben zugeführt; Baumeister Viehweger ertheilte Unterricht in
der Perspektive und Stil-Lehre, und mehrere Universitätslehrer griffen förderlich
in den akademischen Studiengang ein: Professor Braune und Professor Räuber
richteten für die Schüler der Akademie ein eignes Kolleg über Anatomie ein,
Professor Overbeck las für sie einen besonderen Kursus über Mythologie. Eine
wesentliche Untersttttznng ihrer Bestrebungen konnte die Akademie endlich auch
von Seiten des neugegründeten Leipziger Kunstgewerbemuseums erwarten,
welches, auf Anregung des or. Jordan, des damaligen Direktors des Leipziger
Museums, von der "Gemeinnützigen Gesellschaft" im Verein mit einer Anzahl
von Kunstfreunden und Industriellen in's Leben gerufen, im Oktober 1874
eröffnet wurde.

Der wichtigste Schritt aber für die weitere Entfaltung der Anstalt geschah
im Sommer 1875, als der von Nieper vorgelegte, nach seinen Ideen erweiterte


auf dem besten Wege, sogar die selbstverständlichsten Forderungen der Solidi¬
tät, der Sauberkeit und Akkuratesse womöglich als unberechtigte künstlerische
Zumuthungen zu betrachten. Diese klaffende Lücke zu füllen, das Band, das
in der besten Zeit der deutschen Kunst zwischen Kunst und Handwerk bestanden,
wieder enger zu knüpfen, wird daher mit Recht jetzt als die Hauptaufgabe
unserer Kunstschulen betrachtet. Für Leipzig hat Nieper mit der Durchführung
derselben zuerst Ernst gemacht.

Mit opferfreudiger Energie ging er 1871 an die Verwirklichung seines
Planes. Aber freilich, es galt Geduld zu üben, denn nicht alles ließ sich mit
einem Male erreichen. Vor allem mußten die unerläßlichsten äußeren Bedin¬
gungen des Gelingens erfüllt werden. Im Frühjahr 1872 wurde durch einen
Umbau das nöthige Licht in die dunkeln Säle der Pleißenburg gebracht und
auch sonst für eine angemessenere Ausstattung der Unterrichtsräume gesorgt.
Da die Akademie ihr Augenmerk von jetzt an vornehmlich auch auf solche
Schüler richten mußte, welche den Tag über in der Werkstätte ihrer Erwerbs¬
thätigkeit nachgehen, so wurden in der Mittel- und Unterklasse Abendkurse ein¬
gerichtet. In der Unterklasse (dem Kopirsaal) unterrichtete der Kupferstecher
O. Ufer, dem bei der zunehmenden Frequenz bald eine zweite Kraft in dem
Kupferstecher F. Seifert an die Seite trat, während in der Mittelklasse (dem
Antikensaal) bei dem niedrigen Etat der Akademie der Direktor den Unterricht
selbst mit übernehmen mußte. Die Schülerzahl wuchs trotz des tief eingewur¬
zelten Vorurtheils, mit welchem man sich seit langer Zeit gewöhnt hatte, die
Anstalt zu betrachten, vom Sommer 1871 bis zum Winter 1873/74 von 42
auf 176 Schüler — ein Beweis, daß die von der neuen Leitung eingeschlagenen
Wege das Richtige trafen und einem vielseitigen Bedürfniß entgegenkamen.
Bald wurde auch den ganz im Argen liegenden akademischen Hilfswissenschaften
einiges neue Leben zugeführt; Baumeister Viehweger ertheilte Unterricht in
der Perspektive und Stil-Lehre, und mehrere Universitätslehrer griffen förderlich
in den akademischen Studiengang ein: Professor Braune und Professor Räuber
richteten für die Schüler der Akademie ein eignes Kolleg über Anatomie ein,
Professor Overbeck las für sie einen besonderen Kursus über Mythologie. Eine
wesentliche Untersttttznng ihrer Bestrebungen konnte die Akademie endlich auch
von Seiten des neugegründeten Leipziger Kunstgewerbemuseums erwarten,
welches, auf Anregung des or. Jordan, des damaligen Direktors des Leipziger
Museums, von der „Gemeinnützigen Gesellschaft" im Verein mit einer Anzahl
von Kunstfreunden und Industriellen in's Leben gerufen, im Oktober 1874
eröffnet wurde.

Der wichtigste Schritt aber für die weitere Entfaltung der Anstalt geschah
im Sommer 1875, als der von Nieper vorgelegte, nach seinen Ideen erweiterte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/338>, abgerufen am 27.09.2024.