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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Studien. Als ausübender Künstler war er, wie die Mehrzahl seiner Amts¬
vorgänger, vorwiegend der religiösen Malerei zugewandt. Sein "Abschied
des Paulus von Ephesus", den er 1864 in Rom vollendete, seine Farben¬
kartons zu den Glasfenstern der neuerbauten Kirche in Gohlis bei Leipzig
(1872) und ein Flügelaltar für eine russische Kirche (1878) bekunden einen bedeu¬
tenden Sinn für monumentale Komposition und energische Charakteristik. Daneben
bewegte er sich erfolgreich im Porträtfache und auf dem Gebiete des Holzschnittes.
Er hatte von der Pike auf als Xylograph gedient und, ehe er zur freien Kunst
überging, sich in die kunstgewerbliche Technik tüchtig eingelebt. Dies letztere
Moment sollte für seine neue Stellung von entscheidender Wichtigkeit werden.

Nach einer ministeriellen Verordnung vom April 1871 übernahm es Nieper,
"die Grundzüge eines Entwurfs zur Reorganisation der Akademie aufzustellen,
welche geeignet wären, den von der Ständeversammlung ausgedrückten Wünschen
entsprechend, vorzugsweise den in Leipzig blühenden Gattungen des Kunstge¬
werbes förderlich zu sein." In diesen Worten ist der Grundgedanke enthalten,
der für die Neugestaltung der Akademie fortan maßgebend wurde. Keine
Kunstakademie mehr, wenigstens keine Kunstakademie mehr allein, für die in
Leipzig entschieden kein rechter Boden ist, sondern, was sie zu Oeser's Zeit
faktisch, wenn auch nicht nominell, gewesen war, eine Akademie in Verbindung
mit einer Kunstgewerbeschule -- das war das Ziel, welches der neue Direktor
in richtiger Erkenntniß der Anforderungen der Gegenwart nicht blos, sondern
vor allem auch des Ortes unverrückt im Auge behielt. Die Anstalt sollte
wieder die Doppelaufgabe erfüllen, neben ausreichender Anleitung zu einem
höheren Kunststudium gleichzeitig den kunstverwandten Gewerken die nöthige
künstlerische Grundlage zu verschaffen. Auf welche Zweige derselben hätte aber
da das Augenmerk wohl mehr gerichtet werden können, als auf die Techniken,
die mit dem hervorragendsten Gewerbe Leipzig's, dem Buchgewerbe, in Ver¬
bindung stehen: auf die "vervielfältigenden Künste" -- Xylographie, Kupferstich,
Lithographie -- und auf die Buchbinderei! Diese vor allem sollten aus der
neuen Einrichtung Gewinn ziehen, wenn auch natürlich nicht diese allein.

Mehr und mehr hat unsere Zeit es erkannt, daß ein Hauptgrund für die
Rückschritte, welche die deutsche Kunst und das deutsche Handwerk gemacht,
ein Hauptgrund, wenn auch bei weitem nicht der einzige -- in ihrer gegen¬
seitigen Entfremdung liegt. Beide hatten vergessen, daß ihre Wurzel eine ge¬
meinsame ist, daß die Kunst nichts andres ist als ein gesteigertes, veredeltes
Handwerk, und daß auch das bescheidenste Erzeugniß des Handwerks durch
den Hauch der Kunst geadelt sein kann. Die Kunst glaubte sich in thörichter
Vornehmheit hoch über das Handwerk erhaben und verlor dabei den Boden
unter den Füßen, das Handwerk war in Banausenthum versunken und war


Grenzboten II, 1S79. 43

Studien. Als ausübender Künstler war er, wie die Mehrzahl seiner Amts¬
vorgänger, vorwiegend der religiösen Malerei zugewandt. Sein „Abschied
des Paulus von Ephesus", den er 1864 in Rom vollendete, seine Farben¬
kartons zu den Glasfenstern der neuerbauten Kirche in Gohlis bei Leipzig
(1872) und ein Flügelaltar für eine russische Kirche (1878) bekunden einen bedeu¬
tenden Sinn für monumentale Komposition und energische Charakteristik. Daneben
bewegte er sich erfolgreich im Porträtfache und auf dem Gebiete des Holzschnittes.
Er hatte von der Pike auf als Xylograph gedient und, ehe er zur freien Kunst
überging, sich in die kunstgewerbliche Technik tüchtig eingelebt. Dies letztere
Moment sollte für seine neue Stellung von entscheidender Wichtigkeit werden.

Nach einer ministeriellen Verordnung vom April 1871 übernahm es Nieper,
„die Grundzüge eines Entwurfs zur Reorganisation der Akademie aufzustellen,
welche geeignet wären, den von der Ständeversammlung ausgedrückten Wünschen
entsprechend, vorzugsweise den in Leipzig blühenden Gattungen des Kunstge¬
werbes förderlich zu sein." In diesen Worten ist der Grundgedanke enthalten,
der für die Neugestaltung der Akademie fortan maßgebend wurde. Keine
Kunstakademie mehr, wenigstens keine Kunstakademie mehr allein, für die in
Leipzig entschieden kein rechter Boden ist, sondern, was sie zu Oeser's Zeit
faktisch, wenn auch nicht nominell, gewesen war, eine Akademie in Verbindung
mit einer Kunstgewerbeschule — das war das Ziel, welches der neue Direktor
in richtiger Erkenntniß der Anforderungen der Gegenwart nicht blos, sondern
vor allem auch des Ortes unverrückt im Auge behielt. Die Anstalt sollte
wieder die Doppelaufgabe erfüllen, neben ausreichender Anleitung zu einem
höheren Kunststudium gleichzeitig den kunstverwandten Gewerken die nöthige
künstlerische Grundlage zu verschaffen. Auf welche Zweige derselben hätte aber
da das Augenmerk wohl mehr gerichtet werden können, als auf die Techniken,
die mit dem hervorragendsten Gewerbe Leipzig's, dem Buchgewerbe, in Ver¬
bindung stehen: auf die „vervielfältigenden Künste" — Xylographie, Kupferstich,
Lithographie — und auf die Buchbinderei! Diese vor allem sollten aus der
neuen Einrichtung Gewinn ziehen, wenn auch natürlich nicht diese allein.

Mehr und mehr hat unsere Zeit es erkannt, daß ein Hauptgrund für die
Rückschritte, welche die deutsche Kunst und das deutsche Handwerk gemacht,
ein Hauptgrund, wenn auch bei weitem nicht der einzige — in ihrer gegen¬
seitigen Entfremdung liegt. Beide hatten vergessen, daß ihre Wurzel eine ge¬
meinsame ist, daß die Kunst nichts andres ist als ein gesteigertes, veredeltes
Handwerk, und daß auch das bescheidenste Erzeugniß des Handwerks durch
den Hauch der Kunst geadelt sein kann. Die Kunst glaubte sich in thörichter
Vornehmheit hoch über das Handwerk erhaben und verlor dabei den Boden
unter den Füßen, das Handwerk war in Banausenthum versunken und war


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[0337] Studien. Als ausübender Künstler war er, wie die Mehrzahl seiner Amts¬ vorgänger, vorwiegend der religiösen Malerei zugewandt. Sein „Abschied des Paulus von Ephesus", den er 1864 in Rom vollendete, seine Farben¬ kartons zu den Glasfenstern der neuerbauten Kirche in Gohlis bei Leipzig (1872) und ein Flügelaltar für eine russische Kirche (1878) bekunden einen bedeu¬ tenden Sinn für monumentale Komposition und energische Charakteristik. Daneben bewegte er sich erfolgreich im Porträtfache und auf dem Gebiete des Holzschnittes. Er hatte von der Pike auf als Xylograph gedient und, ehe er zur freien Kunst überging, sich in die kunstgewerbliche Technik tüchtig eingelebt. Dies letztere Moment sollte für seine neue Stellung von entscheidender Wichtigkeit werden. Nach einer ministeriellen Verordnung vom April 1871 übernahm es Nieper, „die Grundzüge eines Entwurfs zur Reorganisation der Akademie aufzustellen, welche geeignet wären, den von der Ständeversammlung ausgedrückten Wünschen entsprechend, vorzugsweise den in Leipzig blühenden Gattungen des Kunstge¬ werbes förderlich zu sein." In diesen Worten ist der Grundgedanke enthalten, der für die Neugestaltung der Akademie fortan maßgebend wurde. Keine Kunstakademie mehr, wenigstens keine Kunstakademie mehr allein, für die in Leipzig entschieden kein rechter Boden ist, sondern, was sie zu Oeser's Zeit faktisch, wenn auch nicht nominell, gewesen war, eine Akademie in Verbindung mit einer Kunstgewerbeschule — das war das Ziel, welches der neue Direktor in richtiger Erkenntniß der Anforderungen der Gegenwart nicht blos, sondern vor allem auch des Ortes unverrückt im Auge behielt. Die Anstalt sollte wieder die Doppelaufgabe erfüllen, neben ausreichender Anleitung zu einem höheren Kunststudium gleichzeitig den kunstverwandten Gewerken die nöthige künstlerische Grundlage zu verschaffen. Auf welche Zweige derselben hätte aber da das Augenmerk wohl mehr gerichtet werden können, als auf die Techniken, die mit dem hervorragendsten Gewerbe Leipzig's, dem Buchgewerbe, in Ver¬ bindung stehen: auf die „vervielfältigenden Künste" — Xylographie, Kupferstich, Lithographie — und auf die Buchbinderei! Diese vor allem sollten aus der neuen Einrichtung Gewinn ziehen, wenn auch natürlich nicht diese allein. Mehr und mehr hat unsere Zeit es erkannt, daß ein Hauptgrund für die Rückschritte, welche die deutsche Kunst und das deutsche Handwerk gemacht, ein Hauptgrund, wenn auch bei weitem nicht der einzige — in ihrer gegen¬ seitigen Entfremdung liegt. Beide hatten vergessen, daß ihre Wurzel eine ge¬ meinsame ist, daß die Kunst nichts andres ist als ein gesteigertes, veredeltes Handwerk, und daß auch das bescheidenste Erzeugniß des Handwerks durch den Hauch der Kunst geadelt sein kann. Die Kunst glaubte sich in thörichter Vornehmheit hoch über das Handwerk erhaben und verlor dabei den Boden unter den Füßen, das Handwerk war in Banausenthum versunken und war Grenzboten II, 1S79. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/337>, abgerufen am 27.09.2024.