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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Sterblichkeit der Seele zu erhärten. Die griechischen Muster treten jetzt ganz
zurück, die Sprache der Propheten wird sein Vorbild. Bei seinem Drama
"Der Tod Adams" hat ihm vielleicht der "Oedipus in Kolonos" vorgeschwebt;
aber wenn der griechische Dichter durch die großartige Anschauung und die
edle Sprache die Schwäche der Komposition vergessen macht, so ist es in dieser
steifen weinerlichen Prosa geradezu unerträglich, wie Adam sich drei Akte hin¬
durch abquält, dem Zuhörer zu zeigen, daß "des Todes sterben" etwas viel
Fürchterlicheres ist, als "sterben" überhaupt; und zuletzt erfährt es der Zuhörer
doch nicht.

Lessing wurde hauptsächlich durch den oberflächlichen Dogmatismus
gereizt, den Klop stock mit seinen Anhängern im "Nordischen Aufseher" ab¬
lagerte. Zu diesen Anhängern gehörte der Hofprediger Cramer in Kopen¬
hagen und Prof. Basedow in Soroe.

"Wissen Sie nicht," schreibt Lessing am 2. August 1759, "daß jetzt ein
guter Christ etwas ganz Anderes zu sein anfängt, als er vor dreißig Jahren
war? Die Orthodoxie ist ein Gespött geworden; man begnügt sich mit einer
lieblichen Quintessenz, die man aus dem Christenthum gezogen hat, und. weicht
allem Verdacht der Freibeuterei aus, wenn man von der Religion überhaupt
nur fein enthusiastisch zu schwatzen weiß."

"Die höchste Art, über Gott zu denken," heißt es im "Nordischen Aufseher",
"ist, wenn die ganze Seele von dem, den sie denkt, so erfüllt ist, daß alle ihre
übrigen Kräfte von der Anstrengung ihres Denkens in Bewegung gesetzt sind;
wenn das, was wir denken, durch Worte auszudrücken die Sprache zu wenig
und zu schwache Worte haben würde."

"Der Verfasser," bemerkt Lessing dazu, "nennt denken, was andre
ehrliche Leute empfinden heißen. Seine höchste Art, über Gott zu denken,
ist ein Stand der Empfindung, mit welchem nichts als undeutliche Vorstellungen
verbunden sind. -- Bei der kalten Spekulation geht die Seele von einem deut¬
lichen Begriff zum andern fort; alle Empfindung, die damit verbunden, ist die
Empfindung ihrer Anstrengung: eine Empfindung, die nur darum nicht ganz
unangenehm ist, weil sie die Wirksamkeit ihrer Kräfte dabei fühlt. Will ich
aus dem Gegenstand selbst Vergnügen schöpfen, so müssen alle deutlichen Be¬
griffe, die ich mir durch die Spekulation gemacht habe, in eine gewisse Entfernung
zurückweichen, in welcher sie deutlich zu sein aufhören. -- Die Sprache kann
alles ausdrücken, was wir deutlich denken, daß sie aber alle Nuancen der Em¬
pfindung sollte ausdrücken können, ist ebenso unmöglich als unnöthig."

"Jene kalte metaphysische Art, über Gott zu urtheilen, von welcher der
Verfasser so verächtlich urtheilt, muß der Probirstein aller unsrer Empfindungen
von Gott sein. Sie allein kann uns versichern, daß wir anständige Empfin-


Sterblichkeit der Seele zu erhärten. Die griechischen Muster treten jetzt ganz
zurück, die Sprache der Propheten wird sein Vorbild. Bei seinem Drama
„Der Tod Adams" hat ihm vielleicht der „Oedipus in Kolonos" vorgeschwebt;
aber wenn der griechische Dichter durch die großartige Anschauung und die
edle Sprache die Schwäche der Komposition vergessen macht, so ist es in dieser
steifen weinerlichen Prosa geradezu unerträglich, wie Adam sich drei Akte hin¬
durch abquält, dem Zuhörer zu zeigen, daß „des Todes sterben" etwas viel
Fürchterlicheres ist, als „sterben" überhaupt; und zuletzt erfährt es der Zuhörer
doch nicht.

Lessing wurde hauptsächlich durch den oberflächlichen Dogmatismus
gereizt, den Klop stock mit seinen Anhängern im „Nordischen Aufseher" ab¬
lagerte. Zu diesen Anhängern gehörte der Hofprediger Cramer in Kopen¬
hagen und Prof. Basedow in Soroe.

„Wissen Sie nicht," schreibt Lessing am 2. August 1759, „daß jetzt ein
guter Christ etwas ganz Anderes zu sein anfängt, als er vor dreißig Jahren
war? Die Orthodoxie ist ein Gespött geworden; man begnügt sich mit einer
lieblichen Quintessenz, die man aus dem Christenthum gezogen hat, und. weicht
allem Verdacht der Freibeuterei aus, wenn man von der Religion überhaupt
nur fein enthusiastisch zu schwatzen weiß."

„Die höchste Art, über Gott zu denken," heißt es im „Nordischen Aufseher",
„ist, wenn die ganze Seele von dem, den sie denkt, so erfüllt ist, daß alle ihre
übrigen Kräfte von der Anstrengung ihres Denkens in Bewegung gesetzt sind;
wenn das, was wir denken, durch Worte auszudrücken die Sprache zu wenig
und zu schwache Worte haben würde."

„Der Verfasser," bemerkt Lessing dazu, „nennt denken, was andre
ehrliche Leute empfinden heißen. Seine höchste Art, über Gott zu denken,
ist ein Stand der Empfindung, mit welchem nichts als undeutliche Vorstellungen
verbunden sind. — Bei der kalten Spekulation geht die Seele von einem deut¬
lichen Begriff zum andern fort; alle Empfindung, die damit verbunden, ist die
Empfindung ihrer Anstrengung: eine Empfindung, die nur darum nicht ganz
unangenehm ist, weil sie die Wirksamkeit ihrer Kräfte dabei fühlt. Will ich
aus dem Gegenstand selbst Vergnügen schöpfen, so müssen alle deutlichen Be¬
griffe, die ich mir durch die Spekulation gemacht habe, in eine gewisse Entfernung
zurückweichen, in welcher sie deutlich zu sein aufhören. — Die Sprache kann
alles ausdrücken, was wir deutlich denken, daß sie aber alle Nuancen der Em¬
pfindung sollte ausdrücken können, ist ebenso unmöglich als unnöthig."

„Jene kalte metaphysische Art, über Gott zu urtheilen, von welcher der
Verfasser so verächtlich urtheilt, muß der Probirstein aller unsrer Empfindungen
von Gott sein. Sie allein kann uns versichern, daß wir anständige Empfin-


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[0310] Sterblichkeit der Seele zu erhärten. Die griechischen Muster treten jetzt ganz zurück, die Sprache der Propheten wird sein Vorbild. Bei seinem Drama „Der Tod Adams" hat ihm vielleicht der „Oedipus in Kolonos" vorgeschwebt; aber wenn der griechische Dichter durch die großartige Anschauung und die edle Sprache die Schwäche der Komposition vergessen macht, so ist es in dieser steifen weinerlichen Prosa geradezu unerträglich, wie Adam sich drei Akte hin¬ durch abquält, dem Zuhörer zu zeigen, daß „des Todes sterben" etwas viel Fürchterlicheres ist, als „sterben" überhaupt; und zuletzt erfährt es der Zuhörer doch nicht. Lessing wurde hauptsächlich durch den oberflächlichen Dogmatismus gereizt, den Klop stock mit seinen Anhängern im „Nordischen Aufseher" ab¬ lagerte. Zu diesen Anhängern gehörte der Hofprediger Cramer in Kopen¬ hagen und Prof. Basedow in Soroe. „Wissen Sie nicht," schreibt Lessing am 2. August 1759, „daß jetzt ein guter Christ etwas ganz Anderes zu sein anfängt, als er vor dreißig Jahren war? Die Orthodoxie ist ein Gespött geworden; man begnügt sich mit einer lieblichen Quintessenz, die man aus dem Christenthum gezogen hat, und. weicht allem Verdacht der Freibeuterei aus, wenn man von der Religion überhaupt nur fein enthusiastisch zu schwatzen weiß." „Die höchste Art, über Gott zu denken," heißt es im „Nordischen Aufseher", „ist, wenn die ganze Seele von dem, den sie denkt, so erfüllt ist, daß alle ihre übrigen Kräfte von der Anstrengung ihres Denkens in Bewegung gesetzt sind; wenn das, was wir denken, durch Worte auszudrücken die Sprache zu wenig und zu schwache Worte haben würde." „Der Verfasser," bemerkt Lessing dazu, „nennt denken, was andre ehrliche Leute empfinden heißen. Seine höchste Art, über Gott zu denken, ist ein Stand der Empfindung, mit welchem nichts als undeutliche Vorstellungen verbunden sind. — Bei der kalten Spekulation geht die Seele von einem deut¬ lichen Begriff zum andern fort; alle Empfindung, die damit verbunden, ist die Empfindung ihrer Anstrengung: eine Empfindung, die nur darum nicht ganz unangenehm ist, weil sie die Wirksamkeit ihrer Kräfte dabei fühlt. Will ich aus dem Gegenstand selbst Vergnügen schöpfen, so müssen alle deutlichen Be¬ griffe, die ich mir durch die Spekulation gemacht habe, in eine gewisse Entfernung zurückweichen, in welcher sie deutlich zu sein aufhören. — Die Sprache kann alles ausdrücken, was wir deutlich denken, daß sie aber alle Nuancen der Em¬ pfindung sollte ausdrücken können, ist ebenso unmöglich als unnöthig." „Jene kalte metaphysische Art, über Gott zu urtheilen, von welcher der Verfasser so verächtlich urtheilt, muß der Probirstein aller unsrer Empfindungen von Gott sein. Sie allein kann uns versichern, daß wir anständige Empfin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/310>, abgerufen am 27.09.2024.