Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.düngen von Gott haben; der hitzige Kopf denkt oft am unwürdigsten von Gott, "Wenn ich sagen sollte, was ich aus Klopstock's Ode über die Allgegen¬ "Klopstock's Oden sind so voller Empfindung, daß man oft gar nichts Ganz kann sich Lessing von seiner alten Idee, die Poesie habe eigent¬ Lessing's "Literaturbriefe" heben sich im Stil auf's vortheilhafteste gegen Positiv bedeutender ist, was er gleichzeitig für die Kritik der Sprache that, düngen von Gott haben; der hitzige Kopf denkt oft am unwürdigsten von Gott, „Wenn ich sagen sollte, was ich aus Klopstock's Ode über die Allgegen¬ „Klopstock's Oden sind so voller Empfindung, daß man oft gar nichts Ganz kann sich Lessing von seiner alten Idee, die Poesie habe eigent¬ Lessing's „Literaturbriefe" heben sich im Stil auf's vortheilhafteste gegen Positiv bedeutender ist, was er gleichzeitig für die Kritik der Sprache that, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0311" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142266"/> <p xml:id="ID_916" prev="#ID_915"> düngen von Gott haben; der hitzige Kopf denkt oft am unwürdigsten von Gott,<lb/> wenn er am erhabensten zu denken glaubt."</p><lb/> <p xml:id="ID_917"> „Wenn ich sagen sollte, was ich aus Klopstock's Ode über die Allgegen¬<lb/> wart Gottes mehr gelernt, als ich vorher gewußt; welchen von meinen Be¬<lb/> griffen der Dichter aufgeklärt, in welcher Ueberzeugung er mich bestärkt: so<lb/> weiß ich nichts darauf zu antworten. Freilich ist das auch des Dichters Auf¬<lb/> gabe nicht. Genug, daß mich eine prächtige Tirade über die andre angenehm<lb/> unterhalten hat, daß ich mir während des Lesens seine Begeisterung zu theilen<lb/> geschienen habe: muß uns denn alles etwas zu denken geben?"</p><lb/> <p xml:id="ID_918"> „Klopstock's Oden sind so voller Empfindung, daß man oft gar nichts<lb/> dabei empfindet. Es kann sein, daß er, als er sie machte, im Stand sehr leb¬<lb/> hafter Empfindungen war; weil er aber blos diese seine Empfindungen aus¬<lb/> zudrücken suchte, und den Reichthum von deutlichen Vorstellungen, durch den<lb/> er sich in das andächtige Feuer gesetzt hatte, verschwieg: so ist es unmöglich, daß<lb/> sich seine Leser zu eben den Empfindungen, die er dabei gehabt, erheben können;<lb/> er hat die Leiter nach sich gezogen."</p><lb/> <p xml:id="ID_919"> Ganz kann sich Lessing von seiner alten Idee, die Poesie habe eigent¬<lb/> lich nur zu spielen, nicht losmachen; aber er ist auf dem Wege dazu.</p><lb/> <p xml:id="ID_920"> Lessing's „Literaturbriefe" heben sich im Stil auf's vortheilhafteste gegen<lb/> alles ab, was früher geschrieben war; in ihnen klärte sich im Wesentlichen die<lb/> Prosa ab, die wir noch heute reden, und wurde für den Augenblick zur domi-<lb/> nirenden Macht. Außerdem war es die höchste Zeit, das gegenseitige Anräuchern<lb/> der Dichter zu unterbrechen, es hatte sich daraus eine Atmosphäre gebildet, in<lb/> welcher der gesunde Menschenverstand nicht mehr athmen konnte. Aber wenn<lb/> die „Literaturbriese" auch mit dem Veralteten gründlich aufgeräumt hatten,<lb/> wenn Lessing auch einen gewaltigen Besen darin führte und von keiner Art<lb/> Pietät zurückgehalten wurde, die ehrende Bezeichnung einer schöpferischen Kritik<lb/> kommt ihnen doch nicht zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_921"> Positiv bedeutender ist, was er gleichzeitig für die Kritik der Sprache that,<lb/> die er geschichtlich verfolgte, bis in das Mittelalter hinein: so in dem Wörter¬<lb/> buch zu Logan, den er gemeinsam mit Ramler herausgab. Er ging syste¬<lb/> matisch darauf aus, eine Reihe guter alter Worte und Wortfügungen zu retten,<lb/> die durch die Gottsched'sche Schule weggeschwemmt waren, und durch Beach¬<lb/> tung der Provinzialsprache die fast farblos gewordene Schriftsprache neu zu<lb/> beleben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0311]
düngen von Gott haben; der hitzige Kopf denkt oft am unwürdigsten von Gott,
wenn er am erhabensten zu denken glaubt."
„Wenn ich sagen sollte, was ich aus Klopstock's Ode über die Allgegen¬
wart Gottes mehr gelernt, als ich vorher gewußt; welchen von meinen Be¬
griffen der Dichter aufgeklärt, in welcher Ueberzeugung er mich bestärkt: so
weiß ich nichts darauf zu antworten. Freilich ist das auch des Dichters Auf¬
gabe nicht. Genug, daß mich eine prächtige Tirade über die andre angenehm
unterhalten hat, daß ich mir während des Lesens seine Begeisterung zu theilen
geschienen habe: muß uns denn alles etwas zu denken geben?"
„Klopstock's Oden sind so voller Empfindung, daß man oft gar nichts
dabei empfindet. Es kann sein, daß er, als er sie machte, im Stand sehr leb¬
hafter Empfindungen war; weil er aber blos diese seine Empfindungen aus¬
zudrücken suchte, und den Reichthum von deutlichen Vorstellungen, durch den
er sich in das andächtige Feuer gesetzt hatte, verschwieg: so ist es unmöglich, daß
sich seine Leser zu eben den Empfindungen, die er dabei gehabt, erheben können;
er hat die Leiter nach sich gezogen."
Ganz kann sich Lessing von seiner alten Idee, die Poesie habe eigent¬
lich nur zu spielen, nicht losmachen; aber er ist auf dem Wege dazu.
Lessing's „Literaturbriefe" heben sich im Stil auf's vortheilhafteste gegen
alles ab, was früher geschrieben war; in ihnen klärte sich im Wesentlichen die
Prosa ab, die wir noch heute reden, und wurde für den Augenblick zur domi-
nirenden Macht. Außerdem war es die höchste Zeit, das gegenseitige Anräuchern
der Dichter zu unterbrechen, es hatte sich daraus eine Atmosphäre gebildet, in
welcher der gesunde Menschenverstand nicht mehr athmen konnte. Aber wenn
die „Literaturbriese" auch mit dem Veralteten gründlich aufgeräumt hatten,
wenn Lessing auch einen gewaltigen Besen darin führte und von keiner Art
Pietät zurückgehalten wurde, die ehrende Bezeichnung einer schöpferischen Kritik
kommt ihnen doch nicht zu.
Positiv bedeutender ist, was er gleichzeitig für die Kritik der Sprache that,
die er geschichtlich verfolgte, bis in das Mittelalter hinein: so in dem Wörter¬
buch zu Logan, den er gemeinsam mit Ramler herausgab. Er ging syste¬
matisch darauf aus, eine Reihe guter alter Worte und Wortfügungen zu retten,
die durch die Gottsched'sche Schule weggeschwemmt waren, und durch Beach¬
tung der Provinzialsprache die fast farblos gewordene Schriftsprache neu zu
beleben.
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