Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.Verehrung vor Sydenham gründliche mathematische und physiologische Kennt¬ Hoffmann schreibt unter dem Einfluß der Leibnitz'schen Monadenlehre den Grenzboten II. 1879. 66
Verehrung vor Sydenham gründliche mathematische und physiologische Kennt¬ Hoffmann schreibt unter dem Einfluß der Leibnitz'schen Monadenlehre den Grenzboten II. 1879. 66
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Verehrung vor Sydenham gründliche mathematische und physiologische Kennt¬
nisse verband. Während er aber bei dem Versuche, deu Hippokratismus mit
der physiologischen Medizin in Einklang zu bringen, noch ganz den Stand-
Punkt der Jatrophysiker einnimmt, verwandelt sich derselbe bei Hoffmann und
Stahl mehr und mehr zum Dynamismus, indem bei jenem die eigentlich thä¬
tige Substanz sich zu den feinsten Lebensgeistern verflüchtigt, während dieser
der immateriellen Seele alles Thun und Leiden des Körpers zuschreibt.
Hoffmann schreibt unter dem Einfluß der Leibnitz'schen Monadenlehre den
Körpern als solchen Kräfte zu, die sich auf die mechanischen Eigenschaften der
Kohärenz und des Widerstandes zurückführen lassen. In den thierischen Körpern
bilden sich nach ihm diese Eigenschaften zum Tonus aus; der eigentliche Träger
des Lebens aber ist ihm der im Blut und Gehirn enthaltene „Aether", welcher
bei den Thieren durch die Nerven strömt und bei den Menschen außerdem mit
Lymphe gemischt ist. Da diese Nervenflüssigkeit sich aber, um wirken zu können,
ebenfalls bewegt, und zwar nach mechanischen Grundsätzen, und da diese Be¬
wegung wieder einer Ursache bedarf, so schrieb Hoffmann — ohne zu be¬
merken, daß er damit die Einheit seines Systems untergrub — der Lehre von
der Beseeltheit der Monaden folgend, jedem Theilchen des Blut- und Gehirn¬
äthers eine Idee von seinem Zwecke, also eigenen Bewegungstrieb zu. Durch¬
aus folgerichtig dagegen baute er auf diese Annahmen seine Pathologie und
Therapie auf. Das Wesen der Krankheit ist ihm Störung des physiologischen
Tonus der festen Theile, Erschlaffung, Anspannung und übermäßige Bewegung.
In empfindlichen Theilen erscheint die letztere als Schmerz, in beweglichen als
Krampf. Diese Zustände beruhen nach ihm auf dynamischen Grunde, nämlich
auf Schwankungen des Nervenprinzips. Das Vorkommen von Krankheiten
der Säfte erklärt er mit einer durch Erschlaffung oder Spannung der Gefäße
entstandenen Stockung und Verderbniß. Die wahren Verdienste Hoffmann's
um die Pathologie liegen aber nicht hierin, sondern in seiner Lehre von den
Krankheitsursachen, die er sehr sorgfältig bearbeitete, und als deren wichtigste
er Ueberfülle von Säften und abnorme Mischung der atmosphärischen Luft
bezeichnete. Die Arzeneien Hoffmann's richten sich theils gegen seine allge¬
meinen Krankheitslategvrieen, Krampf und Erschlaffung, theils gegen die Krank¬
heitsursachen, Fehler der Säfte n. tgi. Sie bestehen ans wenigen Mitteln,
und er meint, daß der Arzt außer gewissen diätetischen Vorschriften, auf die
er großes Gewicht legt, deren nicht mehr als etwa ein Dutzend bedürfe. Lieb¬
lingsmittel sind ihm Wein, ätherische Oele. Gewürze, China, Kampfer, Eisen
und das Wasser von Heilquellen; mit besonderer Vorliebe aber wendete er
seinen lac^or anock^nus roirlöralis, sein Lalsamrun vitas und das Dlixir
Grenzboten II. 1879. 66
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