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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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die Menschheit in den Kriegern stutzte, ergriff er mit gewaltiger Hand das
Panier: folgt mir! Und alle folgten ihm zum Ziel des Siegs. Ihn aber
trieb allzuviel Muth bis zum Tode; er fiel, und es floß das breite Panier
zum leichten Grabmal über ihn her."

Am 22. Mai 1757 schreibt Sulzer an Kleist, er gehe damit um, Lessing
wieder für Berlin zu gewinnen: "Es ist billig, daß wir jetzt suchen, so groß
in Wissenschaften und Künsten zu werden als wir in Waffen sind. Ich hätte
große Lust, den Ton der Superiorität über die andern Deutschen anzunehmen,
der dem der Franzosen nicht unähnlich wäre. Dazu haben wir Männer wie
Lessing nöthig." So wirkt der Zauber des aufstrebenden Staates auf das
Selbstgefühl des geborenen Schweizers!

"Die öffentlichen Angelegenheiten nehmen meine ganze Seele ein. Ich
kann keinen Augenblick aufhören, an Friedrich zu denken und sein Heer . . .
Die Trommel geht. Ich muß auf die Parade, die seit dem Kriege das für
mich ist, was in Athen der Porticus oder die Academie für die alten Philo¬
sophen war."

Diese Stimmung war nicht blos in Berlin. "Wir leben hier," schreibt
Geßner am 18. Juni aus Zürich an Kleist, "in einer glücklichen Ruhe, aber
alles nimmt Antheil am Waffenglück des Königs; man interessirt sich für die
gerechte Sache, die so trefflich gerettet wird. Wie bedächtig und klug ist er in
seinen Unternehmungen, wie kühn und groß in der Ausführung!"

"Denken Sie einmal," schreibt Lessing am 19. Juni an Gleim, "was
sich Ihres Königs Soldaten alles unterstehn! Bald werden sie auch die
besten Verse machen wollen, weil sie am besten siegen können! Da bekomme
ich von Berlin vor einigen Tagen einen Schlachtgesang, mit dem Zusatz, daß
ihn ein gemeiner Soldat gemacht habe, der noch für jedes Regiment einen
machen wolle."

"Krieg ist mein Lied! weil alle Welt Krieg will, so sei es Krieg! Berlin
sei Sparta!" Der kräftige Marschrhythmus ist wohl das Beste an diesen Liedern.
Gleim, der alte Liebesdichter, schrieb sie mit vollster Ueberzeugung; er hatte
den Krieg 1743 gemeinsam mit seinem Freunde Kleist kennen gelernt und
betete seinen Helden an. Auch das war Ueberzeugung, daß er alle Schuld
auf Friedrich's Feinde schob und Gottes Hilfe in Anspruch nahm. - Die Lieder
gewinnen ungemein, wenn man sie neben Ramler's hochtrabende Oden hält;
eigentlich volksmäßig waren sie nicht, und Lessing selbst deutet auf den tieferen
Gehalt in dem alten Volksliede hin: "Kein sel'ger Tod ist in der Welt, als
wer vom Feind erschlagen auf grüner Haid' im freien Feld darf nicht hör'n
groß Wehklagen!"

"Ich und der König von Preußen," schreibt Lessing am 18. Juni 1757


die Menschheit in den Kriegern stutzte, ergriff er mit gewaltiger Hand das
Panier: folgt mir! Und alle folgten ihm zum Ziel des Siegs. Ihn aber
trieb allzuviel Muth bis zum Tode; er fiel, und es floß das breite Panier
zum leichten Grabmal über ihn her."

Am 22. Mai 1757 schreibt Sulzer an Kleist, er gehe damit um, Lessing
wieder für Berlin zu gewinnen: „Es ist billig, daß wir jetzt suchen, so groß
in Wissenschaften und Künsten zu werden als wir in Waffen sind. Ich hätte
große Lust, den Ton der Superiorität über die andern Deutschen anzunehmen,
der dem der Franzosen nicht unähnlich wäre. Dazu haben wir Männer wie
Lessing nöthig." So wirkt der Zauber des aufstrebenden Staates auf das
Selbstgefühl des geborenen Schweizers!

„Die öffentlichen Angelegenheiten nehmen meine ganze Seele ein. Ich
kann keinen Augenblick aufhören, an Friedrich zu denken und sein Heer . . .
Die Trommel geht. Ich muß auf die Parade, die seit dem Kriege das für
mich ist, was in Athen der Porticus oder die Academie für die alten Philo¬
sophen war."

Diese Stimmung war nicht blos in Berlin. „Wir leben hier," schreibt
Geßner am 18. Juni aus Zürich an Kleist, „in einer glücklichen Ruhe, aber
alles nimmt Antheil am Waffenglück des Königs; man interessirt sich für die
gerechte Sache, die so trefflich gerettet wird. Wie bedächtig und klug ist er in
seinen Unternehmungen, wie kühn und groß in der Ausführung!"

„Denken Sie einmal," schreibt Lessing am 19. Juni an Gleim, „was
sich Ihres Königs Soldaten alles unterstehn! Bald werden sie auch die
besten Verse machen wollen, weil sie am besten siegen können! Da bekomme
ich von Berlin vor einigen Tagen einen Schlachtgesang, mit dem Zusatz, daß
ihn ein gemeiner Soldat gemacht habe, der noch für jedes Regiment einen
machen wolle."

„Krieg ist mein Lied! weil alle Welt Krieg will, so sei es Krieg! Berlin
sei Sparta!" Der kräftige Marschrhythmus ist wohl das Beste an diesen Liedern.
Gleim, der alte Liebesdichter, schrieb sie mit vollster Ueberzeugung; er hatte
den Krieg 1743 gemeinsam mit seinem Freunde Kleist kennen gelernt und
betete seinen Helden an. Auch das war Ueberzeugung, daß er alle Schuld
auf Friedrich's Feinde schob und Gottes Hilfe in Anspruch nahm. - Die Lieder
gewinnen ungemein, wenn man sie neben Ramler's hochtrabende Oden hält;
eigentlich volksmäßig waren sie nicht, und Lessing selbst deutet auf den tieferen
Gehalt in dem alten Volksliede hin: „Kein sel'ger Tod ist in der Welt, als
wer vom Feind erschlagen auf grüner Haid' im freien Feld darf nicht hör'n
groß Wehklagen!"

„Ich und der König von Preußen," schreibt Lessing am 18. Juni 1757


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/258>, abgerufen am 27.09.2024.