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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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kam sich vor wie eine eroberte Provinz, die Preußen ergriff ein wahrer Taumel
des Sieges.

Die Verhältnisse aller Männer, die bis dahin am Aufbau der deutschen
Literatur gearbeitet, wurden durch diese Ereignisse aufgerüttelt.

Lessing hatte mit einem Leipziger Patrizier einen Vertrag abgeschlossen,
ihn auf einer längeren Reise zu begleiten: im Mai 1756 waren sie von Leipzig
abgereist und bis Amsterdam gekommen. Da rief der Krieg sie im September
zurück. Um die versprochene Entschädigung, die ihm nicht ausgezahlt wurde,
mußte Lessing einen achtjährigen Prozeß führen.

In Leipzig war eine entsetzliche Noth; der Buchhandel stockte; die Schau¬
spieler wanderten aus; Winckelmann hätte beinahe seine Pension verloren;
Käfer er nahm einen Ruf nach Göttingen an.

"Warum fliehen Sie nicht diesen Ort der Unruhe, Betrübniß und allge¬
meinen Verzweifelung?" schreibt Moses Mendelssohn an Lessing. Dieser hatte
freilich in Leipzig zugleich die Geschäfte seiner Berliner Freunde zu besorgen:
er machte die Korrekturen zur "Bibliothek der schönen Wissenschaften", die "zur
Beförderung des guten Geschmacks" von Mendelssohn und Nicolai her¬
ausgegeben wurde: auch in Paris hatte man Korrespondenten für die Biblio¬
thek gewonnen, und Winckelmann schickte zahlreiche Beiträge aus Rom.

Am 14. Januar 1757 fordert Sulz er feinen Freund Ewald Chr.
v. Kleist auf, dafür zu forgen, daß der Krieg nicht wieder von einem Fran¬
zosen beschrieben werde, der ihn zu einer Episode des englisch-französischen
Krieges herabsetzen würde. "Die Thaten der deutschen Helden müssen von
deutscher Feder beschrieben werden. Sammeln Sie nur zuverlässige Nachrichten
und hinlängliche Pläne, so wird sich wohl unter Ihren Freunden ein Kopf
finden, der sie in eine würdige Geschichte bringt. Wenn ich es thun könnte,
so sollte mir weder Gefahr noch Mühseligkeit zu groß sein, überall selbst zu
sehen, ich würde mich entschließen, die Kriegskunst durch alle Stufen zu lernen,
um mich dazu geschickt zu machen."... "Mich dünkt, daß ganze Armeen gewisser¬
maßen persönlichen Charakter haben: so werden sie erzogen, so denken, so
handeln sie, wie einzelne Personen. Den Charakter unserer Armee möchte ich
so geschildert sehen, wie Labruyere einzelne Personen geschildert hat. Der ver¬
nünftigste Theil des hiesigen Publikums bewundert und verehrt diese Armee;
ein Theil aber, hauptsächlich der Adel, ist unzufrieden, undankbar, furchtsam."

Im März 1757 kam Kleist als preußischer Major nach Leipzig, die
Umwandlung sächsischer Soldaten in preußische zu besorgen; nicht mehr von
Friedenssehnsucht verzehrt, sondern stolz auf den Ruhm seines Königs. "Auch
ich, ich werde noch -- vergönn' es mir o Himmel! --- einher vor wenig Helden


kam sich vor wie eine eroberte Provinz, die Preußen ergriff ein wahrer Taumel
des Sieges.

Die Verhältnisse aller Männer, die bis dahin am Aufbau der deutschen
Literatur gearbeitet, wurden durch diese Ereignisse aufgerüttelt.

Lessing hatte mit einem Leipziger Patrizier einen Vertrag abgeschlossen,
ihn auf einer längeren Reise zu begleiten: im Mai 1756 waren sie von Leipzig
abgereist und bis Amsterdam gekommen. Da rief der Krieg sie im September
zurück. Um die versprochene Entschädigung, die ihm nicht ausgezahlt wurde,
mußte Lessing einen achtjährigen Prozeß führen.

In Leipzig war eine entsetzliche Noth; der Buchhandel stockte; die Schau¬
spieler wanderten aus; Winckelmann hätte beinahe seine Pension verloren;
Käfer er nahm einen Ruf nach Göttingen an.

„Warum fliehen Sie nicht diesen Ort der Unruhe, Betrübniß und allge¬
meinen Verzweifelung?" schreibt Moses Mendelssohn an Lessing. Dieser hatte
freilich in Leipzig zugleich die Geschäfte seiner Berliner Freunde zu besorgen:
er machte die Korrekturen zur „Bibliothek der schönen Wissenschaften", die „zur
Beförderung des guten Geschmacks" von Mendelssohn und Nicolai her¬
ausgegeben wurde: auch in Paris hatte man Korrespondenten für die Biblio¬
thek gewonnen, und Winckelmann schickte zahlreiche Beiträge aus Rom.

Am 14. Januar 1757 fordert Sulz er feinen Freund Ewald Chr.
v. Kleist auf, dafür zu forgen, daß der Krieg nicht wieder von einem Fran¬
zosen beschrieben werde, der ihn zu einer Episode des englisch-französischen
Krieges herabsetzen würde. „Die Thaten der deutschen Helden müssen von
deutscher Feder beschrieben werden. Sammeln Sie nur zuverlässige Nachrichten
und hinlängliche Pläne, so wird sich wohl unter Ihren Freunden ein Kopf
finden, der sie in eine würdige Geschichte bringt. Wenn ich es thun könnte,
so sollte mir weder Gefahr noch Mühseligkeit zu groß sein, überall selbst zu
sehen, ich würde mich entschließen, die Kriegskunst durch alle Stufen zu lernen,
um mich dazu geschickt zu machen."... „Mich dünkt, daß ganze Armeen gewisser¬
maßen persönlichen Charakter haben: so werden sie erzogen, so denken, so
handeln sie, wie einzelne Personen. Den Charakter unserer Armee möchte ich
so geschildert sehen, wie Labruyere einzelne Personen geschildert hat. Der ver¬
nünftigste Theil des hiesigen Publikums bewundert und verehrt diese Armee;
ein Theil aber, hauptsächlich der Adel, ist unzufrieden, undankbar, furchtsam."

Im März 1757 kam Kleist als preußischer Major nach Leipzig, die
Umwandlung sächsischer Soldaten in preußische zu besorgen; nicht mehr von
Friedenssehnsucht verzehrt, sondern stolz auf den Ruhm seines Königs. „Auch
ich, ich werde noch — vergönn' es mir o Himmel! -— einher vor wenig Helden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/256>, abgerufen am 27.09.2024.