Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.muß. Ein Mann, der folgenden Satz schreiben kann: "Es ist ... nicht zu Noch ein Wort über Gutzkow. Ich las die Verunglimpfungen, die Mit einem noch ungleich gröberen Geschütz als Herr Koenig rückt der neue muß. Ein Mann, der folgenden Satz schreiben kann: „Es ist ... nicht zu Noch ein Wort über Gutzkow. Ich las die Verunglimpfungen, die Mit einem noch ungleich gröberen Geschütz als Herr Koenig rückt der neue <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142198"/> <p xml:id="ID_670" prev="#ID_669"> muß. Ein Mann, der folgenden Satz schreiben kann: „Es ist ... nicht zu<lb/> verwundern, daß dieser unglückliche Mensch seit seiner Taufe noch rücksichts¬<lb/> loser gegen alles, was uns heilig ist, höhnend loszog und die christliche<lb/> Religion insbesondere mit Füßen trat" —, ein solcher Mann hat überhaupt<lb/> nicht das Recht, Literaturgeschichte zu schreiben. Was er mit sehr geringem<lb/> Talent und mit noch geringerem Geschmack kompilirt hat, ist nur sür die<lb/> kleine Gemeinde genießbar, welche den beschränkten Standpunkt des Ver¬<lb/> fassers theilt.</p><lb/> <p xml:id="ID_671"> Noch ein Wort über Gutzkow. Ich las die Verunglimpfungen, die<lb/> sich Herr Koenig gegen den genialen Mann erlaubt hat, gerade in den Tagen,<lb/> als die Kunde von seinem Tode Deutschland durcheilte. Es ist begreiflich,<lb/> daß mir damals die Zornröthe in's Gesicht stieg, aber auch heute vermag ich<lb/> noch nicht diese verächtlichen Randglossen durchzulesen, ohne den tiefsten In¬<lb/> grimm gegen eine so schmähliche Behandlung eines edlen Mannes zu empfinden.<lb/> Gutzkow hat ebenso seine Wandlungen durchgemacht wie viele hochachtbare<lb/> Leute, die 1848 auf der Liste der Proskribirten standen und heute die höchsten<lb/> Stellen im Staatsdienste einnehmen. Gutzkow hat diese Wandlungen in seinem<lb/> letzten Romane, „Die neuen Serapionsbrüder", unumwunden ausgesprochen<lb/> und sich zu einem Parteistandpunkte bekannt, der von dem des Herrn Koenig<lb/> gar nicht so weit entfernt ist. Ich weiß nicht, ob Herr Koenig diesen Roman<lb/> nicht gelesen hat oder ob er ihn geflissentlich ignorirt, weil er nicht in das<lb/> Charakterbild passen würde, welches ihm von Gutzkow zu entwerfen beliebt.<lb/> In seiner Schilderung des Dramatikers Gutzkow sagt er: „Gutzkow's Dramen<lb/> sind durchweg Tendenz - Dichtungen ... etwas Spannendes und die große<lb/> Menge, vornehmlich das weibliche Publikum, Rührendes haben sie meistentheils,<lb/> und das hat ihnen einen vorübergehenden Erfolg auf unseren Bühnen ver¬<lb/> schafft." Man traut seinen Augen nicht: „einen vorübergehenden Erfolg"? —<lb/> „Uriel Acosta", „Das Urbild des Tartüffe", „Zopf und Schwert" gehören<lb/> zum eisernen Bestand unserer Bühnenrepertoires, und kein Stück eines neueren<lb/> Dichters ist so oft gespielt worden wie Gutzkow's „Königsleutnant". Aber<lb/> — ist es Unwissenheit oder Absicht? — Herr Koenig erwähnt dieses meister¬<lb/> hafte Lustspiel mit keiner Silbe, obwohl er selbst die weniger gelungenen<lb/> Bühnenarbeiten Gutzkow's aufführt. Etwa weil der „Königsleutnant" nicht<lb/> unter den „Tendenz-Dichtungen" unterzubringen war, für welche Herr Koenig<lb/> alle Dramen Gutzkow's Krsvi wann erklärt hat? —</p><lb/> <p xml:id="ID_672" next="#ID_673"> Mit einem noch ungleich gröberen Geschütz als Herr Koenig rückt der neue<lb/> Herausgeber der Barthel'schen Nationalliteratur, Herr Professor Dr. Röpe,<lb/> weiland Lehrer an der Realschule des Hamburger Johanneums, vor. Er sagt<lb/> rund heraus: die Vertreter des „jungen Deutschland" hätte man „mit noch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
muß. Ein Mann, der folgenden Satz schreiben kann: „Es ist ... nicht zu
verwundern, daß dieser unglückliche Mensch seit seiner Taufe noch rücksichts¬
loser gegen alles, was uns heilig ist, höhnend loszog und die christliche
Religion insbesondere mit Füßen trat" —, ein solcher Mann hat überhaupt
nicht das Recht, Literaturgeschichte zu schreiben. Was er mit sehr geringem
Talent und mit noch geringerem Geschmack kompilirt hat, ist nur sür die
kleine Gemeinde genießbar, welche den beschränkten Standpunkt des Ver¬
fassers theilt.
Noch ein Wort über Gutzkow. Ich las die Verunglimpfungen, die
sich Herr Koenig gegen den genialen Mann erlaubt hat, gerade in den Tagen,
als die Kunde von seinem Tode Deutschland durcheilte. Es ist begreiflich,
daß mir damals die Zornröthe in's Gesicht stieg, aber auch heute vermag ich
noch nicht diese verächtlichen Randglossen durchzulesen, ohne den tiefsten In¬
grimm gegen eine so schmähliche Behandlung eines edlen Mannes zu empfinden.
Gutzkow hat ebenso seine Wandlungen durchgemacht wie viele hochachtbare
Leute, die 1848 auf der Liste der Proskribirten standen und heute die höchsten
Stellen im Staatsdienste einnehmen. Gutzkow hat diese Wandlungen in seinem
letzten Romane, „Die neuen Serapionsbrüder", unumwunden ausgesprochen
und sich zu einem Parteistandpunkte bekannt, der von dem des Herrn Koenig
gar nicht so weit entfernt ist. Ich weiß nicht, ob Herr Koenig diesen Roman
nicht gelesen hat oder ob er ihn geflissentlich ignorirt, weil er nicht in das
Charakterbild passen würde, welches ihm von Gutzkow zu entwerfen beliebt.
In seiner Schilderung des Dramatikers Gutzkow sagt er: „Gutzkow's Dramen
sind durchweg Tendenz - Dichtungen ... etwas Spannendes und die große
Menge, vornehmlich das weibliche Publikum, Rührendes haben sie meistentheils,
und das hat ihnen einen vorübergehenden Erfolg auf unseren Bühnen ver¬
schafft." Man traut seinen Augen nicht: „einen vorübergehenden Erfolg"? —
„Uriel Acosta", „Das Urbild des Tartüffe", „Zopf und Schwert" gehören
zum eisernen Bestand unserer Bühnenrepertoires, und kein Stück eines neueren
Dichters ist so oft gespielt worden wie Gutzkow's „Königsleutnant". Aber
— ist es Unwissenheit oder Absicht? — Herr Koenig erwähnt dieses meister¬
hafte Lustspiel mit keiner Silbe, obwohl er selbst die weniger gelungenen
Bühnenarbeiten Gutzkow's aufführt. Etwa weil der „Königsleutnant" nicht
unter den „Tendenz-Dichtungen" unterzubringen war, für welche Herr Koenig
alle Dramen Gutzkow's Krsvi wann erklärt hat? —
Mit einem noch ungleich gröberen Geschütz als Herr Koenig rückt der neue
Herausgeber der Barthel'schen Nationalliteratur, Herr Professor Dr. Röpe,
weiland Lehrer an der Realschule des Hamburger Johanneums, vor. Er sagt
rund heraus: die Vertreter des „jungen Deutschland" hätte man „mit noch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |