Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

wandte sich um, gebot ernst Schweigen und sagte: "Meine Herren, auf dem
Schlachtfelde bitte ich mir das aus." Die von den Ständen niedergesetzte
Kommission verständigte sich rasch mit ihm; er forderte von der Provinz, einem
armen Lande von 1 Million Einwohner, außer den regulären Verstärkungen,
die sie schon zum Heere gestellt hatte oder noch stellen mußte (30000 Mann),
noch 20000 Mann Landwehr, 10000 Mann Reserven, ein freiwilliges Natio-
nalkavallerieregiment, Alles auf Kosten der Provinz. Und das Alles bewilligte
der Landtag, ohne einen Posten zu streichen, und mit stolz gehobenem Herzen
verließen seine Mitglieder Königsberg am 9. Februar, um daheim an.der
Ausführung zu arbeiten. Graf Ludwig Dohna eilte (13. Februar) nach Breslau,
er überbrachte dem König die Beschlüsse seiner treuen Ostpreußen und bat um
ihre Genehmigung. Wenige Tage vorher war Stein abgereist; sein Werk war
vollbracht. Ostpreußen starrte in Waffen, und wohin auch Dohna auf seiner
Reise kam, er fand das ganze Land in ein riesiges Heerlager verwandelt. Am
3. Februar war Knesebeck von Wien her in Breslau eingetroffen; er meldete,
Oesterreich werde vorerst seine Neutralität uicht brechen, da es durchaus noch
nicht bereit sei, aber Preußen sei seiner Zustimmung gewiß, wenn es mit Ru߬
land sich verbinde. Was man vom Czciren erfuhr, gestattete keinen Zweifel
mehr an seinem Ernste, den Krieg fortzuführen bis zur völligen Wiederherstel¬
lung Preußen's. Da entschloß sich der König: am 8. Februar publizirte die
Schlesische Zeitung, damals das amtliche Organ der Regierung, den Aufruf
zur Bildung freiwilliger Jügerdetachements (datirt vom 3. Februar), um auch
die gebildeten Elemente zum Dienste heranzuziehen; am 10. erfolgte die Auf¬
hebung der bisher bestehenden Befreiungen vom Heeresdienst. Die Wirkung
war blitzartig, zauberisch. Jeder fühlte, das sei das Signal zur Erhebung
gegen den verhaßten Feind; zu Tausenden und wieder zu Tausenden strömten
aus allen Stünden, aus den Komptoirs und den Schreibstuben der Behörden,
aus den Hörsälen der Universitäten und Gymnasien die Freiwilligen herbei.
Unter den Angen der Franzosen meldeten sich in Berlin binnen wenig Tagen
ihrer 9000; das einzige Wort, mit dem der Philosoph Fichte am 19. vor seine
Zuhörer trat: er schließe seiue Vorlesungen, weil ihm trotz vieler Uebung in
der Selbstbesinnung jetzt die Kraft dazu zu fehlen beginne, genügte, um sie in
die Reihen der Streiter zu führen. Fassungslos stand der Regierungskom¬
missar von der Goltz vor diesem Sturme der Begeisterung; wie sollte er den
Franzosen gegenüber dies vertreten! Verzweifelungsvoll schrieb er nach Breslau,
doch ein königlicher Befehl (vom 14. Februar) wies ihn an, "dem Enthusias¬
mus der jungen Leute kein Hinderniß in den Weg zu legen". Und wie in
Berlin, so in ganz Brandenburg, so im ganzen Staate; aus den altpreußischen
Theilen des Napoleonischen Königreichs Westphalen eilten schaarenweise die


wandte sich um, gebot ernst Schweigen und sagte: „Meine Herren, auf dem
Schlachtfelde bitte ich mir das aus." Die von den Ständen niedergesetzte
Kommission verständigte sich rasch mit ihm; er forderte von der Provinz, einem
armen Lande von 1 Million Einwohner, außer den regulären Verstärkungen,
die sie schon zum Heere gestellt hatte oder noch stellen mußte (30000 Mann),
noch 20000 Mann Landwehr, 10000 Mann Reserven, ein freiwilliges Natio-
nalkavallerieregiment, Alles auf Kosten der Provinz. Und das Alles bewilligte
der Landtag, ohne einen Posten zu streichen, und mit stolz gehobenem Herzen
verließen seine Mitglieder Königsberg am 9. Februar, um daheim an.der
Ausführung zu arbeiten. Graf Ludwig Dohna eilte (13. Februar) nach Breslau,
er überbrachte dem König die Beschlüsse seiner treuen Ostpreußen und bat um
ihre Genehmigung. Wenige Tage vorher war Stein abgereist; sein Werk war
vollbracht. Ostpreußen starrte in Waffen, und wohin auch Dohna auf seiner
Reise kam, er fand das ganze Land in ein riesiges Heerlager verwandelt. Am
3. Februar war Knesebeck von Wien her in Breslau eingetroffen; er meldete,
Oesterreich werde vorerst seine Neutralität uicht brechen, da es durchaus noch
nicht bereit sei, aber Preußen sei seiner Zustimmung gewiß, wenn es mit Ru߬
land sich verbinde. Was man vom Czciren erfuhr, gestattete keinen Zweifel
mehr an seinem Ernste, den Krieg fortzuführen bis zur völligen Wiederherstel¬
lung Preußen's. Da entschloß sich der König: am 8. Februar publizirte die
Schlesische Zeitung, damals das amtliche Organ der Regierung, den Aufruf
zur Bildung freiwilliger Jügerdetachements (datirt vom 3. Februar), um auch
die gebildeten Elemente zum Dienste heranzuziehen; am 10. erfolgte die Auf¬
hebung der bisher bestehenden Befreiungen vom Heeresdienst. Die Wirkung
war blitzartig, zauberisch. Jeder fühlte, das sei das Signal zur Erhebung
gegen den verhaßten Feind; zu Tausenden und wieder zu Tausenden strömten
aus allen Stünden, aus den Komptoirs und den Schreibstuben der Behörden,
aus den Hörsälen der Universitäten und Gymnasien die Freiwilligen herbei.
Unter den Angen der Franzosen meldeten sich in Berlin binnen wenig Tagen
ihrer 9000; das einzige Wort, mit dem der Philosoph Fichte am 19. vor seine
Zuhörer trat: er schließe seiue Vorlesungen, weil ihm trotz vieler Uebung in
der Selbstbesinnung jetzt die Kraft dazu zu fehlen beginne, genügte, um sie in
die Reihen der Streiter zu führen. Fassungslos stand der Regierungskom¬
missar von der Goltz vor diesem Sturme der Begeisterung; wie sollte er den
Franzosen gegenüber dies vertreten! Verzweifelungsvoll schrieb er nach Breslau,
doch ein königlicher Befehl (vom 14. Februar) wies ihn an, „dem Enthusias¬
mus der jungen Leute kein Hinderniß in den Weg zu legen". Und wie in
Berlin, so in ganz Brandenburg, so im ganzen Staate; aus den altpreußischen
Theilen des Napoleonischen Königreichs Westphalen eilten schaarenweise die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142182"/>
          <p xml:id="ID_631" prev="#ID_630" next="#ID_632"> wandte sich um, gebot ernst Schweigen und sagte: &#x201E;Meine Herren, auf dem<lb/>
Schlachtfelde bitte ich mir das aus." Die von den Ständen niedergesetzte<lb/>
Kommission verständigte sich rasch mit ihm; er forderte von der Provinz, einem<lb/>
armen Lande von 1 Million Einwohner, außer den regulären Verstärkungen,<lb/>
die sie schon zum Heere gestellt hatte oder noch stellen mußte (30000 Mann),<lb/>
noch 20000 Mann Landwehr, 10000 Mann Reserven, ein freiwilliges Natio-<lb/>
nalkavallerieregiment, Alles auf Kosten der Provinz. Und das Alles bewilligte<lb/>
der Landtag, ohne einen Posten zu streichen, und mit stolz gehobenem Herzen<lb/>
verließen seine Mitglieder Königsberg am 9. Februar, um daheim an.der<lb/>
Ausführung zu arbeiten. Graf Ludwig Dohna eilte (13. Februar) nach Breslau,<lb/>
er überbrachte dem König die Beschlüsse seiner treuen Ostpreußen und bat um<lb/>
ihre Genehmigung. Wenige Tage vorher war Stein abgereist; sein Werk war<lb/>
vollbracht. Ostpreußen starrte in Waffen, und wohin auch Dohna auf seiner<lb/>
Reise kam, er fand das ganze Land in ein riesiges Heerlager verwandelt. Am<lb/>
3. Februar war Knesebeck von Wien her in Breslau eingetroffen; er meldete,<lb/>
Oesterreich werde vorerst seine Neutralität uicht brechen, da es durchaus noch<lb/>
nicht bereit sei, aber Preußen sei seiner Zustimmung gewiß, wenn es mit Ru߬<lb/>
land sich verbinde. Was man vom Czciren erfuhr, gestattete keinen Zweifel<lb/>
mehr an seinem Ernste, den Krieg fortzuführen bis zur völligen Wiederherstel¬<lb/>
lung Preußen's. Da entschloß sich der König: am 8. Februar publizirte die<lb/>
Schlesische Zeitung, damals das amtliche Organ der Regierung, den Aufruf<lb/>
zur Bildung freiwilliger Jügerdetachements (datirt vom 3. Februar), um auch<lb/>
die gebildeten Elemente zum Dienste heranzuziehen; am 10. erfolgte die Auf¬<lb/>
hebung der bisher bestehenden Befreiungen vom Heeresdienst. Die Wirkung<lb/>
war blitzartig, zauberisch. Jeder fühlte, das sei das Signal zur Erhebung<lb/>
gegen den verhaßten Feind; zu Tausenden und wieder zu Tausenden strömten<lb/>
aus allen Stünden, aus den Komptoirs und den Schreibstuben der Behörden,<lb/>
aus den Hörsälen der Universitäten und Gymnasien die Freiwilligen herbei.<lb/>
Unter den Angen der Franzosen meldeten sich in Berlin binnen wenig Tagen<lb/>
ihrer 9000; das einzige Wort, mit dem der Philosoph Fichte am 19. vor seine<lb/>
Zuhörer trat: er schließe seiue Vorlesungen, weil ihm trotz vieler Uebung in<lb/>
der Selbstbesinnung jetzt die Kraft dazu zu fehlen beginne, genügte, um sie in<lb/>
die Reihen der Streiter zu führen. Fassungslos stand der Regierungskom¬<lb/>
missar von der Goltz vor diesem Sturme der Begeisterung; wie sollte er den<lb/>
Franzosen gegenüber dies vertreten! Verzweifelungsvoll schrieb er nach Breslau,<lb/>
doch ein königlicher Befehl (vom 14. Februar) wies ihn an, &#x201E;dem Enthusias¬<lb/>
mus der jungen Leute kein Hinderniß in den Weg zu legen". Und wie in<lb/>
Berlin, so in ganz Brandenburg, so im ganzen Staate; aus den altpreußischen<lb/>
Theilen des Napoleonischen Königreichs Westphalen eilten schaarenweise die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0227] wandte sich um, gebot ernst Schweigen und sagte: „Meine Herren, auf dem Schlachtfelde bitte ich mir das aus." Die von den Ständen niedergesetzte Kommission verständigte sich rasch mit ihm; er forderte von der Provinz, einem armen Lande von 1 Million Einwohner, außer den regulären Verstärkungen, die sie schon zum Heere gestellt hatte oder noch stellen mußte (30000 Mann), noch 20000 Mann Landwehr, 10000 Mann Reserven, ein freiwilliges Natio- nalkavallerieregiment, Alles auf Kosten der Provinz. Und das Alles bewilligte der Landtag, ohne einen Posten zu streichen, und mit stolz gehobenem Herzen verließen seine Mitglieder Königsberg am 9. Februar, um daheim an.der Ausführung zu arbeiten. Graf Ludwig Dohna eilte (13. Februar) nach Breslau, er überbrachte dem König die Beschlüsse seiner treuen Ostpreußen und bat um ihre Genehmigung. Wenige Tage vorher war Stein abgereist; sein Werk war vollbracht. Ostpreußen starrte in Waffen, und wohin auch Dohna auf seiner Reise kam, er fand das ganze Land in ein riesiges Heerlager verwandelt. Am 3. Februar war Knesebeck von Wien her in Breslau eingetroffen; er meldete, Oesterreich werde vorerst seine Neutralität uicht brechen, da es durchaus noch nicht bereit sei, aber Preußen sei seiner Zustimmung gewiß, wenn es mit Ru߬ land sich verbinde. Was man vom Czciren erfuhr, gestattete keinen Zweifel mehr an seinem Ernste, den Krieg fortzuführen bis zur völligen Wiederherstel¬ lung Preußen's. Da entschloß sich der König: am 8. Februar publizirte die Schlesische Zeitung, damals das amtliche Organ der Regierung, den Aufruf zur Bildung freiwilliger Jügerdetachements (datirt vom 3. Februar), um auch die gebildeten Elemente zum Dienste heranzuziehen; am 10. erfolgte die Auf¬ hebung der bisher bestehenden Befreiungen vom Heeresdienst. Die Wirkung war blitzartig, zauberisch. Jeder fühlte, das sei das Signal zur Erhebung gegen den verhaßten Feind; zu Tausenden und wieder zu Tausenden strömten aus allen Stünden, aus den Komptoirs und den Schreibstuben der Behörden, aus den Hörsälen der Universitäten und Gymnasien die Freiwilligen herbei. Unter den Angen der Franzosen meldeten sich in Berlin binnen wenig Tagen ihrer 9000; das einzige Wort, mit dem der Philosoph Fichte am 19. vor seine Zuhörer trat: er schließe seiue Vorlesungen, weil ihm trotz vieler Uebung in der Selbstbesinnung jetzt die Kraft dazu zu fehlen beginne, genügte, um sie in die Reihen der Streiter zu führen. Fassungslos stand der Regierungskom¬ missar von der Goltz vor diesem Sturme der Begeisterung; wie sollte er den Franzosen gegenüber dies vertreten! Verzweifelungsvoll schrieb er nach Breslau, doch ein königlicher Befehl (vom 14. Februar) wies ihn an, „dem Enthusias¬ mus der jungen Leute kein Hinderniß in den Weg zu legen". Und wie in Berlin, so in ganz Brandenburg, so im ganzen Staate; aus den altpreußischen Theilen des Napoleonischen Königreichs Westphalen eilten schaarenweise die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/227
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/227>, abgerufen am 20.10.2024.