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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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ängstliche und bedenkliche Beamte, noch weniger. Die Provinz verzehrte sich
vor Ungeduld: schon warben Edelleute und hohe Beamte auf eigene Faust im
Stillen, und verzweifelnd meldete Auerswald nach Berlin, er werde bald "den
Ausbrüchen eines lange verhaltenen Rachegefühls" nicht mehr wehren können.
In vereinzelten, nutzlosen Erhebungen drohte die edle Kraft des Landes sich
zu erschöpfen.

Da faßte eine festere Hand die Zügel. Am 16. Januar war Freiherr
von Stein, von Ernst Moritz Arndt als feinem Sekretär begleitet, im Haupt¬
quartiere des Czaren eingetroffen. Am 22. kam er nach Königsberg. Eine
kaiserlich russische Vollmacht wies ihn an, die Verwaltung des Landes zu führen
und feine Kräfte der guten Sache dienstbar zu machen, bis eine Vereinbarung
mit Berlin erfolgt sei. Rasch verständigte er sich mit dem Präsidenten Theodor
v. Schön in Gumbinnen und mit Jork und Auerswald in Königsberg dahin,
daß der ostpreußische Landtag, den er selber einst reformirt, sofort einzuberufen
sei, um die Bewaffnung des Landes auf Grundlage des Landwehrgesetzentwnrfs
von 1808 zu beschließen. Schon am 23. Januar ergingen die Wahlschreiben
in alle Kreise. Aber die am nächsten Tage angekommenen Berliner Zeitungen
vom 19. enthielten ja die königlichen Verfügungen gegen Aork; der ängstliche
Auerswald schwankte, wollte nur von einer "privaten Versammlung der Stände",
nicht einem Landtage wissen, und obwohl Stein's großartige Natur voll Gluth
und Leidenschaft diese Bedenken nicht begriff, gab er doch in der Form nach.
Da wirkte wahrhaft erlösend die Ankunft des Majors v. Thile aus Berlin;
er brachte an Aork, als Generalgouvemeur der Provinz, neue Befehle und die
Nachricht, der König gehe nach Breslau. Jetzt erkannte der treue Mann, daß
sein Monarch seine Verfügungen gegen ihn stillschweigend zurücknehme; jetzt
athmete er auf, befreit von der schwersten Last. Schon war auch seit dem
24. Januar sein Korps im Vormärsche gegen die Weichsel im Verein mit den
Russen: es war keine Wahl mehr.

Am 5. Februar eröffnete der Landtag seine Sitzungen, eine durchaus
königstreue, konservative Versammlung adlicher Großgrundbesitzer, städtischer
Deputirter, freier Bauern, besonnener Männer, nicht stürmischer Enthusiasten.
Das Erste, was er beschloß, war, den Vorsitz und die Leitung an Jork zu
übertragen als den Stellvertreter des Königs. Denn Preußen wollten sie
bleiben, nicht ein Jota der Autorität ihres Königs vergeben. Eine Deputation
wurde an Jork gesandt, er kam, übernahm das Amt mit kurzer, tief erregter
Ansprache, die mit den Worten schloß: "Ich hoffe die Franzosen zu schlagen,
wo ich sie finde; ich rechne hierbei auf die kräftige Theilnahme Aller; ist die
Uebermacht zu groß, nun, so werden wir ruhmvoll zu sterben wissen!" Ein
jubelndes "Es lebe Jork!" begleitete ihn, als er den Saal verließ; er aber


ängstliche und bedenkliche Beamte, noch weniger. Die Provinz verzehrte sich
vor Ungeduld: schon warben Edelleute und hohe Beamte auf eigene Faust im
Stillen, und verzweifelnd meldete Auerswald nach Berlin, er werde bald „den
Ausbrüchen eines lange verhaltenen Rachegefühls" nicht mehr wehren können.
In vereinzelten, nutzlosen Erhebungen drohte die edle Kraft des Landes sich
zu erschöpfen.

Da faßte eine festere Hand die Zügel. Am 16. Januar war Freiherr
von Stein, von Ernst Moritz Arndt als feinem Sekretär begleitet, im Haupt¬
quartiere des Czaren eingetroffen. Am 22. kam er nach Königsberg. Eine
kaiserlich russische Vollmacht wies ihn an, die Verwaltung des Landes zu führen
und feine Kräfte der guten Sache dienstbar zu machen, bis eine Vereinbarung
mit Berlin erfolgt sei. Rasch verständigte er sich mit dem Präsidenten Theodor
v. Schön in Gumbinnen und mit Jork und Auerswald in Königsberg dahin,
daß der ostpreußische Landtag, den er selber einst reformirt, sofort einzuberufen
sei, um die Bewaffnung des Landes auf Grundlage des Landwehrgesetzentwnrfs
von 1808 zu beschließen. Schon am 23. Januar ergingen die Wahlschreiben
in alle Kreise. Aber die am nächsten Tage angekommenen Berliner Zeitungen
vom 19. enthielten ja die königlichen Verfügungen gegen Aork; der ängstliche
Auerswald schwankte, wollte nur von einer „privaten Versammlung der Stände",
nicht einem Landtage wissen, und obwohl Stein's großartige Natur voll Gluth
und Leidenschaft diese Bedenken nicht begriff, gab er doch in der Form nach.
Da wirkte wahrhaft erlösend die Ankunft des Majors v. Thile aus Berlin;
er brachte an Aork, als Generalgouvemeur der Provinz, neue Befehle und die
Nachricht, der König gehe nach Breslau. Jetzt erkannte der treue Mann, daß
sein Monarch seine Verfügungen gegen ihn stillschweigend zurücknehme; jetzt
athmete er auf, befreit von der schwersten Last. Schon war auch seit dem
24. Januar sein Korps im Vormärsche gegen die Weichsel im Verein mit den
Russen: es war keine Wahl mehr.

Am 5. Februar eröffnete der Landtag seine Sitzungen, eine durchaus
königstreue, konservative Versammlung adlicher Großgrundbesitzer, städtischer
Deputirter, freier Bauern, besonnener Männer, nicht stürmischer Enthusiasten.
Das Erste, was er beschloß, war, den Vorsitz und die Leitung an Jork zu
übertragen als den Stellvertreter des Königs. Denn Preußen wollten sie
bleiben, nicht ein Jota der Autorität ihres Königs vergeben. Eine Deputation
wurde an Jork gesandt, er kam, übernahm das Amt mit kurzer, tief erregter
Ansprache, die mit den Worten schloß: „Ich hoffe die Franzosen zu schlagen,
wo ich sie finde; ich rechne hierbei auf die kräftige Theilnahme Aller; ist die
Uebermacht zu groß, nun, so werden wir ruhmvoll zu sterben wissen!" Ein
jubelndes „Es lebe Jork!" begleitete ihn, als er den Saal verließ; er aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/226>, abgerufen am 28.12.2024.