Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.für fremde Zwecke sein Korps anf's Spiel setzen, so mußte er die Hand an¬ Die Entscheidung war nicht länger hinauszuschieben. Denn am Abend für fremde Zwecke sein Korps anf's Spiel setzen, so mußte er die Hand an¬ Die Entscheidung war nicht länger hinauszuschieben. Denn am Abend <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142176"/> <p xml:id="ID_615" prev="#ID_614"> für fremde Zwecke sein Korps anf's Spiel setzen, so mußte er die Hand an¬<lb/> nehmen, die Diebitsch — ein Deutscher wie er — ihm bot. Spät Abends trafen<lb/> sich die beiden Männer zwischen ihren Vorposten; mit Diebitsch war Karl<lb/> v. Clausewitz, der genialste militärische Theoretiker der Zeit, den das preußisch¬<lb/> französische Bündniß in russische Dienste getrieben. Diebitsch bot eine Neu¬<lb/> tralitätskonvention für das York'sche Korps. Noch schloß York nicht ab, aber<lb/> er lehnte auch nicht ab, der Kampf sollte sofort aufhören, die Preußen in den<lb/> nächsten Tagen ungehindert vorwärts gehen, scheinbar um den Russen auszu¬<lb/> weichen. So geschah es; mühselig zog man weiter, kam am 28. Dezember in<lb/> Tauroggen an, unweit der Grenze. Von hier sandte Aork den Grafen Henkel<lb/> v. Donnersmark nach Berlin mit dem letzten Briefs Paulucci's vom 22.<lb/> Dezember, dem ein Schreiben des Czaren an den General vom 18. beigelegt<lb/> war, und einer Darstellung seiner Lage.</p><lb/> <p xml:id="ID_616" next="#ID_617"> Die Entscheidung war nicht länger hinauszuschieben. Denn am Abend<lb/> des 29. brachte Clausewitz ein Schreiben aus Wittgenstein's Hauptquartier,<lb/> des Inhalts: ein weiteres Zögern Jork's werde ihn zwingen, jede Unterhand¬<lb/> lung abzubrechen; aber am 31. werde er auch zwischen Tilsit und Königsberg<lb/> den Weg verlegen. Er traf Jork in höchster Erregung; Seydlitz war da, aber<lb/> ohne Instruktion, mit einer allgemeinen Weisung, die Aork's Verantwortlichkeit<lb/> nur schärfte; von Macdonald war doch ein Bote durchgekommen, mit der<lb/> Kunde, der Marschall erwarte ihn in Tilsit. Er wußte genau, daß die Russen<lb/> viel zu schwach seien, um ihm den Weg wirklich zu sperren. That er jetzt<lb/> seine formale Pflicht, schlug er sich durch, wer mochte ihn darum schelten? ja,<lb/> er wagte seinen Kopf, that er sie nicht. Aber die einzige Möglichkeit, die<lb/> Russen aufzuhalten, d. h. den Franzosen Zeit zu Rüstungen zu verschaffen,<lb/> bot Jork's Korps; hielt er sie auf, so verspielte er den nie wiederkehrenden<lb/> Moment der Befreiung, schmiedete die Ketten Preußen's noch fester. Für<lb/> Aork's eisernes Pflichtgefühl eine furchtbare Wahl! — Er traf sie ganz allein;<lb/> auf sein Haupt allein nahm er die ganze Verantwortung und alle Folgen. Er<lb/> läßt den Stabschef Oberst Roter rufen, vernimmt seine Zustimmung zu dem<lb/> beabsichtigten Schritt. Dann, nach einigen schweigenden Augenblicken wendet<lb/> er sich an Clausewitz: „Ihr habt mich! Sagt dem General Diebitsch, daß<lb/> ich morgen früh mich bei den russischen Vorposten einfinden werde. Aber ich<lb/> werde meine Sache nicht halb thun, ich werde Euch auch noch den Mcifsenbach<lb/> verschaffen." Er fragt den Lieutenant Wernsdorf, der eben von Mcifsenbach<lb/> gesandt worden: „Was sagen Eure Leute?" und als der junge Offizier be¬<lb/> geistert ihre Zustimmung versichert, da meint der General: „Ihr habt gut<lb/> reden, Ihr jungen Leute, mir Alten aber wackelt der Kopf auf den Schultern."<lb/> Dann beruft er seine Offiziere; in kurzen, ergreifenden Worten schildert er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0221]
für fremde Zwecke sein Korps anf's Spiel setzen, so mußte er die Hand an¬
nehmen, die Diebitsch — ein Deutscher wie er — ihm bot. Spät Abends trafen
sich die beiden Männer zwischen ihren Vorposten; mit Diebitsch war Karl
v. Clausewitz, der genialste militärische Theoretiker der Zeit, den das preußisch¬
französische Bündniß in russische Dienste getrieben. Diebitsch bot eine Neu¬
tralitätskonvention für das York'sche Korps. Noch schloß York nicht ab, aber
er lehnte auch nicht ab, der Kampf sollte sofort aufhören, die Preußen in den
nächsten Tagen ungehindert vorwärts gehen, scheinbar um den Russen auszu¬
weichen. So geschah es; mühselig zog man weiter, kam am 28. Dezember in
Tauroggen an, unweit der Grenze. Von hier sandte Aork den Grafen Henkel
v. Donnersmark nach Berlin mit dem letzten Briefs Paulucci's vom 22.
Dezember, dem ein Schreiben des Czaren an den General vom 18. beigelegt
war, und einer Darstellung seiner Lage.
Die Entscheidung war nicht länger hinauszuschieben. Denn am Abend
des 29. brachte Clausewitz ein Schreiben aus Wittgenstein's Hauptquartier,
des Inhalts: ein weiteres Zögern Jork's werde ihn zwingen, jede Unterhand¬
lung abzubrechen; aber am 31. werde er auch zwischen Tilsit und Königsberg
den Weg verlegen. Er traf Jork in höchster Erregung; Seydlitz war da, aber
ohne Instruktion, mit einer allgemeinen Weisung, die Aork's Verantwortlichkeit
nur schärfte; von Macdonald war doch ein Bote durchgekommen, mit der
Kunde, der Marschall erwarte ihn in Tilsit. Er wußte genau, daß die Russen
viel zu schwach seien, um ihm den Weg wirklich zu sperren. That er jetzt
seine formale Pflicht, schlug er sich durch, wer mochte ihn darum schelten? ja,
er wagte seinen Kopf, that er sie nicht. Aber die einzige Möglichkeit, die
Russen aufzuhalten, d. h. den Franzosen Zeit zu Rüstungen zu verschaffen,
bot Jork's Korps; hielt er sie auf, so verspielte er den nie wiederkehrenden
Moment der Befreiung, schmiedete die Ketten Preußen's noch fester. Für
Aork's eisernes Pflichtgefühl eine furchtbare Wahl! — Er traf sie ganz allein;
auf sein Haupt allein nahm er die ganze Verantwortung und alle Folgen. Er
läßt den Stabschef Oberst Roter rufen, vernimmt seine Zustimmung zu dem
beabsichtigten Schritt. Dann, nach einigen schweigenden Augenblicken wendet
er sich an Clausewitz: „Ihr habt mich! Sagt dem General Diebitsch, daß
ich morgen früh mich bei den russischen Vorposten einfinden werde. Aber ich
werde meine Sache nicht halb thun, ich werde Euch auch noch den Mcifsenbach
verschaffen." Er fragt den Lieutenant Wernsdorf, der eben von Mcifsenbach
gesandt worden: „Was sagen Eure Leute?" und als der junge Offizier be¬
geistert ihre Zustimmung versichert, da meint der General: „Ihr habt gut
reden, Ihr jungen Leute, mir Alten aber wackelt der Kopf auf den Schultern."
Dann beruft er seine Offiziere; in kurzen, ergreifenden Worten schildert er
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