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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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lichen Treue und Liebe gewiß, auch ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle,
der groß dachte vom Adel und zornig auf die "Neuerungen" Stein's und
Scharnhorst's schalt, vor allem ein treuer Preuße, ein loyaler Diener seines
Königs. So hatte er sein Korps geführt, den Preußenstolz in ihm stets
lebendig erhalten, dem Marschall Macdonald, vielleicht dem liebenswürdigsten
der Napoleonischen Granden, nie etwas anderes als strenge Pflichterfüllung
und kalte Höflichkeit bewiesen. Da trafen Anfang November die ersten Nach¬
richten vom Rückzüge der "großen Armee" in Mitau ein, zugleich mit ihnen
die erste Aufforderung der Russen -- des Generals Essen in Riga -- zum
Abfall. Aork gab keine Antwort, wandte seine volle Aufmerksamkeit seiner
Stellung zu, die der plötzlich eintretende Frost höchst unsicher machte. Aber
der General, der in kühler Ruhe die Selbständigkeit seines Korps wahrte, war
den Franzosen des Hauptquartiers längst ein Dorn im Auge; sehr berechtigte
Klagen, die preußische Befehlshaber über die ganz ungenügende Verpflegung
erhoben, wies man mit kränkenden Worten ab und schärfte die Abweisung durch
den Vorwurf, Jork sei ein Feind Frankreich's und des Kaisers. Wollte mau
ihn dadurch zu heftiger Entgegnung reizen, ihn auf diese Weise unmöglich
machen, so mißlang das; er blieb kühl, besonnen wie immer. Die Franzosen
ahnten nicht, wie gefährlich es vielleicht eben jetzt sei, dem General ein unver¬
dientes Mißtrauen zu zeigen. Denn auf's neue drängten die Russen. Der
neue Gouverneur Riga's, Paulucci, forderte ihn direkt zum Abfall, mindestens
zur Trennung von den Franzosen auf; im Auftrage des Czaren wandte sich
Wittgenstein, Befehlshaber der russischen Nordarmee, in demselben Sinne an
ihn. Welche Lage für den treuen Preußen und den loyalen Soldaten! Er
wich aus, erklärte nichts ohne Weisung seines Königs thun zu können, und
sandte am 5. Dezember seinen treuen Adjutanten Seydlitz nach Berlin, "um
die Entschließung Sr. Maj. zu erbitten". "Los von Frankreich!" das war
seine Losung als Preuße, "Nichts ohne den König!" sein Grundsatz als Soldat.
Die Nachrichten, die ihm am 8. Dezember Lieutenant v. Canitz brachte -- er
hatte voll Entsetzen die jammervollen Trümmer der "großen Armee" in Wilna
gesehen --, bestärkten Jork in der Ansicht, die Stunde der Erhebung sei da.
Denn hatte bisher das preußische Korps -- damals noch etwas über 17 000
Mann stark, darunter 15000 Dienstfähige -- neben den ungeheuren Massen
des Hauptheeres wenig bedeutet, jetzt, da dies vernichtet war, beruhte auf Dort
und seinen Tapfern die einzige Hoffnung der Franzosen, die Russen an ihrer
Grenze zurückzuhalten. Sein Verhalten entschied das Geschick des Feldzuges.
Wie, wenn er sich ihnen versagte? Und auf's neue drängt Paulucci und
schlug am 7. Dezember eine persönliche Zusammenkunft vor. Doch wiederum
verwies ihn Dorr auf die zu erwartenden Weisungen seines Herrn. Aber diese


lichen Treue und Liebe gewiß, auch ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle,
der groß dachte vom Adel und zornig auf die „Neuerungen" Stein's und
Scharnhorst's schalt, vor allem ein treuer Preuße, ein loyaler Diener seines
Königs. So hatte er sein Korps geführt, den Preußenstolz in ihm stets
lebendig erhalten, dem Marschall Macdonald, vielleicht dem liebenswürdigsten
der Napoleonischen Granden, nie etwas anderes als strenge Pflichterfüllung
und kalte Höflichkeit bewiesen. Da trafen Anfang November die ersten Nach¬
richten vom Rückzüge der „großen Armee" in Mitau ein, zugleich mit ihnen
die erste Aufforderung der Russen — des Generals Essen in Riga — zum
Abfall. Aork gab keine Antwort, wandte seine volle Aufmerksamkeit seiner
Stellung zu, die der plötzlich eintretende Frost höchst unsicher machte. Aber
der General, der in kühler Ruhe die Selbständigkeit seines Korps wahrte, war
den Franzosen des Hauptquartiers längst ein Dorn im Auge; sehr berechtigte
Klagen, die preußische Befehlshaber über die ganz ungenügende Verpflegung
erhoben, wies man mit kränkenden Worten ab und schärfte die Abweisung durch
den Vorwurf, Jork sei ein Feind Frankreich's und des Kaisers. Wollte mau
ihn dadurch zu heftiger Entgegnung reizen, ihn auf diese Weise unmöglich
machen, so mißlang das; er blieb kühl, besonnen wie immer. Die Franzosen
ahnten nicht, wie gefährlich es vielleicht eben jetzt sei, dem General ein unver¬
dientes Mißtrauen zu zeigen. Denn auf's neue drängten die Russen. Der
neue Gouverneur Riga's, Paulucci, forderte ihn direkt zum Abfall, mindestens
zur Trennung von den Franzosen auf; im Auftrage des Czaren wandte sich
Wittgenstein, Befehlshaber der russischen Nordarmee, in demselben Sinne an
ihn. Welche Lage für den treuen Preußen und den loyalen Soldaten! Er
wich aus, erklärte nichts ohne Weisung seines Königs thun zu können, und
sandte am 5. Dezember seinen treuen Adjutanten Seydlitz nach Berlin, „um
die Entschließung Sr. Maj. zu erbitten". „Los von Frankreich!" das war
seine Losung als Preuße, „Nichts ohne den König!" sein Grundsatz als Soldat.
Die Nachrichten, die ihm am 8. Dezember Lieutenant v. Canitz brachte — er
hatte voll Entsetzen die jammervollen Trümmer der „großen Armee" in Wilna
gesehen —, bestärkten Jork in der Ansicht, die Stunde der Erhebung sei da.
Denn hatte bisher das preußische Korps — damals noch etwas über 17 000
Mann stark, darunter 15000 Dienstfähige — neben den ungeheuren Massen
des Hauptheeres wenig bedeutet, jetzt, da dies vernichtet war, beruhte auf Dort
und seinen Tapfern die einzige Hoffnung der Franzosen, die Russen an ihrer
Grenze zurückzuhalten. Sein Verhalten entschied das Geschick des Feldzuges.
Wie, wenn er sich ihnen versagte? Und auf's neue drängt Paulucci und
schlug am 7. Dezember eine persönliche Zusammenkunft vor. Doch wiederum
verwies ihn Dorr auf die zu erwartenden Weisungen seines Herrn. Aber diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/219>, abgerufen am 28.09.2024.