Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.Warschau; weder Spanien noch Neapel sollte den napoleoniden entrissen werden. Da ging die Kunde von einer ungeheuren That "wie ein Erdbeben" durch Das preußische Korps, 20000 Mann, hatte, mit der 7. Division (Grand¬ Warschau; weder Spanien noch Neapel sollte den napoleoniden entrissen werden. Da ging die Kunde von einer ungeheuren That „wie ein Erdbeben" durch Das preußische Korps, 20000 Mann, hatte, mit der 7. Division (Grand¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142173"/> <p xml:id="ID_608" prev="#ID_607"> Warschau; weder Spanien noch Neapel sollte den napoleoniden entrissen werden.<lb/> Das war sein „Friedensprogramm"! Und prahlend, fast drohend entwickelte<lb/> er in seinem Schreiben vom 7. Januar dem verehrten Schwiegervater seine<lb/> immer noch riesigen Mittel und seine noch riesigeren Pläne; mit 400000 Mann<lb/> dachte er den Feldzug gegen Rußland im Frühjahr 1813 zu eröffnen, wenn<lb/> es seine Bedingungen nicht annehme; so gar nichts ahnte er von den Plänen<lb/> der Wiener Hofburg, daß er noch 30000 Mann mehr von Oesterreich forderte<lb/> und dagegen nicht eine Scholle Landes, nur einen elenden Subsidienvertrag in<lb/> Aussicht stellte. Damit war Oesterreich's Stellung gegen Frankreich entschieden.<lb/> Doch „wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit".</p><lb/> <p xml:id="ID_609"> Da ging die Kunde von einer ungeheuren That „wie ein Erdbeben" durch<lb/> Europa. Ein preußischer General hatte es gewagt, auf eigene Hand von den<lb/> Franzosen abzufallen; am vorletzten Tage des scheidenden Jahres 1812 hatte<lb/> Dort mit den Russen die Konvention von Tauroggen geschlossen mit dem<lb/> vollen Bewußtsein dessen, was er that, und davon, daß sein Beginnen der<lb/> Anfang sei zum Kampfe auf Leben und Tod. Auch Napoleon schien einen<lb/> Augenblick die Binde von den Augen zu fallen: „Dies unselige Beispiel wird<lb/> dem russischen Kabinette den Kopf schwindeln machen," sagte er am 15. Januar<lb/> zu Krusemark, der im Namen seiner Regierung die That Jork's aus seiner<lb/> militärischen Zwangslage zu entschuldigen suchte; „es ist ein großes politisches<lb/> Ereigniß. Wir stehen vielleicht am Vorabend großer Dinge. Es ist ein Sturm,<lb/> durch den wir hindurch müssen." Und in der That, die kleine schwarze Wolke,<lb/> die dort in dem fernsten Winkel preußischer Erde zwischen Haff und Njemen<lb/> sich erhob, sie sollte zu einem Unwetter anschwellen, das Napoleon und alle<lb/> seine Macht verschlang.</p><lb/> <p xml:id="ID_610" next="#ID_611"> Das preußische Korps, 20000 Mann, hatte, mit der 7. Division (Grand¬<lb/> jean) der „großen Armee" vereinigt, das 10. Korps gebildet, das als linker<lb/> Flügel unter Marschall Macdonald's Führung durch Samogitien und Kurland<lb/> gegen Riga vorging. Die Stärke der Russen in Riga und der Mangel eines<lb/> Belagernngsparks hatten den Angriff auf diese Festung verhindert, und so<lb/> standen die Preußen neben Bayern, Westphalen und Polen um Mitau und<lb/> längs der Aa, ihre Stellung oft nur unter blutigen Gefechten behauptend und<lb/> ihre alte Tapferkeit auch in diesem Kriege bewahrend, so wenig Sympathie sie<lb/> auch für die Bundesgenossen fühlten. Eben dort, unter Rheinbündnern und<lb/> Polen, wahrten sie den schroffen Preußenstolz. Keiner mehr, als ihr General,<lb/> David Ludwig v. Dorr, ein schneidiger Soldat, ein sicherer Führer noch aus<lb/> der Schule des großen Friedrich, der auch den unseligen Feldzug von 1806<lb/> ruhmvoll durchgefochten, streng und hart gegen sich wie gegen andere, und doch<lb/> väterlich besorgt um das Wohl seiner Untergebenen, deshalb ihrer unerschütter-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0218]
Warschau; weder Spanien noch Neapel sollte den napoleoniden entrissen werden.
Das war sein „Friedensprogramm"! Und prahlend, fast drohend entwickelte
er in seinem Schreiben vom 7. Januar dem verehrten Schwiegervater seine
immer noch riesigen Mittel und seine noch riesigeren Pläne; mit 400000 Mann
dachte er den Feldzug gegen Rußland im Frühjahr 1813 zu eröffnen, wenn
es seine Bedingungen nicht annehme; so gar nichts ahnte er von den Plänen
der Wiener Hofburg, daß er noch 30000 Mann mehr von Oesterreich forderte
und dagegen nicht eine Scholle Landes, nur einen elenden Subsidienvertrag in
Aussicht stellte. Damit war Oesterreich's Stellung gegen Frankreich entschieden.
Doch „wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit".
Da ging die Kunde von einer ungeheuren That „wie ein Erdbeben" durch
Europa. Ein preußischer General hatte es gewagt, auf eigene Hand von den
Franzosen abzufallen; am vorletzten Tage des scheidenden Jahres 1812 hatte
Dort mit den Russen die Konvention von Tauroggen geschlossen mit dem
vollen Bewußtsein dessen, was er that, und davon, daß sein Beginnen der
Anfang sei zum Kampfe auf Leben und Tod. Auch Napoleon schien einen
Augenblick die Binde von den Augen zu fallen: „Dies unselige Beispiel wird
dem russischen Kabinette den Kopf schwindeln machen," sagte er am 15. Januar
zu Krusemark, der im Namen seiner Regierung die That Jork's aus seiner
militärischen Zwangslage zu entschuldigen suchte; „es ist ein großes politisches
Ereigniß. Wir stehen vielleicht am Vorabend großer Dinge. Es ist ein Sturm,
durch den wir hindurch müssen." Und in der That, die kleine schwarze Wolke,
die dort in dem fernsten Winkel preußischer Erde zwischen Haff und Njemen
sich erhob, sie sollte zu einem Unwetter anschwellen, das Napoleon und alle
seine Macht verschlang.
Das preußische Korps, 20000 Mann, hatte, mit der 7. Division (Grand¬
jean) der „großen Armee" vereinigt, das 10. Korps gebildet, das als linker
Flügel unter Marschall Macdonald's Führung durch Samogitien und Kurland
gegen Riga vorging. Die Stärke der Russen in Riga und der Mangel eines
Belagernngsparks hatten den Angriff auf diese Festung verhindert, und so
standen die Preußen neben Bayern, Westphalen und Polen um Mitau und
längs der Aa, ihre Stellung oft nur unter blutigen Gefechten behauptend und
ihre alte Tapferkeit auch in diesem Kriege bewahrend, so wenig Sympathie sie
auch für die Bundesgenossen fühlten. Eben dort, unter Rheinbündnern und
Polen, wahrten sie den schroffen Preußenstolz. Keiner mehr, als ihr General,
David Ludwig v. Dorr, ein schneidiger Soldat, ein sicherer Führer noch aus
der Schule des großen Friedrich, der auch den unseligen Feldzug von 1806
ruhmvoll durchgefochten, streng und hart gegen sich wie gegen andere, und doch
väterlich besorgt um das Wohl seiner Untergebenen, deshalb ihrer unerschütter-
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