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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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alle Güter des Fugger'schen Hauses. Nach dem Tode Anton's vollzog er die
Theilung des Vermögens unter die drei Söhne Marx, Hans und Jakob Fugger,
blieb jedoch als Gutsverwalter und oberster Rentmeister in ihrem Dienste und
hatte einen solchen Einfluß im Fugger'schen Hause, daß die wichtigsten und
geheimsten Geschäfte durch seine Hand gingen. Nach dem Tode seines Vaters
galt er unbestritten als das Haupt der Familie, wie er denn auch Zeit seines
Lebens seinen Brüdern mit Rath und That zur Seite stand. An ihn wurde
jetzt Lucas geschickt, damit er ihn an der damals weitberühmten humanistischen
und evangelischen Schule zu Se. Anna unterbringe. Diese war vom Rathe
der Stadt im Jahre 1531 in dem von seinen Bewohnern verlassenen Karme¬
literkloster Se. Anna als "lateinische" Schule errichtet worden, hatte sich
jedoch bald über diese engen Grenzen hinaus zu einem vollständigen Gymnasium
umgebildet. Seit dem Jahre 1557 -- also wenige Jahre vorher ehe Lucas
nach Augsburg kam -- hatte sie in dem bis dahin als Bibliothekar in Fugger-
schen Diensten gewesenen, ebenso durch Gelehrsamkeit wie durch praktische
Tüchtigkeit ausgezeichneten Hieronymus Wolf v. Oettingen einen gründlichen
Reformator erhalten. Die ganze Schule war in fünf Klassen getheilt. Die
unterste zerfiel wieder in drei Abtheilungen, die der Buchstabirenden, Lesenden
und Schreibenden, denen aber auch bereits die Elemente der lateinischen
Grammatik nach Rivius beizubringen waren. In der vierten Klasse wurde der
Unterricht im Lateinischen fortgesetzt, das Sprechen und Schreiben des Latei¬
nischen versucht und das Büchlein des Erasmus von der Feinheit der Sitten,
sowie eine Auswahl von Cicero's leichteren Briefen gelesen. Die dritte Klasse
vermittelte bei fortdauernder Behandlung der lateinischen Grammatik die erste
Bekanntschaft mit den römischen Dichtern nach der Mustersammlung des
Murmelins (Rektor des Gymnasiums zu Münster, f 1517) und begann mit
Erlernung des Griechischen. Fortgesetzte Bildung in den beiden klassischen
Sprachen mit Lektüre von ausgewählten Stücken des Ovid, Virgil und Ari¬
stoteles war die Aufgabe der zweiten und endlich hauptsächlich Dialektik, Rhe¬
torik und Poetik die der ersten Klasse. Hierauf folgte, aber mehr in selbständiger
Stellung, das sogenannte ^näiwrwin Mdlieum, eine Art von Hochschule,
worin außer den mathematischen Disziplinen und der Lektüre der schwierigeren
Klassiker eine ausführlichere Erklärung der Dialektik und Rhetorik gegeben wurde
und den Zöglingen, die mehr als Studenten denn als Schüler behandelt
wurden, ein freieres Leben gestattet war. Für den Aufenthalt in ein und
derselben Klasse waren 18 Monate bestimmt, so daß, wenn der Eintritt mit
7 Jahren erfolgt war, der Uebergang in das Auditorium gewöhnlich mit 16
Jahren stattfand.

In diese Schule brachte Michael Geizkofler den jüngeren, damals ungefähr


Grenzboten II. 1879. 2S

alle Güter des Fugger'schen Hauses. Nach dem Tode Anton's vollzog er die
Theilung des Vermögens unter die drei Söhne Marx, Hans und Jakob Fugger,
blieb jedoch als Gutsverwalter und oberster Rentmeister in ihrem Dienste und
hatte einen solchen Einfluß im Fugger'schen Hause, daß die wichtigsten und
geheimsten Geschäfte durch seine Hand gingen. Nach dem Tode seines Vaters
galt er unbestritten als das Haupt der Familie, wie er denn auch Zeit seines
Lebens seinen Brüdern mit Rath und That zur Seite stand. An ihn wurde
jetzt Lucas geschickt, damit er ihn an der damals weitberühmten humanistischen
und evangelischen Schule zu Se. Anna unterbringe. Diese war vom Rathe
der Stadt im Jahre 1531 in dem von seinen Bewohnern verlassenen Karme¬
literkloster Se. Anna als „lateinische" Schule errichtet worden, hatte sich
jedoch bald über diese engen Grenzen hinaus zu einem vollständigen Gymnasium
umgebildet. Seit dem Jahre 1557 — also wenige Jahre vorher ehe Lucas
nach Augsburg kam — hatte sie in dem bis dahin als Bibliothekar in Fugger-
schen Diensten gewesenen, ebenso durch Gelehrsamkeit wie durch praktische
Tüchtigkeit ausgezeichneten Hieronymus Wolf v. Oettingen einen gründlichen
Reformator erhalten. Die ganze Schule war in fünf Klassen getheilt. Die
unterste zerfiel wieder in drei Abtheilungen, die der Buchstabirenden, Lesenden
und Schreibenden, denen aber auch bereits die Elemente der lateinischen
Grammatik nach Rivius beizubringen waren. In der vierten Klasse wurde der
Unterricht im Lateinischen fortgesetzt, das Sprechen und Schreiben des Latei¬
nischen versucht und das Büchlein des Erasmus von der Feinheit der Sitten,
sowie eine Auswahl von Cicero's leichteren Briefen gelesen. Die dritte Klasse
vermittelte bei fortdauernder Behandlung der lateinischen Grammatik die erste
Bekanntschaft mit den römischen Dichtern nach der Mustersammlung des
Murmelins (Rektor des Gymnasiums zu Münster, f 1517) und begann mit
Erlernung des Griechischen. Fortgesetzte Bildung in den beiden klassischen
Sprachen mit Lektüre von ausgewählten Stücken des Ovid, Virgil und Ari¬
stoteles war die Aufgabe der zweiten und endlich hauptsächlich Dialektik, Rhe¬
torik und Poetik die der ersten Klasse. Hierauf folgte, aber mehr in selbständiger
Stellung, das sogenannte ^näiwrwin Mdlieum, eine Art von Hochschule,
worin außer den mathematischen Disziplinen und der Lektüre der schwierigeren
Klassiker eine ausführlichere Erklärung der Dialektik und Rhetorik gegeben wurde
und den Zöglingen, die mehr als Studenten denn als Schüler behandelt
wurden, ein freieres Leben gestattet war. Für den Aufenthalt in ein und
derselben Klasse waren 18 Monate bestimmt, so daß, wenn der Eintritt mit
7 Jahren erfolgt war, der Uebergang in das Auditorium gewöhnlich mit 16
Jahren stattfand.

In diese Schule brachte Michael Geizkofler den jüngeren, damals ungefähr


Grenzboten II. 1879. 2S
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[0193] alle Güter des Fugger'schen Hauses. Nach dem Tode Anton's vollzog er die Theilung des Vermögens unter die drei Söhne Marx, Hans und Jakob Fugger, blieb jedoch als Gutsverwalter und oberster Rentmeister in ihrem Dienste und hatte einen solchen Einfluß im Fugger'schen Hause, daß die wichtigsten und geheimsten Geschäfte durch seine Hand gingen. Nach dem Tode seines Vaters galt er unbestritten als das Haupt der Familie, wie er denn auch Zeit seines Lebens seinen Brüdern mit Rath und That zur Seite stand. An ihn wurde jetzt Lucas geschickt, damit er ihn an der damals weitberühmten humanistischen und evangelischen Schule zu Se. Anna unterbringe. Diese war vom Rathe der Stadt im Jahre 1531 in dem von seinen Bewohnern verlassenen Karme¬ literkloster Se. Anna als „lateinische" Schule errichtet worden, hatte sich jedoch bald über diese engen Grenzen hinaus zu einem vollständigen Gymnasium umgebildet. Seit dem Jahre 1557 — also wenige Jahre vorher ehe Lucas nach Augsburg kam — hatte sie in dem bis dahin als Bibliothekar in Fugger- schen Diensten gewesenen, ebenso durch Gelehrsamkeit wie durch praktische Tüchtigkeit ausgezeichneten Hieronymus Wolf v. Oettingen einen gründlichen Reformator erhalten. Die ganze Schule war in fünf Klassen getheilt. Die unterste zerfiel wieder in drei Abtheilungen, die der Buchstabirenden, Lesenden und Schreibenden, denen aber auch bereits die Elemente der lateinischen Grammatik nach Rivius beizubringen waren. In der vierten Klasse wurde der Unterricht im Lateinischen fortgesetzt, das Sprechen und Schreiben des Latei¬ nischen versucht und das Büchlein des Erasmus von der Feinheit der Sitten, sowie eine Auswahl von Cicero's leichteren Briefen gelesen. Die dritte Klasse vermittelte bei fortdauernder Behandlung der lateinischen Grammatik die erste Bekanntschaft mit den römischen Dichtern nach der Mustersammlung des Murmelins (Rektor des Gymnasiums zu Münster, f 1517) und begann mit Erlernung des Griechischen. Fortgesetzte Bildung in den beiden klassischen Sprachen mit Lektüre von ausgewählten Stücken des Ovid, Virgil und Ari¬ stoteles war die Aufgabe der zweiten und endlich hauptsächlich Dialektik, Rhe¬ torik und Poetik die der ersten Klasse. Hierauf folgte, aber mehr in selbständiger Stellung, das sogenannte ^näiwrwin Mdlieum, eine Art von Hochschule, worin außer den mathematischen Disziplinen und der Lektüre der schwierigeren Klassiker eine ausführlichere Erklärung der Dialektik und Rhetorik gegeben wurde und den Zöglingen, die mehr als Studenten denn als Schüler behandelt wurden, ein freieres Leben gestattet war. Für den Aufenthalt in ein und derselben Klasse waren 18 Monate bestimmt, so daß, wenn der Eintritt mit 7 Jahren erfolgt war, der Uebergang in das Auditorium gewöhnlich mit 16 Jahren stattfand. In diese Schule brachte Michael Geizkofler den jüngeren, damals ungefähr Grenzboten II. 1879. 2S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/193>, abgerufen am 27.06.2024.