Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.gaben solchen Fremden zwar zuweilen Obdach und Lager in besonderen Häusern, Solche Zustände waren es auch nach dem eigenen Zeugnisse Geizkofler's, gaben solchen Fremden zwar zuweilen Obdach und Lager in besonderen Häusern, Solche Zustände waren es auch nach dem eigenen Zeugnisse Geizkofler's, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142147"/> <p xml:id="ID_548" prev="#ID_547"> gaben solchen Fremden zwar zuweilen Obdach und Lager in besonderen Häusern,<lb/> aber ihren Lebensunterhalt mußten sie sich ^zum größten Theile erbetteln.<lb/> Die Aufsicht, die über sie geübt wurde, war sehr gering; nur darauf hielt man<lb/> streng, daß in der Zügellosigkeit ihres Lebens Methode war; nur unter be¬<lb/> stimmten Formen und nur in gewissen Stadttheilen war zu betteln erlaubt.<lb/> Wenn der fahrende Schüler an einen Ort kam, wo eine lateinische Schule<lb/> bestand, war er verpflichtet, in die Genossenschaft der Schüler einzutreten, damit<lb/> er nicht zum Schaden des Schulmeisters und der vorhandenen Schüler die<lb/> Mildthätigkeit der Einwohner in Anspruch nahm. Wie überall, wo sich Deutsche<lb/> im Mittelalter zusammenfanden, so bildete sich auch unter diesen Schülern eine<lb/> Organisation aus, ein Pennalismus, der eine Menge von Bräuchen und un¬<lb/> sittlichen Gesetzen hatte, dem aber jeder einzelne verfiel, daneben die rohe Poesie<lb/> eines abenteuerlichen Lebens, welche viele verdarb und nur von guten Naturen<lb/> ohne Schaden für ihr späteres Leben überwunden wurde. Die jüngeren Schüler,<lb/> Schützen genannt, waren, wie die Lehrlinge der Handwerker, ihren älteren Kame¬<lb/> raden, den Bacchanten, zu erniedrigenden Diensten verpflichtet, sie mußten für<lb/> ihre Tyrannen betteln, oft stehlen, und genossen dafür den Schutz, den die<lb/> Fäuste der Stärkeren geben konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_549" next="#ID_550"> Solche Zustände waren es auch nach dem eigenen Zeugnisse Geizkofler's,<lb/> welche seine Mutter und seine Brüder — der Vater war inzwischen gestorben —<lb/> daran denken ließen, Lucas nach auswärts auf eine andere Schule zu bringen.<lb/> Aber noch einen anderen Grund deutet Lucas an, der feinen Weggang von<lb/> Sterzing wünschenswert!) erscheinen ließ: Er hatte „etliche Tractätlein und<lb/> Betbüchlein", die sein ältester' Bruder Georg, kaiserlicher Einnehmer und<lb/> Münzmeister in Joachimsthal', nach Sterzing geschickt hatte, unter seine Mit¬<lb/> schüler ausgetheilt und sich dadurch den Haß und die Verfolgung der papistischen<lb/> Schnlhalter und Geistlichen seiner Vaterstadt zugezogen. Die Wahl der neuen<lb/> Schule fiel auf Augsburg, und von dem Augenblicke an, wo der junge Lucas<lb/> zum ersten Male nach der alten, mächtigen Stadt kam, bleiben seine Geschicke<lb/> aus's engste mit dieser verbunden. Hier lebte sein älterer Bruder Michael in<lb/> den Diensten des Fugger'schen Hauses. Von seiner tüchtigen Geistes- und<lb/> Charakterbildung gibt der Umstand Zeugniß, daß er während seiner Studien¬<lb/> jahre die persönliche Bekanntschaft von Luther, Melanchthon und Bugenhugen<lb/> gemacht hatte. Später focht er, ein treuer Anhänger des evangelischen Bekennt¬<lb/> nisses, wacker im schmalkaldischen Kriege mit und war mit in Leipzig, als<lb/> dieses von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen belagert wurde. Nach<lb/> Beendigung des Krieges wurde er Hofmeister des jungen Hans Fugger, be¬<lb/> gleitete diesen nach Italien und trat 1556 als Oberamtmann und Rentmeister<lb/> jn den Dienst des reichen Anton Fugger. In dieser Eigenschaft verwaltete er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0192]
gaben solchen Fremden zwar zuweilen Obdach und Lager in besonderen Häusern,
aber ihren Lebensunterhalt mußten sie sich ^zum größten Theile erbetteln.
Die Aufsicht, die über sie geübt wurde, war sehr gering; nur darauf hielt man
streng, daß in der Zügellosigkeit ihres Lebens Methode war; nur unter be¬
stimmten Formen und nur in gewissen Stadttheilen war zu betteln erlaubt.
Wenn der fahrende Schüler an einen Ort kam, wo eine lateinische Schule
bestand, war er verpflichtet, in die Genossenschaft der Schüler einzutreten, damit
er nicht zum Schaden des Schulmeisters und der vorhandenen Schüler die
Mildthätigkeit der Einwohner in Anspruch nahm. Wie überall, wo sich Deutsche
im Mittelalter zusammenfanden, so bildete sich auch unter diesen Schülern eine
Organisation aus, ein Pennalismus, der eine Menge von Bräuchen und un¬
sittlichen Gesetzen hatte, dem aber jeder einzelne verfiel, daneben die rohe Poesie
eines abenteuerlichen Lebens, welche viele verdarb und nur von guten Naturen
ohne Schaden für ihr späteres Leben überwunden wurde. Die jüngeren Schüler,
Schützen genannt, waren, wie die Lehrlinge der Handwerker, ihren älteren Kame¬
raden, den Bacchanten, zu erniedrigenden Diensten verpflichtet, sie mußten für
ihre Tyrannen betteln, oft stehlen, und genossen dafür den Schutz, den die
Fäuste der Stärkeren geben konnten.
Solche Zustände waren es auch nach dem eigenen Zeugnisse Geizkofler's,
welche seine Mutter und seine Brüder — der Vater war inzwischen gestorben —
daran denken ließen, Lucas nach auswärts auf eine andere Schule zu bringen.
Aber noch einen anderen Grund deutet Lucas an, der feinen Weggang von
Sterzing wünschenswert!) erscheinen ließ: Er hatte „etliche Tractätlein und
Betbüchlein", die sein ältester' Bruder Georg, kaiserlicher Einnehmer und
Münzmeister in Joachimsthal', nach Sterzing geschickt hatte, unter seine Mit¬
schüler ausgetheilt und sich dadurch den Haß und die Verfolgung der papistischen
Schnlhalter und Geistlichen seiner Vaterstadt zugezogen. Die Wahl der neuen
Schule fiel auf Augsburg, und von dem Augenblicke an, wo der junge Lucas
zum ersten Male nach der alten, mächtigen Stadt kam, bleiben seine Geschicke
aus's engste mit dieser verbunden. Hier lebte sein älterer Bruder Michael in
den Diensten des Fugger'schen Hauses. Von seiner tüchtigen Geistes- und
Charakterbildung gibt der Umstand Zeugniß, daß er während seiner Studien¬
jahre die persönliche Bekanntschaft von Luther, Melanchthon und Bugenhugen
gemacht hatte. Später focht er, ein treuer Anhänger des evangelischen Bekennt¬
nisses, wacker im schmalkaldischen Kriege mit und war mit in Leipzig, als
dieses von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen belagert wurde. Nach
Beendigung des Krieges wurde er Hofmeister des jungen Hans Fugger, be¬
gleitete diesen nach Italien und trat 1556 als Oberamtmann und Rentmeister
jn den Dienst des reichen Anton Fugger. In dieser Eigenschaft verwaltete er
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |