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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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sich fast ausschließlich auf den Import französischer Bühnenstücke gelegt hat,
so bleibt dem Stadttheater nur der Abhub, nur dasjenige übrig, was das
Residenztheater oder gelegentlich auch das Wallnertheater als unbrauchbar oder
bedenklich abgelehnt hat. Das Stadttheater liebt nnn vorzugsweise die Be¬
denklichkeiten. Aber es befindet sich, wie bemerkt, nicht im Besitze eines Per¬
sonals, welches die Fähigkeiten hat, durch Grazie und Eleganz des Tones die
Cochonnerieen der Franzosen zu übertünchen und dem deutschen Ohre an¬
nehmbar zu machen. So ging die über alle Maßen ausgelassene, aber boden¬
los frivole Posse "Bebe"", glücklicherweise, muß man sagen, an dem Berliner
Publikum vorüber, ohne einen merklichen Eindruck zu hinterlassen. Einen
besseren Erfolg hatten die auch neuerdings wieder vielbesprochenen "Rosa
Dominos", die freilich durch die musterhafte, durch Munterkeit und Witz über
alle sittlichen Bedenken hinweghelfende Aufführung im Wallnertheater über
Wasser gehalten wurde.

Die Direktion des Stadttheaters wollte sich anch das zweifelhafte Ver¬
dienst erwerben, das jüngste und erfolgreichste Werk Hennequin's, "Niniche",
in Berlin einzuführen. Aber das Polizeipräsidium konnte sich nicht entschließen,
seine Erlaubniß zur Aufführung eines Stückes zu ertheilen, deren Hanptakteurs
und -aktricen in Schwimmhvsen und Badekostümen auf die Szene treten. Im
Grunde genommen durchweht diese Boulevardposse ein so spezifisch Pariserisches
Parfüm, daß sie eben nur in Paris das volle eingehende und warme Ver¬
ständniß finden kann, welches zu ihrem Genusse unumgänglich nöthig ist. Man
weiß, daß die Aufführungen dieses skandalösen, aber von der ersten bis zur
letzten Zeile diabolisch witzigen und amüsanten Stückes während der Weltaus¬
stellung von Paris von höchst achtbaren deutschen Frauen und Männern und
selbst von sehr hochgestellten Personen besucht worden sind, welche um keinen
Preis ihren Fuß in das Theater setzen würden, wenn auf dem Zettel des
Wallnertheaters oder des Stadttheaters "Niniche" angekündigt wäre. Nun,
glücklicherweise wird es nicht so weit kommen. Der arme Direktor des Stadt¬
theaters, welcher seine ganzen Hoffnungen auf die Schwimmhosen gesetzt und
schon ein glänzendes Luftschloß gebaut hatte, in dessen Mitte eine bekannte
internationale Soubrette, allerdings die denkbar beste Vertreterin einer "Niniche",
thronen sollte, mußte seine Zuflucht wieder zu Gastspielen und alten Stücken
nehmen und ist im Augenblicke, wo diese Zeilen geschrieben werden, bei einer
abgespielten, faden Lokalposse angelangt.

Das Residenztheater, in seiner jetzigen Spezialität, die sich auf die
Aufführung französischer Sittendramen beschränkt, eine Schöpfung des gegen¬
wärtigen Stadttheater-Direktors, ist ebenfalls ein Schößling der Theaterfreiheit.
Es hat uns seit acht Jahren die Bekanntschaft mit allen irgendwie bemerkens-


sich fast ausschließlich auf den Import französischer Bühnenstücke gelegt hat,
so bleibt dem Stadttheater nur der Abhub, nur dasjenige übrig, was das
Residenztheater oder gelegentlich auch das Wallnertheater als unbrauchbar oder
bedenklich abgelehnt hat. Das Stadttheater liebt nnn vorzugsweise die Be¬
denklichkeiten. Aber es befindet sich, wie bemerkt, nicht im Besitze eines Per¬
sonals, welches die Fähigkeiten hat, durch Grazie und Eleganz des Tones die
Cochonnerieen der Franzosen zu übertünchen und dem deutschen Ohre an¬
nehmbar zu machen. So ging die über alle Maßen ausgelassene, aber boden¬
los frivole Posse „Bebe"", glücklicherweise, muß man sagen, an dem Berliner
Publikum vorüber, ohne einen merklichen Eindruck zu hinterlassen. Einen
besseren Erfolg hatten die auch neuerdings wieder vielbesprochenen „Rosa
Dominos", die freilich durch die musterhafte, durch Munterkeit und Witz über
alle sittlichen Bedenken hinweghelfende Aufführung im Wallnertheater über
Wasser gehalten wurde.

Die Direktion des Stadttheaters wollte sich anch das zweifelhafte Ver¬
dienst erwerben, das jüngste und erfolgreichste Werk Hennequin's, „Niniche",
in Berlin einzuführen. Aber das Polizeipräsidium konnte sich nicht entschließen,
seine Erlaubniß zur Aufführung eines Stückes zu ertheilen, deren Hanptakteurs
und -aktricen in Schwimmhvsen und Badekostümen auf die Szene treten. Im
Grunde genommen durchweht diese Boulevardposse ein so spezifisch Pariserisches
Parfüm, daß sie eben nur in Paris das volle eingehende und warme Ver¬
ständniß finden kann, welches zu ihrem Genusse unumgänglich nöthig ist. Man
weiß, daß die Aufführungen dieses skandalösen, aber von der ersten bis zur
letzten Zeile diabolisch witzigen und amüsanten Stückes während der Weltaus¬
stellung von Paris von höchst achtbaren deutschen Frauen und Männern und
selbst von sehr hochgestellten Personen besucht worden sind, welche um keinen
Preis ihren Fuß in das Theater setzen würden, wenn auf dem Zettel des
Wallnertheaters oder des Stadttheaters „Niniche" angekündigt wäre. Nun,
glücklicherweise wird es nicht so weit kommen. Der arme Direktor des Stadt¬
theaters, welcher seine ganzen Hoffnungen auf die Schwimmhosen gesetzt und
schon ein glänzendes Luftschloß gebaut hatte, in dessen Mitte eine bekannte
internationale Soubrette, allerdings die denkbar beste Vertreterin einer „Niniche",
thronen sollte, mußte seine Zuflucht wieder zu Gastspielen und alten Stücken
nehmen und ist im Augenblicke, wo diese Zeilen geschrieben werden, bei einer
abgespielten, faden Lokalposse angelangt.

Das Residenztheater, in seiner jetzigen Spezialität, die sich auf die
Aufführung französischer Sittendramen beschränkt, eine Schöpfung des gegen¬
wärtigen Stadttheater-Direktors, ist ebenfalls ein Schößling der Theaterfreiheit.
Es hat uns seit acht Jahren die Bekanntschaft mit allen irgendwie bemerkens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/155>, abgerufen am 27.09.2024.