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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Ruheplätze bilden, wohl hauptsächlich des Trinkwassers wegen, noch jetzt das
Rendez-vous des reisenden Landvolkes.

Von der Stadt aus nahmen alle Hauptstraßen ihren Anfang. Doch schou
im Alterthum war augenscheinlich die östliche Landschaft weniger dem Verkehr
geöffnet. Der wasserarme Fels bot zu wenig Aussicht auf Erfolg für Boden¬
kultur. Noch weniger ist dies heute der Fall. Der Ilissos, der einst mit dem
Gebirgswasser des Hymettos die Gärten der Athener getränkt, ist nur noch ein
Abzugskancil für Regenwasser. Ringsum kahles, unbebautes Land. Kein
Wunder, wenn selbst die wenigen Straßen, die nach Sunion im südöstlichsten
Theile Attika's und die nach Marathon im nördlicheren Theile, fast ganz in
Verfall gerathen. Bebautes Terrain findet sich nur in der Nähe der Ort¬
schaften. Diese letzteren tragen natürlich bis auf wenige Ausnahmen alle den¬
selben Charakter. Die Häuser siud, der Mehrzahl nach armselig, wie in den
Zeiten erster Entwickelung aus Lehm gebaut, im Innern nur mit einem ein¬
zigen Raume versehen, vielfach verfallen und unbewohnt. Vereinzelt trifft man
größere Gehöfte, die dann wie Oasen plötzlich aus dem unabsehbaren Felsen¬
meere hervortreten und für einen Augenblick die rauhe Umgebung zurückdrängen;
so unter andern das Kloster, welches, in wilder Bergschlucht des Hymettos
gelegen, mit seinem schattigen Olivenhain, seinem frisch sprudelnden Quell einen
überaus romantischen Eindruck macht.

Aber trotz der allgemeinen Verwüstung haben sich gar manche Spuren alter
Zeit noch erhalten. Grundmauern antiker Bauten finden sich sowohl innerhalb
der Ortschaften, wie im freien Terrain. Größere Monumente, Befestigungs¬
anlagen, Wachtthürme auf den Vorsprüngen der Gebirge wurden ebenfalls hie
und da angetroffen. Mancherlei Gegenstände antiken Ursprungs zeigten sich
oft da, wo man sie am wenigsten vermuthete. Säulenstücke aus Marmor,
Kapitäle sind nicht selten als bloßes Baumaterial in die Wände späterer Bauten
eingemauert. Grabstelen, Hermen, sogar vollständige Skulpturen antiken
Charakters finden sich oft in den unscheinbarsten Gehöften. Wie wenig Auf¬
merksamkeit diesen Dingen bisher zugewandt ist, zeigt der eine Umstand, daß
von den Grabhügeln an der Südostseite des Hymettos, in der Nähe des Dorfes
Trachoms, verschiedene eröffnet, ihres Inhaltes beraubt, eines auch noch mit
Marmordeckel versehen angetroffen wurde.

Ganz entgegengesetzten Charakter, wie das östliche Terrain, zeigt die jen¬
seitige Landschaft, ein weites Thalbecken, dnrch welches der Kephissos, der größte
Fluß Attika's, seine Gewässer dem saronischen Golf zuführt. Nur vereinzelt
treten hier Terrain-Erhebungen wie im Osten ans. Die altberühmte Höhe von
Munychia, der als Schauplatz des sophokleischeu "Oedipus" bekannte Hippios
Kolonos, weiter nach Norden hin die Höhe von Acharnae sind die hervor-


Ruheplätze bilden, wohl hauptsächlich des Trinkwassers wegen, noch jetzt das
Rendez-vous des reisenden Landvolkes.

Von der Stadt aus nahmen alle Hauptstraßen ihren Anfang. Doch schou
im Alterthum war augenscheinlich die östliche Landschaft weniger dem Verkehr
geöffnet. Der wasserarme Fels bot zu wenig Aussicht auf Erfolg für Boden¬
kultur. Noch weniger ist dies heute der Fall. Der Ilissos, der einst mit dem
Gebirgswasser des Hymettos die Gärten der Athener getränkt, ist nur noch ein
Abzugskancil für Regenwasser. Ringsum kahles, unbebautes Land. Kein
Wunder, wenn selbst die wenigen Straßen, die nach Sunion im südöstlichsten
Theile Attika's und die nach Marathon im nördlicheren Theile, fast ganz in
Verfall gerathen. Bebautes Terrain findet sich nur in der Nähe der Ort¬
schaften. Diese letzteren tragen natürlich bis auf wenige Ausnahmen alle den¬
selben Charakter. Die Häuser siud, der Mehrzahl nach armselig, wie in den
Zeiten erster Entwickelung aus Lehm gebaut, im Innern nur mit einem ein¬
zigen Raume versehen, vielfach verfallen und unbewohnt. Vereinzelt trifft man
größere Gehöfte, die dann wie Oasen plötzlich aus dem unabsehbaren Felsen¬
meere hervortreten und für einen Augenblick die rauhe Umgebung zurückdrängen;
so unter andern das Kloster, welches, in wilder Bergschlucht des Hymettos
gelegen, mit seinem schattigen Olivenhain, seinem frisch sprudelnden Quell einen
überaus romantischen Eindruck macht.

Aber trotz der allgemeinen Verwüstung haben sich gar manche Spuren alter
Zeit noch erhalten. Grundmauern antiker Bauten finden sich sowohl innerhalb
der Ortschaften, wie im freien Terrain. Größere Monumente, Befestigungs¬
anlagen, Wachtthürme auf den Vorsprüngen der Gebirge wurden ebenfalls hie
und da angetroffen. Mancherlei Gegenstände antiken Ursprungs zeigten sich
oft da, wo man sie am wenigsten vermuthete. Säulenstücke aus Marmor,
Kapitäle sind nicht selten als bloßes Baumaterial in die Wände späterer Bauten
eingemauert. Grabstelen, Hermen, sogar vollständige Skulpturen antiken
Charakters finden sich oft in den unscheinbarsten Gehöften. Wie wenig Auf¬
merksamkeit diesen Dingen bisher zugewandt ist, zeigt der eine Umstand, daß
von den Grabhügeln an der Südostseite des Hymettos, in der Nähe des Dorfes
Trachoms, verschiedene eröffnet, ihres Inhaltes beraubt, eines auch noch mit
Marmordeckel versehen angetroffen wurde.

Ganz entgegengesetzten Charakter, wie das östliche Terrain, zeigt die jen¬
seitige Landschaft, ein weites Thalbecken, dnrch welches der Kephissos, der größte
Fluß Attika's, seine Gewässer dem saronischen Golf zuführt. Nur vereinzelt
treten hier Terrain-Erhebungen wie im Osten ans. Die altberühmte Höhe von
Munychia, der als Schauplatz des sophokleischeu „Oedipus" bekannte Hippios
Kolonos, weiter nach Norden hin die Höhe von Acharnae sind die hervor-


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[0136] Ruheplätze bilden, wohl hauptsächlich des Trinkwassers wegen, noch jetzt das Rendez-vous des reisenden Landvolkes. Von der Stadt aus nahmen alle Hauptstraßen ihren Anfang. Doch schou im Alterthum war augenscheinlich die östliche Landschaft weniger dem Verkehr geöffnet. Der wasserarme Fels bot zu wenig Aussicht auf Erfolg für Boden¬ kultur. Noch weniger ist dies heute der Fall. Der Ilissos, der einst mit dem Gebirgswasser des Hymettos die Gärten der Athener getränkt, ist nur noch ein Abzugskancil für Regenwasser. Ringsum kahles, unbebautes Land. Kein Wunder, wenn selbst die wenigen Straßen, die nach Sunion im südöstlichsten Theile Attika's und die nach Marathon im nördlicheren Theile, fast ganz in Verfall gerathen. Bebautes Terrain findet sich nur in der Nähe der Ort¬ schaften. Diese letzteren tragen natürlich bis auf wenige Ausnahmen alle den¬ selben Charakter. Die Häuser siud, der Mehrzahl nach armselig, wie in den Zeiten erster Entwickelung aus Lehm gebaut, im Innern nur mit einem ein¬ zigen Raume versehen, vielfach verfallen und unbewohnt. Vereinzelt trifft man größere Gehöfte, die dann wie Oasen plötzlich aus dem unabsehbaren Felsen¬ meere hervortreten und für einen Augenblick die rauhe Umgebung zurückdrängen; so unter andern das Kloster, welches, in wilder Bergschlucht des Hymettos gelegen, mit seinem schattigen Olivenhain, seinem frisch sprudelnden Quell einen überaus romantischen Eindruck macht. Aber trotz der allgemeinen Verwüstung haben sich gar manche Spuren alter Zeit noch erhalten. Grundmauern antiker Bauten finden sich sowohl innerhalb der Ortschaften, wie im freien Terrain. Größere Monumente, Befestigungs¬ anlagen, Wachtthürme auf den Vorsprüngen der Gebirge wurden ebenfalls hie und da angetroffen. Mancherlei Gegenstände antiken Ursprungs zeigten sich oft da, wo man sie am wenigsten vermuthete. Säulenstücke aus Marmor, Kapitäle sind nicht selten als bloßes Baumaterial in die Wände späterer Bauten eingemauert. Grabstelen, Hermen, sogar vollständige Skulpturen antiken Charakters finden sich oft in den unscheinbarsten Gehöften. Wie wenig Auf¬ merksamkeit diesen Dingen bisher zugewandt ist, zeigt der eine Umstand, daß von den Grabhügeln an der Südostseite des Hymettos, in der Nähe des Dorfes Trachoms, verschiedene eröffnet, ihres Inhaltes beraubt, eines auch noch mit Marmordeckel versehen angetroffen wurde. Ganz entgegengesetzten Charakter, wie das östliche Terrain, zeigt die jen¬ seitige Landschaft, ein weites Thalbecken, dnrch welches der Kephissos, der größte Fluß Attika's, seine Gewässer dem saronischen Golf zuführt. Nur vereinzelt treten hier Terrain-Erhebungen wie im Osten ans. Die altberühmte Höhe von Munychia, der als Schauplatz des sophokleischeu „Oedipus" bekannte Hippios Kolonos, weiter nach Norden hin die Höhe von Acharnae sind die hervor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/136>, abgerufen am 28.09.2024.