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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Kunstgeschichte in Zusammenhang zu bringen. Geringfügige Ansätze dazu, wie
die paar Zeilen, die der Charakteristik des Rokoko gewidmet sind, können nicht
blos nicht befriedigen, sondern schärfen erst recht den Appetit auf das, was
nicht vorhanden ist.

Dieser letztere Mangel hängt freilich mit einem Umstände zusammen, der
auch sonst noch fühlbar in der Arbeit hervortritt. Der Verfasser ist von Haus
aus Architekt, also in wissenschaftlichen, insonderheit in kunstwissenschaftlicher
Dingen Dilettant, wenn anch ein höchst respektabler Dilettant, von dem man
nur wünschen möchte, daß es recht viele seiner Art gäbe. Der dilettantische
Charakter seiner Arbeit zeigt sich denn auch noch in andern Stücken. Vor
allem in dem sehr bedauerlichen Mangel aller Quellenangaben. Was der
Verfasser in seiner Schrift über Dehn-Rothfelser (den Bauintendanten des
Kurfürsten Moritz), mit welcher er vor zwei Jahren sich die Doktorwürde er¬
warb, im Zitireu des Guten zu viel gethan inotabene: auch darin zeigte sich
eben nur dilettantische Beflissenheit), das thut er hier zu wenig: er zitirt überhaupt
nicht. Der Schreiber dieser Zeilen glaubt ziemlich klar darüber zu sein, was
der Verfasser benutzt hat und was er -- nicht benutzt hat. Wie soll man aber
ohne die sicheren Anhaltepunkte der Quellen und die Möglichkeit sie nachzu¬
prüfen die steche'sche Darstellung zur Grundlage weiterer Studien machen? --
Ferner -- und das sei die letzte Ausstellung, die wir noch machen wollen ---
verräth sich der Dilettant auch in der sehr mangelhaften stilistischen Form.
Wir wissen, daß es durchaus nicht beliebt ist, Autoren auf dergleichen aufmerk¬
sam zu machen. Wenn aber die Gleichgültigkeit, die bei uns ohnehin gegen
die sprachliche Form literarischer Erzeugnisse herrscht und die durch die traurige
Kritiklosigkeit unserer meisten populären Zeitschriften immer dreister gemacht
wird, nicht überHand nehmen soll, so kann man nicht oft genug auf Versün¬
digungen an unserer Muttersprache aufmerksam machen. Sagen wir es gerade
heraus: Eine Arbeit, wie diese steche'sche Baugeschichte vou Dresden, würde,
was die sprachliche Form angeht, in Frankreich geradezu undenkbar sein.
Schnitzer, wie sie in steche's Arbeit auf jeder Seite vorkommen -- selbst massen¬
hafte Verstöße gegen die allerelementarsten Regeln der Formenlehre -- sind
selbst uuter wohlwollendster Berücksichtigung der kurzen Entstehungszeit des
Buches nicht zu entschuldigen.*) Es bleibt schon dabei: ^//"Foi, -5^01^5,



*) Zum Beleg nur einige Proben. S. 29. schreibt der Verfasser: "am sogenannten
Taschenberg, welcher früher das ganze Terrain der großen und kleinen Briidergnssc und
der kleinen Gasse einnahm, die noch heute der Taschenberg genannt wird , und welches
Terrain (!) noch zur Zeit Heinrich's nicht zur Stadt gerechnet worden zu sein scheint" --
S. 36: "gegen etwaige Angriffe seines Betters und dessen Anhänger" (I) -- S. 50:
"eine kassettirte Decke, von welcher noch einige Stücke des jetzt getheilten Raumes

Kunstgeschichte in Zusammenhang zu bringen. Geringfügige Ansätze dazu, wie
die paar Zeilen, die der Charakteristik des Rokoko gewidmet sind, können nicht
blos nicht befriedigen, sondern schärfen erst recht den Appetit auf das, was
nicht vorhanden ist.

Dieser letztere Mangel hängt freilich mit einem Umstände zusammen, der
auch sonst noch fühlbar in der Arbeit hervortritt. Der Verfasser ist von Haus
aus Architekt, also in wissenschaftlichen, insonderheit in kunstwissenschaftlicher
Dingen Dilettant, wenn anch ein höchst respektabler Dilettant, von dem man
nur wünschen möchte, daß es recht viele seiner Art gäbe. Der dilettantische
Charakter seiner Arbeit zeigt sich denn auch noch in andern Stücken. Vor
allem in dem sehr bedauerlichen Mangel aller Quellenangaben. Was der
Verfasser in seiner Schrift über Dehn-Rothfelser (den Bauintendanten des
Kurfürsten Moritz), mit welcher er vor zwei Jahren sich die Doktorwürde er¬
warb, im Zitireu des Guten zu viel gethan inotabene: auch darin zeigte sich
eben nur dilettantische Beflissenheit), das thut er hier zu wenig: er zitirt überhaupt
nicht. Der Schreiber dieser Zeilen glaubt ziemlich klar darüber zu sein, was
der Verfasser benutzt hat und was er — nicht benutzt hat. Wie soll man aber
ohne die sicheren Anhaltepunkte der Quellen und die Möglichkeit sie nachzu¬
prüfen die steche'sche Darstellung zur Grundlage weiterer Studien machen? —
Ferner — und das sei die letzte Ausstellung, die wir noch machen wollen -—
verräth sich der Dilettant auch in der sehr mangelhaften stilistischen Form.
Wir wissen, daß es durchaus nicht beliebt ist, Autoren auf dergleichen aufmerk¬
sam zu machen. Wenn aber die Gleichgültigkeit, die bei uns ohnehin gegen
die sprachliche Form literarischer Erzeugnisse herrscht und die durch die traurige
Kritiklosigkeit unserer meisten populären Zeitschriften immer dreister gemacht
wird, nicht überHand nehmen soll, so kann man nicht oft genug auf Versün¬
digungen an unserer Muttersprache aufmerksam machen. Sagen wir es gerade
heraus: Eine Arbeit, wie diese steche'sche Baugeschichte vou Dresden, würde,
was die sprachliche Form angeht, in Frankreich geradezu undenkbar sein.
Schnitzer, wie sie in steche's Arbeit auf jeder Seite vorkommen — selbst massen¬
hafte Verstöße gegen die allerelementarsten Regeln der Formenlehre — sind
selbst uuter wohlwollendster Berücksichtigung der kurzen Entstehungszeit des
Buches nicht zu entschuldigen.*) Es bleibt schon dabei: ^//«Foi, -5^01^5,



*) Zum Beleg nur einige Proben. S. 29. schreibt der Verfasser: „am sogenannten
Taschenberg, welcher früher das ganze Terrain der großen und kleinen Briidergnssc und
der kleinen Gasse einnahm, die noch heute der Taschenberg genannt wird , und welches
Terrain (!) noch zur Zeit Heinrich's nicht zur Stadt gerechnet worden zu sein scheint" —
S. 36: „gegen etwaige Angriffe seines Betters und dessen Anhänger" (I) — S. 50:
„eine kassettirte Decke, von welcher noch einige Stücke des jetzt getheilten Raumes
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[0077] Kunstgeschichte in Zusammenhang zu bringen. Geringfügige Ansätze dazu, wie die paar Zeilen, die der Charakteristik des Rokoko gewidmet sind, können nicht blos nicht befriedigen, sondern schärfen erst recht den Appetit auf das, was nicht vorhanden ist. Dieser letztere Mangel hängt freilich mit einem Umstände zusammen, der auch sonst noch fühlbar in der Arbeit hervortritt. Der Verfasser ist von Haus aus Architekt, also in wissenschaftlichen, insonderheit in kunstwissenschaftlicher Dingen Dilettant, wenn anch ein höchst respektabler Dilettant, von dem man nur wünschen möchte, daß es recht viele seiner Art gäbe. Der dilettantische Charakter seiner Arbeit zeigt sich denn auch noch in andern Stücken. Vor allem in dem sehr bedauerlichen Mangel aller Quellenangaben. Was der Verfasser in seiner Schrift über Dehn-Rothfelser (den Bauintendanten des Kurfürsten Moritz), mit welcher er vor zwei Jahren sich die Doktorwürde er¬ warb, im Zitireu des Guten zu viel gethan inotabene: auch darin zeigte sich eben nur dilettantische Beflissenheit), das thut er hier zu wenig: er zitirt überhaupt nicht. Der Schreiber dieser Zeilen glaubt ziemlich klar darüber zu sein, was der Verfasser benutzt hat und was er — nicht benutzt hat. Wie soll man aber ohne die sicheren Anhaltepunkte der Quellen und die Möglichkeit sie nachzu¬ prüfen die steche'sche Darstellung zur Grundlage weiterer Studien machen? — Ferner — und das sei die letzte Ausstellung, die wir noch machen wollen -— verräth sich der Dilettant auch in der sehr mangelhaften stilistischen Form. Wir wissen, daß es durchaus nicht beliebt ist, Autoren auf dergleichen aufmerk¬ sam zu machen. Wenn aber die Gleichgültigkeit, die bei uns ohnehin gegen die sprachliche Form literarischer Erzeugnisse herrscht und die durch die traurige Kritiklosigkeit unserer meisten populären Zeitschriften immer dreister gemacht wird, nicht überHand nehmen soll, so kann man nicht oft genug auf Versün¬ digungen an unserer Muttersprache aufmerksam machen. Sagen wir es gerade heraus: Eine Arbeit, wie diese steche'sche Baugeschichte vou Dresden, würde, was die sprachliche Form angeht, in Frankreich geradezu undenkbar sein. Schnitzer, wie sie in steche's Arbeit auf jeder Seite vorkommen — selbst massen¬ hafte Verstöße gegen die allerelementarsten Regeln der Formenlehre — sind selbst uuter wohlwollendster Berücksichtigung der kurzen Entstehungszeit des Buches nicht zu entschuldigen.*) Es bleibt schon dabei: ^//«Foi, -5^01^5, *) Zum Beleg nur einige Proben. S. 29. schreibt der Verfasser: „am sogenannten Taschenberg, welcher früher das ganze Terrain der großen und kleinen Briidergnssc und der kleinen Gasse einnahm, die noch heute der Taschenberg genannt wird , und welches Terrain (!) noch zur Zeit Heinrich's nicht zur Stadt gerechnet worden zu sein scheint" — S. 36: „gegen etwaige Angriffe seines Betters und dessen Anhänger" (I) — S. 50: „eine kassettirte Decke, von welcher noch einige Stücke des jetzt getheilten Raumes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/77>, abgerufen am 03.07.2024.